Thread: Wieso sollen wir Kinder bekommen?
Warum bekommen Menschen Kinder? Ja, das Streben nach Fortpflanzung liegt in unseren Genen. Genau wie in denen aller anderen Tiere und Pflanzen. Und um das gleich vorweg zu schicken, denn es könnte sich im Laufe dieser Einleitung ein anderer Eindruck einstellen: Kinder sind toll! Und doch muss man auch festhalten, dass der Stolz und die Freude, die ein Kinderlachen in den meisten von uns auslösen, jede Menge Nachteile aufwiegen müssen. Denn Familienleben ist IRRSINNIG anstrengend.
Kinder fordern Platz und Aufmerksamkeit, sie haben ein Recht auf Dinge und Antworten. Sie multiplizieren den Kreis an Personen, mit dem man sich auseinandersetzen muss (ob man will oder nicht). Sie brauchen Kleidung, Materialien, Last-Minute-Geschenke für Kindergeburtstage, Fahr- und Backdienste. Jemand muss ihre müffelnden Sporttaschen auspacken, ihre Hausaufgaben betreuen, triefende Nasen abwischen, sie aufklären, Termine organisieren, ihnen Bücher vorlesen, Brote schmieren und das Fahrradfahren beibringen. Kein Wochenende ohne Streit zu schlichten, Fragen zu beantworten, Tränen zu trocknen und und und. Ein Teil dieser Aufgaben lässt sich sicher outsourcen – sofern man dazu die Mittel hat und diese Dienstleistungen überhaupt verfügbar sind – aber das öffnet natürlich eine neue Büchse der Pandora: Will man das? Kann man den Kindern noch gerecht werden? Wie lebt es sich mit dem schlechten Gewissen, wieder einen Entwicklungsschritt verpasst zu haben? Und wo bleibt man eigentlich selbst in dem ganzen Wahnsinn?
Denn egal, wie man es anstellt: Erziehung kostet Geld, Nerven, Zeit und auch Karrieren. Und wenn wir schon so ehrlich sind: Sie kosten vor allem weibliche Karrieren. Ja natürlich, irgendeine Statistik beweist mit Sicherheit, dass (Erklärbärstimme an) auch Väter heutzutage bereit sind, zugunsten der Familie Abstriche bei der Karriere zu machen (Erklärbärstimme aus), aber was sagt uns die Realität? Wer hat in euren Büros und an euren Arbeitsplätzen die Teilzeitstellen? Wer nimmt an der örtlichen Grundschule nachmittags die Kinder in Empfang? Wer organisiert die Arzttermine? Wessen Nummer steht oben im Kontaktfeld eines Kindergartenkindes? Es ist also keine Überraschung, dass diese realistische Kalkulation immer mehr junge Frauen zögern lässt, Kinder zu bekommen. Das stellt auch Twitteruserin @ganznormalemama fest.
„Wieso sollen wir Kinder bekommen? Alle rationalen Gründe sprechen dagegen, es stimmt keine einzige Rahmenbedingung.“ Mehrere gut ausgebildete Frauen Anfang 30 zu mir auf einem Event gestern, bei dem ich als Speakerin über Kinderfeindlichkeit sprach. Genau das ist es!
— Nathalie Klüver (@ganznormalemama) October 28, 2022
Diese Frauen kommen aus der Wissenschaft und Wirtschaft, sind jung, engagiert, beruflich erfolgreich und haben berufliche Ziele. Aber sie sagen auch „in den nächsten Jahren müssen wir uns aus rein biologischen Gründen für oder gegen Kinder entscheiden und
— Nathalie Klüver (@ganznormalemama) October 28, 2022
es spricht eigentlich alles gegen Kinder. Weniger Geld, keine Karriere, keine Vereinbarkeit.“ Beispiele aus ihrem Bekanntenkreis seien abschreckend: „Die Mütter sind alle fix und fertig.“ Diese jungen Frauen sehen Partnerschaften wegen der Kinder zerbrechen,
— Nathalie Klüver (@ganznormalemama) October 28, 2022
Mütter, die am Ende ihrer Kräfte sind, Karrieren, die abrupt unterbrochen werden und Rahmenbedingungen, die so ganz und gar nicht für Kinder sprechen: Das zeigt so deutlich, was alles geschehen muss und
— Nathalie Klüver (@ganznormalemama) October 28, 2022
Dass der Weg noch sehr lang ist. Und das Erschreckende: Seit ich vor 11 Jahren mein erstes Kind bekam, scheint sich wenig geändert zu haben!
— Nathalie Klüver (@ganznormalemama) October 28, 2022
So kommentieren andere User*innen:
Die Entscheidung gegen Nachwuchs ist oftmals keine Kritik an Kindern, sehr wohl aber eine Kritik an der Gesellschaft, die (in aller Regel) Frauen dazu nötigt, sich zwischen Kind und Karriere zu entscheiden. Eine Gesellschaft, die lieber Energie vergeudet, ein längst überholtes Frauen- und Familienbild zu propagieren, anstatt Strukturen zu schaffen, die junge Familien tatsächlich unterstützen: Flexible Arbeitsmodelle für Männer und Frauen, flächendeckende Betreuungsmöglichkeiten, Überwindung der Gender-Pay-Gap, Änderungen im Steuer- und Rentensystem zugunsten von betreuenden Eltern, Haushaltshilfen für Familien mit Kindern, Homeoffice und finanzielle Entlastungen. Doch vor allem muss in den Köpfen klar werden, dass die Verantwortung für Kinder ein gesellschaftlicher Auftrag ist, der nicht auf die Schultern von Müttern abgewälzt werden kann. Denn diese Gesellschaft lebt nur vom Miteinander und endet dort, wo Menschen strukturell gezwungen sind, sich gegen Kinder zu entscheiden.
Bitte nicht vergessen, dass es auch Frauen gibt, die einfach keine Kinder wollen, weil sie es sich einfach nicht vorstellen können, keine Kinder mögen oder dergleichen, aber solche Argumente wählen, weil sie gesellschaftlich akzeptierter sind.
— ⚜ Sanna ⚜ (@Boheme_im_Exil) October 28, 2022
Ich wollte immer Kinder,inzwischen, mit Mitte 30, zweifele ich immer mehr.Ich schaffe es ja noch nicht einmal,dass mein Leben entspannt und reibungslos klappt,wie sollten wir dann da noch das von Kindern so gestalten,dass ihre Leben gut sind?Und das bei diesen Zukunftsaussichten?
— @[email protected] (@vanadiumoxid) October 28, 2022
Solange „Vereinbarkeit von Familie und Beruf“ ein „Frauenthema“ in irgendwelchen „Frauen-Netzwerken“ bleibt und nicht als gesamtgesellschaftliches Problem oder zumindest Problem beider Elternteile angesehen wird, werden sich die Rahmenbedingungen auch nicht ändern.
— euli (@tee_eulchen) October 28, 2022
Tja, was soll ich sagen?
Rational:ich hätte meine Kinder nie bekommen sollen.
Emotional:War das Beste,was ich machen konnte.Ich bin Ingenieurin mit gutem Abschluss. Wurde als „High-Potential“ betitelt.Und nun? Als Teilzeit möchte mich niemand. Vollzeit+Überstunden sind gewünscht— Mama-Mi (@Mamatogo2) October 28, 2022
Und genau darum geht’s doch. Wir lieben alle unsere Kinder, aber für viele ist alleine das kein Lebensinhalt. Und in der heutigen Form (zugewandte Elternschaft vs mangelndes „Dorf“) ist es auch noch unglaublich zehrend.
— Immerhungrigimmermüde (@Anjaversuchts) October 28, 2022
Vielleicht sind diese Frauen nicht Kinderfeindlich per se,sondern haben nur für sich persönlich andere Prioritäten in ihrem Leben gesetzt. Vielleicht finden sie im Job ihre Erfüllung, die sie im Leben mit Kind(ern) nie fühlen würden,dann ist es doch nicht falsch so zu entscheiden
— 🦦Swallsie 🦦 (@Swallsie1) October 28, 2022
Fühle das so sehr. Alle meine jungen Kolleginnen, die mich in der Corona-Homeschool-Kitazu-Phase live erleben durften, sagen das Gleiche 😨
— Isabell Genz (@GenzIsabell) October 28, 2022
Es ist übrigens absolut in Ordnung, sich gegen Kinder zu entscheiden, auch wenn die Rahmenbedingungen stimmen: