Thread: Kind 1, der Schiedsrichter und König Fußball
Es wird spannend, ob sich Deutschland heute den Sieg in der EM-Gruppe F holen kann. Damit euch die Wartezeit bis zum Anpfiff nicht allzu lang wird, tun wir alles, um euch abzulenken. Dafür machen wir ganz kurz einen gedanklichen Ausflug in die Vergangenheit. 2006 – ihr erinnert euch hoffentlich noch – fand die Fußball-Weltmeisterschaft in Deutschland statt. Die ganze Bundesrepublik hoffte auf ein Sommermärchen und träumte vom nächsten Weltmeistertitel. Dass es am Ende nicht dazu kam, ist Geschichte. Jedoch kam es in der Folge eben dieser Fußball-WM nicht nur zu einem unerwarteten Babyboom, sondern auch zu Rekordanmeldungen bei den örtlichen Fußballvereinen. Alles und jeder wollte plötzlich kicken und jeder Vater hoffte, dass sein Kind das nächste Nachwuchstalent wird. Dass der Nachwuchs das wird, was einem selbst nicht möglich war, nämlich Fußballstar – idealer Weise noch beim Lieblingsverein – ist der Traum vieler Väter. Und in der Theorie klingt es ja eigentlich auch ganz simpel: Man muss das Kind nur früh genug fördern und in ein paar Jahren winkt man von der VIP-Tribüne den Früchten seiner Lenden zu. Das dachte sich wohl auch unser Threadautor und Kinderexperte @doppeldaumen, der uns mit der nun folgenden Zwerchfellattacke auf den heutigen Fußballabend einstimmt.
Es ist EM! Und „Papa hat keine Zeit, der guckt wieder grünes Fernsehen!“
Grünes Fernsehen! Das ist aus mir und dem Fußball geworden.
Kind1, der Schiedsrichter und König Fußball.
Ein Drama. Und ein Thread.
— Der Doppeldaumenmann (@doppeldaumen) June 19, 2021
Ich bin Profisportler. Also nicht zwingend körperlich, aber im Geiste schon. Meine Fußballkarriere scheiterte in jungen Jahren daran, dass mich mein Talent geghostet hat. Aber jeder, der einmal als Kind ein Trikot trug weiß: Dieses Gefühl bleibt für immer. Was auch bleibt,
— Der Doppeldaumenmann (@doppeldaumen) June 19, 2021
ist eine unerschöpfliche und immerwährende Expertise in allen sportlichen Belangen. Ratschläge für Spieler und Anweisungen an den Trainer in Richtung Fernseher brüllen oder dem Schiedsrichter Änderungsbedarf hinsichtlich seiner Entscheidungen vermitteln, das ist meine Passion.
— Der Doppeldaumenmann (@doppeldaumen) June 19, 2021
Schade an der Talentfreiheit ist, dass der Sport so nicht mein Einkommen sichern kann. Aber es ist ja nie zu spät – wozu habe ich Kinder gezeugt? Eigentlich perfekt, dieser Plan: Sollen die sich mal ordentlich abrackern und ich sahne als Berater ab.
Aber leider kam es anders.
— Der Doppeldaumenmann (@doppeldaumen) June 19, 2021
Selbstverständlich war Kind1 total fußballbegeistert.
Nicht.
Und das, obwohl sein Vereinsantrag mit seinem Nabelschnurblut unterzeichnet wurde. Dabei tat ich alles, um ihn zu begeistern… Bettwäsche, Schlafanzug, alles Fußball. Alles keine Wirkung. Ich schleppte ihn quasi
— Der Doppeldaumenmann (@doppeldaumen) June 19, 2021
aus dem Kreißsaal auf den Sportplatz, vermittelte ihm taktische Spielzüge und feine technische Tricks. Alles wirkungslos.
Ich hatte Jahre später mal den Anfangsverdacht, dass er undankbarerweise eine gewisse Unlust am Fußball verspürt, als ich ihn dabei beobachtete, wie er den
— Der Doppeldaumenmann (@doppeldaumen) June 19, 2021
Fußball aus dem Garten heimlich in die Restmülltonne warf. War aber kein Problem. Ich hatte einen Ersatzball.
Natürlich sagte ich ihm, dass er weiterhin mein Sohn bleibt, auch wenn er kein Fußball spielen möchte. Zwar hätte ich ihn dann nicht mehr lieb, aber er bliebe mein Sohn.
— Der Doppeldaumenmann (@doppeldaumen) June 19, 2021
Selbstverständlich schleppte ich ihn ins Stadion. Nicht ganz billig, aber das würde ich ihm einfach vom ersten Profigehalt abziehen. 50.000 grölende Fußballfans würden dem Jungen schon die Begeisterung für Fußball auf Bundesliganiveau vermitteln.
Seine Begeisterung erlebte einen
— Der Doppeldaumenmann (@doppeldaumen) June 19, 2021
jähen Dämpfer, als er registrierte, dass man nicht direkt vorm Stadion parken konnte. Grimmig schweigend liefen wir also in Richtung Gedränge am Einlass.
5 Minuten vor Spielbeginn saßen wir endlich am Platz. Da fiel Kind1 auf, dass er Hunger hat und ohne Bratwurst
— Der Doppeldaumenmann (@doppeldaumen) June 19, 2021
augenblicklich sterben würde. Gut, ich wollte ja seine Begeisterung wecken also stellte ich mich an der Würstchenschlange an, die fast bis zum Auto zurückreichte. In der 12. Spielminute waren wir wieder am Platz. Es stand 1:1.
Kind1 war 10 Minuten lang fasziniert vom Lärm
— Der Doppeldaumenmann (@doppeldaumen) June 19, 2021
und Trubel, bevor er aufs Klo musste. Das 2:1 fiel, während ich Kind1 an der Pissrinne zur Eile mahnte.
Nach der Pause fiel irgendwann das 3:1. Vom Jubel der Zuschauer aus seinen Gedanken gerissen fragte Kind1: „Ist was passiert? Wieso sind alle so laut?“
— Der Doppeldaumenmann (@doppeldaumen) June 19, 2021
Das 3:2 wurde während der 2. Pinkelpause erzielt. Kind1 fragte, ob es nach dem Spiel auch noch Pommes gab. Gab es. In der Schlange fragte er, welche Mannschaften heute gespielt haben.
Zuhause meinte er, es sei nicht viel passiert, es wäre nur ein einziges Tor gefallen.
— Der Doppeldaumenmann (@doppeldaumen) June 19, 2021
Das erste eigene Spiel von Kind1 verlief so semi. Er setzte sich nach dem Anpfiff hin und pflückte Gänseblümchen. Aaaargh!
Später fiel einmal der Schiedsrichter aus. Als engagierter Seitenlinienbetreuuer schnappte ich mir die Pfeife. Und pfiff.
— Der Doppeldaumenmann (@doppeldaumen) June 19, 2021
Mag sein, dass der eine oder andere Pfiff die Heimmannschaft etwas bevorteilte, aber Elfmeter ist, wenn der Schiri pfeift. Ich beugte die Regeln, indem ich verkündete: Es muss immer der schießen, den der Schiri bestimmt. Bei Widerrede gibt’s Platzverweis, so einfach ist das.
— Der Doppeldaumenmann (@doppeldaumen) June 19, 2021
Und so kam es, dass Kind1 am Siebenmeterpunkt stand. Vielleicht würde ja dieses Erfolgserlebnis den Knoten zum Platzen und die Beratermillionen bringen. Der Schuss aus 7 Metern ging 9 Meter vorbei. Aber auf mich kann man sich verlassen. Ich pfiff und rief:
— Der Doppeldaumenmann (@doppeldaumen) June 19, 2021
„WIEDERHOLUNG!! DER VERTEIDIGER IST ZU FRÜH LOSGELAUFEN!!“. Das stimmte nicht ganz, aber auf dem Dorf gibt es keinen Videobeweis.
Den 2. Versuch schob Kind1 dem Torhüter mit einer bemerkenswerten Präzision mittig in die Arme und sagte: „Hier, nimm. Mein Papa spinnt mal wieder.“
— Der Doppeldaumenmann (@doppeldaumen) June 19, 2021
Und das konnten auch noch alle hören. Ich stellte den Lümmel vom Platz. Direkt rot. Er sagte „Gottseidank“ und das Publikum klatschte. Am Ende erhielt Kind1 den Fairnesspokal des Turniers.
Ich schmollte. Nur ungefähr 6 Jahre lang. Natürlich vertrugen wir uns irgendwann wieder.
— Der Doppeldaumenmann (@doppeldaumen) June 19, 2021
Leider blieben wir dadurch auch bettelarm. Nichts mit Fußball-Millionen. Ich verlagerte meine Fußballbegeisterung auf die PlayStation. Irgendwann beobachtete mich Kind1 dabei und seitdem spielen wir zusammen.
Als wäre diese Geschichte nicht schon traurig genug, gewinnt dieser
— Der Doppeldaumenmann (@doppeldaumen) June 19, 2021
Antikicker jedes Spiel gegen mich. Neulich habe ich seinen Controller manipuliert. Trotzdem 2:5. Ich habe die Werte seiner Spieler in die einer Seniorenmannschaft geändert – trotzdem keine Chance. Und als wäre das Schicksal nicht schon ohnehin gemein zu mir,
— Der Doppeldaumenmann (@doppeldaumen) June 19, 2021
sagt Kind1 nach jedem Triumph zu mir: „All meine Pokale verdanke ich nur Dir!“
Grmpf. Stimmt.
Kind2 zeigt an Fußball ein gewisses Grundinteresse, ist aber einfach zu freundlich. Er würde dem Gegner den Ball geben und ein Bild mit ihm malen, damit dieser nicht traurig ist.
— Der Doppeldaumenmann (@doppeldaumen) June 19, 2021
Kind3 ist noch ein wenig zu klein, um ihr Talent abschließend einzuschätzen. Sie meint aber, Kind1 habe ihr verboten, mit Papa auf den Fußballplatz zu gehen. Mist.
Aber was ich Euch eigentlich sagen wollte:
Das Spiel dauert 90 Minuten und Kind1 guckt neben mir auf der Couch.
— Der Doppeldaumenmann (@doppeldaumen) June 19, 2021
Das sagen andere User:
Na, wer hat sich oder seinen Vater in diesem Thread wiedererkannt? So erging es zumindest vielen Usern. Die besten Antworten auf diesen wundervollen Text haben wir hier für euch gesammelt.
🤣🤣🤣mein Vater hat jeden Samstag auf dem Platz gestanden. Erst als Spieler und später als Schiri. Alle Fußballspielenden Klassenkameraden haben unser Haus großräumig gemieden😉. Er stellt den Fernseher auf lautlos und kommentiert selber, ein Genuss…😳😜
— Irmi_1268 (@1268Irmi) June 19, 2021
Es könnte eins zu eins unser K1 sein. Er hat während dem Spiel imaginäre Drachen gefangen, eigene Regeln aufgestellt (nur bei Feuer, darf die Silberkugel berührt werden 🤪🙈) u meinte am Ende, die anderen verstehen ihn einfach nicht..🤷🏻♀️😂
— Ella (@EllaJoSa) June 19, 2021
Mein fußballbegeisterer Vater hörte sehr herzlich lachend dem Vorgelesenen zu.
Bei den Gänseblümchen dachten wir beiden an seinen Enkel und meinen Neffen
Vielen Dank für diesen Thread! 💚— Hexe ohne Häkelnadel (@hexzellenz) June 19, 2021
Mein Vater setzte auch große Hoffnungen auf K1 (ein Linksfuss!). Alle Spiele verbrachte er mit Ball ausweichen und Hüpfen an der Seitenlinie. Heute, mit 17, meinte er sehr selbstironisch vielleicht sei seine Karrierechance eher als Linienrichter.
— 🔴Ju🔴 (@BCinME) June 19, 2021
Ich schon mal an eine Karriere im E-Sport Bereich für Kind 1 gedacht?😉 Die bekommen zwar nicht so viele Millionen wie Fußballer, aber hungern müssen die auch nicht 🤣
— Cat Ryn (@CatRyn18) June 19, 2021
Verlängerung? Kein Problem. Die aktuellsten Tweets zur EM findet ihr hier in diesem Beitrag: