Thread: Die verlogene Debatte um das Bürgergeld
Heute haben Ampel und Union im Streit um das Bürgergeld einen Kompromiss erzielt. Mit einer beispiellosen Desinformationskampagne und falschen Berechnungen haben CDU/CSU gegen die Reform wochenlang Stimmung in den sozialen Medien und in der Presse gemacht. Mit Erfolg, denn jetzt soll es doch wieder schärfere Sanktionsmöglichkeiten gegen Leistungsbezieher und deutlich weniger Schonvermögen geben, als im ursprünglichen Entwurf vorgesehen. Kern der Unionskampagne war es dabei gewesen, Niedriglöhner gegen Leistungsbezieher auszuspielen und zu behaupten, mit dem Bürgergeld würde sich Arbeit nicht mehr lohnen und das Leistungsprinzip damit ausgehebelt. Es wäre quasi ein bedingungsloses Grundeinkommen durch die Hintertür. Leistungsempfänger wurden damit indirekt als faule Menschen und Schmarotzer abgestempelt, die mit dem Bürgergeld sofort aufhören würden zu arbeiten. Ein perfider Plan, der am Ende leider aufgegangen ist.
Wie falsch und realitätsfremd diese Debatte geführt wurde, das haben nicht nur die Berechnungen von Experten und Sozialverbänden gezeigt, sondern auch unzählige Erlebnisberichte von Betroffenen. Der nun folgende Thread des Twitterusers @gerechtGericht greift viele dieser Aspekte auf und verdeutlicht einmal mehr, wie weit die Union von der Lebensrealität Armutsbetroffener in diesem Land entfernt ist.
Seit Tagen diskutiere ich mit unterschiedlichsten Menschen über das #Buergergeld.
Sowohl jene mit deutlich weniger als 2k brutto als auch Kolleg*innen mit ü6 brutto meinen, niemand aus dem einkommensschwachen Bereich würde arbeiten geben, wenn er/sie Bürgergeld bekommen könnte.— Judgement Day aka Richter Fummelpummel Feenpups (@gerechtGericht) November 15, 2022
Auf die Frage, ob sie selbst ihre Jobs aufgeben würden, meinen aber ALLE, sie würden ja nicht nur des Geldes wegen arbeiten.
Es gehe um Anerkennung, Selbstverwirklichung oder einfach darum, nicht abhängig von staatlichen Almosen zu sein.
Arbeiten nerve, sei aber euch erfüllend.— Judgement Day aka Richter Fummelpummel Feenpups (@gerechtGericht) November 15, 2022
Völlig unabhängig von der Frage, ob ein BGE tatsächlich wirtschaftlich wie gesellschaftlich sinnvoll ist oder nicht, glaube ich langsam, dass die seitens der Opposition gegen das Bürgergeld angeführten Argumente bloß schön klingeln sollen.
Inhaltlich ist wohl nicht viel dahinter.— Judgement Day aka Richter Fummelpummel Feenpups (@gerechtGericht) November 15, 2022
Zumal wenn man bedenkt, dass viele Politiker*innen, die derzeit am lautesten gegen das #Buergergeld anschreien, selbst nicht mal mehr arbeiten müssten, um (mehr als) genug Geld zum Leben zu haben.
Sie tun es dennoch.
Sie lieben das, was sie tun, und/oder sie wollen immer mehr.— Judgement Day aka Richter Fummelpummel Feenpups (@gerechtGericht) November 15, 2022
Ich möchte mir übrigens keinesfalls anmaßen, hier volkswirtschaftliche und gesellschaftliche Prognosen anzustellen.
Ich habe lediglich – ausgehend von meinen bisherigen Erfahrungen mit Armut wie mit Reichtum – Zweifel an der vorgebrachten Argumentation der #CDU/#CSU.— Judgement Day aka Richter Fummelpummel Feenpups (@gerechtGericht) November 15, 2022
Diese Erfahrungen stützen sich auch auf meine tägliche Arbeit, im Rahmen derer ich (quasi sozialrechtliche) Verfahrenskostenhilfeanträge am laufenden Band prüfe.
Dort sieht man vor allem dreierlei:
1. Die allermeisten Menschen wollen arbeiten und tun es auch, soweit sie können.— Judgement Day aka Richter Fummelpummel Feenpups (@gerechtGericht) November 15, 2022
2. Jene, die es nicht wollen, tun es nicht, egal was man ihnen anbietet oder wie man sie sanktioniert.
3. Jene, die arbeiten wollen, aber nicht können, sowie jene, die aus ethisch/moralisch vertretbaren Gründen (Pflege/(Allein-)Erziehung etc) nicht arbeiten wollen, tun es nicht.— Judgement Day aka Richter Fummelpummel Feenpups (@gerechtGericht) November 15, 2022
Die erste Gruppe arbeitet übrigens oftmals sogar mit Einnahmen unter dem derzeitigen Hartz IV – Niveau und beantragt oftmals nicht einmal irgendwelche Zusatzleistungen.
Oft stellen sie sogar nur sehr widerwillig und erst auf Anraten einen Verfahrenskostenhilfeantrag.— Judgement Day aka Richter Fummelpummel Feenpups (@gerechtGericht) November 15, 2022
Das Bürgergeld entschärft die Lage für die Nr. 3, während sich die Lage der Leute unter Nr. 2 nur durch etwas mehr Geld ändert und der Staat gleichzeitig deutlich weniger fiskalische Mittel (Kosten für Mitarbeiter, die Sanktionen verhängen und überprüfen, Gerichte etc) ausgibt.
— Judgement Day aka Richter Fummelpummel Feenpups (@gerechtGericht) November 15, 2022
Das #Buergergeld schafft also vor allem eine wichtige Entlastung für viele Bürger*innen und den Staat, während es eine höchstens imaginäre/gefühlte Ungerechtigkeit schafft, die es in der Form jedenfalls ohne den Aufschrei der #HaltDieFresseBild & Co vermutlich nicht gäbe.
— Judgement Day aka Richter Fummelpummel Feenpups (@gerechtGericht) November 15, 2022
Was ich damit sagen will?
Es kotzt mich an, dass Politiker*innen und Bürger*innen aller Einkommensschichten oftmals völlig unüberprüft fadenscheinig-populistische Argumente übernehmen, ohne im Detail reflektiert darüber nachzudenken und diese bzw. sich selbst zu hinterfragen.— Judgement Day aka Richter Fummelpummel Feenpups (@gerechtGericht) November 15, 2022
Und es kotzt mich an, dass diese (durchaus menschliche) Art der Diskussion mal wieder – und befeuert von der #HaltDieFresseSpringerPresse und der Opposition – zu Lasten derer geht, denen man als Gesellschaft eigentlich dringend helfen sollte.
Naja, egal, just my 2 cents.
— Judgement Day aka Richter Fummelpummel Feenpups (@gerechtGericht) November 15, 2022
Das sagen andere User:
Ihr seid ebenfalls betroffen und versteht die Welt nicht mehr, was das ganz Theater sollte? Dann hinterlasst uns doch einen Kommentar und teilt uns eure Erfahrungen mit oder diskutiert mit anderen Betroffenen darüber. Was die Leserinnen und Leser dieses Threads zu sagen hatten, das erfahrt ihr jetzt. Wir haben ein paar der treffendsten Kommentare und Reaktionen hier für euch gesammelt:
1 Million Aufstocker belegen das Gegenteil. Aber was sind in der Diskussion um das #Bürgergeld schon Fakten?!
— Ulrich Schneider (@UlrichSchneider) November 16, 2022
Es gibt übrigens auch jetzt bereits tausende Menschen, die arbeiten gehen und trotzdem nebenbei noch aufstockende Leistungen vom Jobcenter erhalten um über die Runden zu kommen. Ein typisches Beispiel: Alleinerziehende in TZ. Das sind jetzt nicht wenige.
— Spreekönigin❀ (@Spree_Koenigin) November 15, 2022
zusätzlich zum mageren Vollzeitgehalt von meinem Mann nicht reichen. Ich hatte in den letzten Jahren kaum Krankheitstage. Im September hatte ich einige Schicksalsschläge, die mich total umgerissen haben. Seitdem wurde ich zum vollen ALG II Bezieher. Ich will aber kann nicht 😢
— Nachtgeschöpfchen (@Tyakramana) November 15, 2022
Als Aufstocker sage ich ganz klar: Die 50 Euro mehr sind kein Anreiz, meine Nebentätigkeit aufzugeben. So lange ich kann, werde ich diesen Job ausüben, auch wenn in ca. 3 Jahren die Rente kommt.
— Theobald Tiger 💎🤘 (@ReklovK) November 15, 2022
Mit Bürgergeld hätte ich (weil in Ausbildung) tatsächlich mehr als jetzt. Hell No! Abhängigkeit, Stigmatisierung, menschenfeindlicher Umgang am Amt…. Niemals würde ich mich freiwillig in diese Lage bringen.
Es mag wenige geben die das tun. Die Mehrheit möchte eine Aufgabe.
— Vevaling (@VevalingJ) November 15, 2022
Die Propaganda der Union scheint Wirkung zu zeigen 😕. Ich persönlich bin für das Bürgergeld und bin sogar der Meinung, dass das Schonvermögen mit 60.000 zu gering ist, da es hier auch um die Altersvorsorge geht und hier eine Gefahr besteht in die Altersarmut zu rutschen…
— 🇺🇦 Bundeshanfminister 🇺🇦 (@CheHamburgo) November 15, 2022
Die Erfahrungen aus dem U-25 Bereich im JC zeigen Ausfallquoten von bis zu 80% bei Einladungen seit dem Sanktionsmoratorium. Ich mache mir Sorgen um die Jüngeren, die gerade verloren gehen.
— Waldfee im Training (@waldfee_trainie) November 15, 2022
Zum Glück hat die CDU/CSU das verhindert!#Buergergeld
— Browser Ballett (@browserballett) November 14, 2022
Die Gründe für H4Bezug sind vielfältig, arbeitsunwillig sind nur wenige. Warum sie nicht wieder eine Arbeit fanden, oft abenteuerlich. Einem Großteil der Mitarbeiter:innen der Jobcenter unterstelle ich völlige Unfähigkeit + wenn es das nicht ist, dann böse Absicht, Willkür etc.
— Holla, die schnippische Waldfee – 🌲🌳🌲🌳 (@RikeWaldfee) November 15, 2022
Es kotzt mich einfach nur noch an, wie bei dieser Diskussion durch die Union einfach arm gegen arm ausgespielt wird. Und dass man über Jahre das Bild verfestigt hat, jeder mit Sozialleistungen sei „asozial“ und faul.
Dabei sind die Gründe so vielfältig…— Tobi-Wa(h)n (@TobiWa_h_n) November 15, 2022
Mich kotzt dieses dumme Gerede auch an. Ich arbeite, damit ich mehr Geld zur Verfügung habe, als wenn ich nur ALG II hätte. Und das Bürgergeld würde meine Situation zusätzlich verbessern. Natürlich höre ich nicht auf zu arbeiten. 🤦🏼♀️
— HELENA ☕ tee&tumult ☕ (@HelenaPiks) November 15, 2022
Vielen Dank für eure Aufmerksamkeit! Da wir gerade beim Thema sind, schaut doch noch hier rein: