Thread: Reden wir mal über das „Waschen“ auf der Intensivstation!
Dass die Pflegekräfte in deutschen Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen von Seiten der Politik vernachlässigt werden, ist seit Jahren kein Geheimnis. Betroffene klagen seit Langem erfolglos über immer extremer werdende Patienten-Schlüssel, familienunfreundliche Arbeitszeiten, Überlastung, emotionalen Druck und das alles bei schlechter Bezahlung und miesem Image. Kein Wunder, dass der Sektor bekanntermaßen Nachwuchsmangel hat. Im Zuge der Corona-Krise wird allerdings deutlicher denn je, welche Dimensionen dieses Problem annimmt und welche gesamtgesellschaftlichen Folgen damit verbunden sind. Denn was nützen freie Intensivbetten, wenn niemand da ist, um diese zu betreuen?
Perfiderweise hört man dennoch immer wieder Stimmen, welche die Tätigkeiten dieser Berufsgruppe auf das „Waschen“, also die Grundpflege von Patient:innen, reduzieren. Dabei wird insinuiert, dass es sich bei der Patientenpflege um eine simple Angelegenheit handelt. Wie weit dies von der Realität abdriftet und welche Bedeutung die Grundpflege im medizinischen Alltag auf der Intensivstation hat, beschreibt Twitteruserin @SrUnbequem in ihrem extrem informativen Thread. Er bietet Einblicke in einen Bereich, den vermutlich die wenigsten von uns einschätzen können. Danke an SchwesterUnbequem für die Aufklärung!
Reden wir Mal übers „Waschen“ auf der Intensivstation.
Thread !
Ich habe jetzt so unfassbar viel Scheisse gelesen das ich Mal versuche zu erklären warum das wichtig ist und gerade auch in der Intensivmedizin wichtig ist!
Lets get started:
1/8— SchwesterUnbequem (@SrUnbequem) November 10, 2020
Pflege ist Waschen… Wird gerne so gesagt .
Das heißt aber korrekt Grundpflege.
Da ist die Zeit die ich für meinen Patienten aufwende, ihn zu entkleiden, ja, zu waschen, Verbände zu machen, Wunden zu beurteilen, den Hautstatus zu bewerten und Druckstellen zu entdecken 2/8— SchwesterUnbequem (@SrUnbequem) November 10, 2020
Das ist die Zeit wo ich mir Zeit nehmen kann mit ihm ausgiebig zu reden, egal ob intubiert oder nicht.
Das ist die Zeit wo ich ausschließlich Zeit für diesen einen Patienten habe.
Zeit die wichtig ist für das Patientenverhältnis, für Vertrauen in einer unsicheren Umgebung 3/8— SchwesterUnbequem (@SrUnbequem) November 10, 2020
Zeit um mir über den kognitiven Zustand ein Bild zu machen, zu erheben ob ein Delir vorliegt oder sich entwickelt.
Zeit um Medikamentenwirkung zu beurteilen.
Zeit für Prophylaxen.
Ein Fenster von 30-60 Minuten was wichtig ist für meine weiteren Interventionen. 4/8— SchwesterUnbequem (@SrUnbequem) November 10, 2020
Zeit für eine Beurteilung wie fit der Patient ist ob er verlegt werden kann oder wie die Nacht im Verlauf des Weanings war.
Zeit in der ich vielleicht die Sedierung ohne Hektik reduzieren kann und beobachten kann.
Und das alles während ich den Patienten pflege 5/8— SchwesterUnbequem (@SrUnbequem) November 10, 2020
Ihr seht „Waschlappen schwingen“, ich sehe eine pflegerisch hoch relevante Tätigkeit die mir unfassbar viele Infos bringt, die sonst nur zwischen Tür und Angel erfasst werden weil keine Zeit da ist und dann vielleicht nur eine unzureichende Beurteilung zulässt 6/8
— SchwesterUnbequem (@SrUnbequem) November 10, 2020
Es ist nicht nur „waschen“
Es ist soviel mehr und hilft uns mehr zu verstehen, hilft dem Patienten zu verstehen.
Ich werde oft gefragt , woher ich das denn schon wieder weiss.
Nun… Ich habe mir einfach die Zeit genommen und den Patienten beobachtet oder ihm zugehört 7/8— SchwesterUnbequem (@SrUnbequem) November 10, 2020
Und das alles nur in einem knappen Zeitfenster morgens früh oder abends. Je nach dem.
Also bitte:
Wertet dieses Tätigkeit nicht ab oder seid der Meinung “ das kann auch ne Hilfskraft mit Links“
8/8— SchwesterUnbequem (@SrUnbequem) November 10, 2020
So kommentieren andere User:innen::
Es gibt von Wolfgang Schäuble eine tolle Schilderung, was für ein tolles erlebniss es für ihn war als ihm einige Tage nach dem Attentaten ein Pfleger nachts die Blutreste aus den Haaren gewaschen hat
— drdyspnoe (@drdyspnoe1) November 10, 2020
Ich war dem Pflegepersonal auf der ITS unendlich dankbar, die haben sich Zeit genommen, mich wirklich „bemuttert“
Ohne sie wäre ich vermutlich durchgedreht.— Ulrike Apel 🏳️🌈 (@UlrikeDesi) November 10, 2020
Danke für diese Einblicke. Genauso habe ich es in den Monaten auf der ICU empfunden. Es war nicht nur Waschen. Es war Zeit, wo ich nicht alleine war. Wo man mit mir gesprochen hat, mir erzählt hat, was gewesen ist, wie die Lage ist. Es war so so viel mehr als Waschen…
— Julia (@mupfelia) November 10, 2020
Danke für deine Worte. Das „Waschen“ von Pflegern war mir immer ein wenig suspekt, vermutlich weil ich körperliche Nähe von Fremden kaum ertrage. So wie du das hier beschreibst, klingt das aber total nach Fürsorge und Liebe und Wärme. Mein Blick hat sich dadurch gewandelt, Danke
— Pink-Gelbe Kichererbse (@Haveaquestion2) November 10, 2020