Thread: Ich bin Lokführer
Alle Jahre wieder wird die Deutsche Bahn bestreikt. Die Lokführergewerkschaft GDL hatte sich gestern für einen bundesweiten Streik bei der Deutschen Bahn entschieden. 95 Prozent der Gewerkschaftsmitglieder hatten sich in einer Urabstimmung dafür ausgesprochen. Und so müssen sich nach langer Streikpause Bahnreisende seit heute Nacht bundesweit auf Zugausfälle und Verspätungen einstellen – mehr als sonst. 75 Prozent der Fernverkehrszüge verkehren in den nächsten Stunden bis zum Freitagmorgen nämlich nicht. Auf vielen wichtigen Regionalverbindungen und in den Großstädten gibt es immerhin ein gerade so ausreichendes Grundangebot. Und das mitten in den Sommerferien, inmitten einer Pandemie, wird sich so mancher denken und dabei wütend den Kopf schütteln. Solidarität mit Streikenden ist hierzulande – anders als bei unseren europäischen Nachbarn – keine weit verbreitete Praktik. Und so hagelte es gestern und heute ordentlich Kritik für die Entscheidung der Lokführer seitens der Fahrgäste, des Bahnvorstandes, der Presse, diverser Politiker und einiger Wirtschaftsvertreter.
Der Zeitpunkt wäre unpassend und der Arbeitskampf würde unnötigerweise auf dem Rücken der Fahrgäste ausgetragen. Dass die Bahn selbst es überhaupt erst zu dieser Eskalation hat kommen lassen, wird dabei jedoch verschwiegen. Auf die „dickköpfigen“ und „geldgierigen“ Lokführer zu schimpfen ist eben viel zu bequem und obendrein auch noch einfach. Aber sein wir doch mal ehrlich, wer hat schon auf dem Schirm, was Lokführer tagtäglich leisten müssen? Und deswegen möchten wir euch mit dem nun folgenden Thread einen Perspektivwechsel ermöglichen. Der Twitteruser @CptKrustenkaese – seines Zeichnen Zugführer aus Leidenschaft – hat nämlich aufgeschrieben, warum der Streik gerade jetzt nötig ist und warum die Forderungen der GDL-Mitglieder gemessen an dem, was sie leisten, keineswegs überzogen sind. Aber lest am besten selbst.
Ich bin Lokführer. Und ich nehme am #bahnstreik teil.
Wieso Weshalb Warum, ein Thread. Verzeiht mir Tipfehler ich schreibe den Thread hier grade mit etwas Wut.
— Cpt. CheesyCrust (@CptKrustenkaese) August 10, 2021
„Du kannst froh sein das du einen Job hast UND nie Kurzarbeit!“
Und warum? Kurzarbeit war vom Verkehrsministerium nie gewollt, damit die Leute zur Arbeit kommen. Es gab zum Corona Peak Dez20 die Überlegung den Verkehr einzustellen. Alle hier auf Twitter sind steil gegangen,
— Cpt. CheesyCrust (@CptKrustenkaese) August 10, 2021
„das kann man doch nicht machen, wie sollen die Leute auf die Arbeit kommen“. Also wurde weiter gefahren. Es scheint wohl also ein Systemrelevanter Beruf zu sein, den ich da ausübe. Der Art Beruf, für den zu Beginn der
— Cpt. CheesyCrust (@CptKrustenkaese) August 10, 2021
Pandemie ja soviel Respekt gezollt wurde, in Form von Balkonklatscher. Jetzt dann aber für zumindest einen Inflationsausgleich zu streiken? Nein, das ist wieder Geiselhaft, Assozial und ich bin ein Hurensohn – wenn man euch hier so glauben darf.
— Cpt. CheesyCrust (@CptKrustenkaese) August 10, 2021
„Und wie soll ich jetzt auf die Arbeit kommen?!“
Der Altersdurschnitt auf meiner Dienststelle ist 58(!). Ich bin mit meinen 36 der jüngste. Wenn der Beruf weiterhin so attraktiv bleibt, kannst du dir mal die Frage stellen wer dich in 10 Jahren auf die Arbeit fährt.
— Cpt. CheesyCrust (@CptKrustenkaese) August 10, 2021
Und wenn du jetzt meinst „bis dahin fährt alles Automatisch“. Nein. Wir fahren Teils mit Streckentechnik aus dem Krieg. Wir haben Langsamfahrstellen wo wir nur 50 statt 120 fahren dürfen, seit Monaten, weil kein Geld da ist das zu reparieren. Verreib dir das.
— Cpt. CheesyCrust (@CptKrustenkaese) August 10, 2021
„Ihr verdient eh schon viel zu viel!“
Ein großteil des Nettolohns sind Steuerfreiezuschläge. Krank? Urlaub? Dann fällt das alles weg. Werde ich morgen Arbeitslos oder Langzeitkrank gehe ich dreistellig Nachhause.
Jetzt könnt ihr euch auch mal noch die Frage
— Cpt. CheesyCrust (@CptKrustenkaese) August 10, 2021
stellen. Wie oft im Jahr stehe ich um 2Uhr morgens auf? Genau, einmal im Jahr wenn der Ferienflieger nach Malle geht. Nicht nur das wir JEDEN TAG eine andere Uhrzeit haben zu der wir anfangen und aufhören ( 8-16 Uhr, lol ). Es wird auch bunt gewürfelt.
Montags hat man eine
— Cpt. CheesyCrust (@CptKrustenkaese) August 10, 2021
4Uhr Frühschicht. Dienstags eine 16 bis 1 Uhr Spät schicht. Dann darf man gucken wie man seinen Biorhytmus wieder auf Früh geprügelt bekommt, denn am Donnertsag geht es um 4Uhr weiter.
Mimimimi? Nein, ich möchte nur mal aufzeigen das solche Arbeitsbedinungen halt auch Entlohnt
— Cpt. CheesyCrust (@CptKrustenkaese) August 10, 2021
werden müssen.
„Die Bahn ist tief im Minus!!!“
So tief im Minus das die Vorstände sich dieses Jahr 210Mio € genehmigt haben. Ja, da stecke ich mir meine 1,5% mehr Lohn mal lieber an den Hut. Im übrigen wurde das was die GDL fordert letzte Woche bei einem Privaten Eisenbahn
— Cpt. CheesyCrust (@CptKrustenkaese) August 10, 2021
Unternehmen genau so abgeschlossen. Ohne Streik. Und ohne Staatlichen Goldesel in der Hinterhand. Im gegenteil, dort hängen Finanzinvestoren mit drin.
„Heul nicht rum, du hast dir das doch ausgesucht!“
Ich mach den Job gerne, die Arbeitsbedinungen sind aber verbesserungswürdig.
— Cpt. CheesyCrust (@CptKrustenkaese) August 10, 2021
Im übrigen habe ich den Job vor rund 10 Jahren angenommen WEIL ich mir bewusst war, das es hier einen Gewerkschafft gibt die eben auch mal die AN Interresen durchsetzt. Und ich nicht wieder in einem Beruf hänge wo man auf das Gutdüng des Vorgesetzten angewiesen ist. Und warum
— Cpt. CheesyCrust (@CptKrustenkaese) August 10, 2021
nicht etwas daran ändern wenn man die Möglichkeit hat? Nur weil andere Berufsgruppen es nicht geschissen bekommen sich Gewerkschaftlich zu organisieren und vor ihrem AG kuschen? Oder sich gar einreden lassen das eine Gewerkschaft ja eher schlecht für sie sei? Wow….
— Cpt. CheesyCrust (@CptKrustenkaese) August 10, 2021
Bei Kurzarbeit wären wir übrigens mit 90% des Lohns daheim geblieben. Auch so ein Ding, was von den beiden Gewerkschaften durchgedrückt wurde. Da war nix mit „freiwilliger Aufstockung weil der Chef so spendabel ist“.
— Cpt. CheesyCrust (@CptKrustenkaese) August 10, 2021
Ein Streik der niemanden Betrifft, führt halt zu nix. Statt das ihr Reisende, Andy Scheuer den Arsch aufreist uns faire Löhne zu bezahlen das auch morgen hier noch jemand Arbeiten will, lassst ihr euch weils mal unbeqeuem wird für ein paar Tage vor dessen Karren spannen. 👍
— Cpt. CheesyCrust (@CptKrustenkaese) August 10, 2021
Im übrigen, wer Lokführer werden will, hebt die Hand. Sofern er den Einstellungstest besteht, kann er morgen mit der Ausbildung anfangen. SO beliebt ist der Beruf.
Wie in der Pflege karrt man schon Leute aus der EU hier her um ihn auszuführen weil kein „Deutscher“ ihn will.
— Cpt. CheesyCrust (@CptKrustenkaese) August 10, 2021
Nochwas zu Überstunden. Das Corona Jahr, war das erste in meiner Laufbahn welches ohne welche auskam. In Glanzzeiten hab ich 220h hinbekommen. Oder den Urlaub durch. Vergessen solltet ihr vlt. nicht das ich keine Pakete ausliefere sondern Pendler und Schülerzüge fahre.
— Cpt. CheesyCrust (@CptKrustenkaese) August 10, 2021
Desweiteren habe ich ein Anrecht auf ein(!) freies Wochenende im Monat. In meiner Region klappt es immerhin Recht gut das es meist zwei sind. Oder eines und das andere dafür So+Mo frei.
Feiertage? Weihnachten? Silvester? Karneval? 🙃 Haha! Good one! Kein Anrecht.
Und jetzt seid
— Cpt. CheesyCrust (@CptKrustenkaese) August 10, 2021
ihr Anfang 20 und Single. Ihr könnte ja Mal Versuchen mit soviel Zeitlichen Spielraum für Soziale interaktionen einen Partner zu finden. 🤡
Wie gesagt, ich mache meinen Job mit all diesen Begleiterscheinungen gerne, weil er mir Spaß macht. Aber dann muss ich mir anhören das ich
— Cpt. CheesyCrust (@CptKrustenkaese) August 10, 2021
~1,5% mehr Lohn nicht wert bin?
Dann macht den Laden zu und stellt auf Busse um. Ach ne… da gibts ja auch an allen Ecken kein Personal. Woran das wohl liegt?
— Cpt. CheesyCrust (@CptKrustenkaese) August 10, 2021
Danke an die Zeitungen, Radio und TV für die Anfragen per PM. Aber ein Interview mit mir ist eher so wie ein Reh im Scheinwerfer Licht. Nicht wirklich redegewand, Sie kennen das ja von diversen Ansagen aus unseren Zügen. 😉
Stehe daher nicht zur verfügung. Sorry. 😚✌️
— Cpt. CheesyCrust (@CptKrustenkaese) August 10, 2021
Das sagen andere User:
Die Hasskommentare über Lokführer ersparen wir euch an dieser Stelle. Wie viele der Bahnreisenden reagiert haben, kann sich sicher jeder vorstellen. Deswegen haben wir nur ein paar der besten Solidaritätsbekundungen hier für euch zusammengetragen.
— Heinrich Laun (@Kreuznacher) August 10, 2021
Statt euch über den #Bahnstreik aufzuregen solltet ihr euch lieber an die Seite der Lokführer*innen stellen. Je schneller deren (absolut berechtigte) Forderungen umgesetzt werden, desto eher ist die ganze Sache hier vorbei. ✊🏾🚅
— Fridays for Future Leipzig – streikt am 24.09. (@FFFLeipzig) August 11, 2021
Verstehe die Aufregung um den #bahnstreik nicht.
1,5% mehr Lohn sind weniger als der Inflationsausgleich. Dass die Bahn das ihren Angestellten nicht zugesteht, ist doch der eigentliche Skandal.
— Henrik Merker (@HRMRKR) August 10, 2021
Ein Streik, der nicht stört, ist kein Streik. MfG, ein Bahnfahrer #Servicetweet #bahnstreik
— 𝘼𝙗𝙙𝙚𝙡𝙠𝙖𝙧𝙞𝙢 (@AbdelkarimsLP) August 10, 2021
Wer eine Eisenbahn ohne Streiks haben möchte, muss die Personale eben verbeamten. #Bahnstreik
— JeDi (@JeDi_TS) August 10, 2021
Die Beschäftigten der Bahn haben grade in der Corona-Krise unter schwierigen Bedingungen gearbeitet, dass sie nun für höhere Löhne streiken ist ihr gutes Recht.
Solidarität mit dem #bahnstreik gegen die unterirdischen Angriffe auf die Beschäftigten— Jules El-Khatib (@ju_khatib) August 10, 2021
Vielen Dank für eure Aufmerksamkeit. Wer das Zugfahren und den Flair der Deutschen Bahn während des Streiks vermisst, kann hier in Erinnerungen schwelgen: