Thread: Warum Rapejokes nie lustig sind
Triggerwarnung: Dieser Beitrag thematisiert sexualisierte Übergriffe und Vergewaltigungen. Am Osterwochenende sorgte ein gemeinsamer Instagrampost der Comedians Joyce Ilg und Luke Mockridge für Kritik und Aufsehen. Um die erhobenen Vorwürfe sexualisierter Gewalt, die Mockridges Ex-Freundin Ines Anioli im letzten Jahr öffentlich bekannt gemacht hatte, soll es an dieser Stelle nicht gehen. Allerdings bekommt das gemeinsame Foto, das mit dem Kommentar „Hat hier irgendwer von euch Eier gefunden? Ich hab nur ein paar K.-o.-Tropfen bekommen.“ versehen war, dadurch zusätzlich an Brisanz. Joyce Ilg besteht darauf, das es nur ein lockerer Spruch sein soll, der als Seitenhieb auf einen Vergewaltigungswitz aus einem älteren Programm von Mockridge zu verstehen ist. Dieser wurde im Zuge der Vorwürfe als „Beweis der Schuld“ gedeutet.
Aber ob nun lockerer Spruch oder edgy Rapejoke, lustig geht anders. Kennt man die Hintergründe oder ist gar selbst Opfer geworden, vergeht einem schnell das Lachen. Es gibt zwar keine verlässliche Statistik darüber, wie viele Menschen jährlich Opfer von K.-o.-Tropfen werden, aber nur, weil die meisten Betroffenen es erst gar nicht bemerken. Unter solche Tropfen fallen zahlreiche Chemikalien und Drogen wie Ketamin oder wie in den meisten Fällen GHB, auch als Liquid Ecstasy bezeichnet. Da beide geschmacks- und geruchlos sind, schütten die Täter sie ihren Opfern heimlich in deren Getränke. Schon nach wenigen Minuten wird den Betroffenen schwindelig und sie können nicht mehr klar denken. Wenig später werden sie für Minuten oder auch mehrere Stunden bewusstlos. Die Täter nutzen diesen Zeit für Sexualdelikte oder um sich der Wertgegenstände ihrer Opfer zu bemächtigen. Nach dem Aufwachen können die Betroffenen sich meist nur an wenig oder gar nichts erinnern, was die Ermittlungen für die Polizei nahezu unmöglich macht, wenn es denn überhaupt zu einer Anzeige kommt. Die Kombination aus Alkoholkonsum, den Gedächtnislücken und der Scham über das Erlebte sprechen zu müssen, spielt den Tätern in die Hände. Deswegen geht die Opferhilfe Weißer Ring auch von einer sehr hohen Dunkelziffer aus. Der nun folgende Thread von @Dr_Emergencydoc liefert dafür das entsprechende Fallbeispiel.
Ich möchte euch von einem #Notarzteinsatz erzählen, der in mir wieder hochkam, möglicherweise auch durch aktuelle, pseudowitzige Influencerscheiße getriggert. Einsätze, bei denen wir mit Vergewaltigungsopfern zu tun haben, sind besonders schwierig, weil für uns neben der akuten
— Emergency doc (@Dr_Emergencydoc) April 18, 2022
Belastungssituation für die Opfer auch deren mögliche Verletzungen und Erkrankungs- oder Vergiftungssymptome zu beachten sind, und wir dabei das notwendige tun müssen, um zu helfen,ohne zu retraumatisieren. Zusätzlich kommt man in Situationen, in denen möglicherweise auch noch
— Emergency doc (@Dr_Emergencydoc) April 18, 2022
Täter vor Ort sind oder sich gerade ein Polizeieinsatz abspielt. Hier gilt immer: wir sind die Retter, um die Täter kümmert sich die Justiz, wir urteilen nicht, wir bestrafen nicht. Das kann man falsch oder unerfüllbar finden, es ist aber unsere unabdingbare Arbeitsgrundlage.
— Emergency doc (@Dr_Emergencydoc) April 18, 2022
Wir werden spät abends als NEF mit einem RTW zu „unklare Bewusstseinsstörung“ alarmiert. Vor Ort in einer Wohnung nimmt uns eine Polizistin in Empfang, man habe nach einem Zugriff eine junge, nicht richtig ansprechbare Frau gefunden. In einem nur mit einer Matratze „möblierten“
— Emergency doc (@Dr_Emergencydoc) April 18, 2022
Zimmer finden wir eine bewusstlose, bis auf den BH entkleidete Frau vor. Ich setze mich sofort an ihren Kopf und kann durch freimachen der Atemwege und Esmarch Handgriff die schnarchende Atmung verbessern, ihre blauen Lippen werden allmählich wieder rosig. Während die Kollegen
— Emergency doc (@Dr_Emergencydoc) April 18, 2022
Monitoring und Basisdiagnostik vorbereiten und durchführen, schaue ich nach Verletzungen und versuche die Situation einzuschätzen. Ich sehe zahlreiche Prellungen und Quetschungen auf dem Körper, die Bekleidung ist zerrissen. Von nebenan ist Geschrei zu hören, insbesondere die
— Emergency doc (@Dr_Emergencydoc) April 18, 2022
gebrüllten Befehle der Polizisten. Ich äußere dem Team gegenüber meinen Verdacht einer stattgefundenen Vergewaltigung mit uns bisher unbekannten Drogen. Nach dem Legen eines Venenzugangs wacht die Patientin plötzlich halb auf und fängt panisch an zu schreien und sich zu wehren.
— Emergency doc (@Dr_Emergencydoc) April 18, 2022
Da sie jedoch immer wieder bewusstlos wird, erhält sie ein starkes Beruhigungsmittel, daß es uns überhaupt ermöglicht, vernünftig zu arbeiten. Ich wünschte es wäre ohne gegangen, aber leider geht es gerade nur so. Ich lege ihr eine Atemwegshilfe über die Nase ein und wir wickeln
— Emergency doc (@Dr_Emergencydoc) April 18, 2022
sie in eine Rettungsfolie, um sowohl den Wärmeerhalt, die Wahrung ihrer Intimsphäre und den Schutz vorhandener forensischer Spuren zu sichern. Sie schläft jetzt durch meine Sedierung, die Atmung funktioniert mit dem Atemwegshilfe gut. Beim Hinaustragen kommen wir auch an dem
— Emergency doc (@Dr_Emergencydoc) April 18, 2022
Zimmer vorbei, in dem die Polizei die Tatverdächtigen festhält. Ich sehe zwei gefesselte junge, tränenüberströmte Männer. Einer versucht dem anderen auf russisch etwas zuzuflüstern. Die Reaktion des Polizisten ist prompt: „SCHNAUZE! ICH KANN RUSSISCH, ICH VERSTEHE, WAS IHR SAGT!“
— Emergency doc (@Dr_Emergencydoc) April 18, 2022
Ich frage die Polizistin, die uns reinließ, was genau passiert ist. Bis auf den Umstand, das man aufgrund der Geräusche aus der Wohnung von Nachbarn gerufen worden sei, erfahre ich aber nichts, mein Verdacht einer Vergewaltigung scheint sie aber nicht sonderlich zu überraschen.
— Emergency doc (@Dr_Emergencydoc) April 18, 2022
Wir geben die Patientin letztlich in einem geeigneten Krankenhaus ab. Was mich an diesem Fall immer noch beschäftigt, ist der Umstand, daß ich keine andere Möglichkeit hatte, als die Patientin zu sedieren und wir sie dafür einige Sekunden festhalten mussten. Außerdem werde ich
— Emergency doc (@Dr_Emergencydoc) April 18, 2022
nie vergessen, wie die Tatverdächtigen weinten, und zwar offensichtlich um sich selbst. Keine Reue, kein Bedauern, nur Selbstmitleid. Und trotzdem wäre ich auch für sie nach bestem Wissen und Gewissen tätig geworden, wenn sie mich benötigt hätten. Das gehört zum Arztsein dazu.
— Emergency doc (@Dr_Emergencydoc) April 18, 2022
Was will ich mit diesem Fallbeispiel sagen?
Es gibt bestimmt gute Witze über oder mit Vergewaltigung als Thema, eine Verhöhnung von Vergewaltigungsopfern ist aber eben kein guter Witz, sondern nur das: eine Verhöhnung. Macht das nicht, sonst seid ihr halt einfach nur scheiße.— Emergency doc (@Dr_Emergencydoc) April 18, 2022
Zusatzanmerkung für Rettungsdienstler: Wir arbeiten gut und kollegial mit der Polizei zusammen, aber sie wird uns niemals Informationen zukommen lassen, die nicht für uns freigegeben wurden, ganz ohne böse Hintergedanken. Macht das auch nicht, denkt immer an eure Schweigepflicht!
— Emergency doc (@Dr_Emergencydoc) April 18, 2022
Das sagen andere User:
Vergewaltigungswitze sind nicht lustig. Punkt. Wer das auch nach diesem Thread noch nicht begriffen hat, dem ist wahrscheinlich auch nicht mehr zu helfen. Was die Leserinnen und Leser des Threads zu sagen hatten, wollen wir euch natürlich nicht vorenthalten. Ein paar der treffendsten Kommentare und Reaktionen haben wir für euch gesammelt.
Für mich schon, allerdings ist das leider kein offizielles Thema damals in meinem Studium gewesen, insofern hängt es zumindest bei Ärzten, die schon mehr als 20 Jahre praktizieren, vom eigenen Lernwillen und Engagement ab.
— Emergency doc (@Dr_Emergencydoc) April 18, 2022
Geschult für solche Einsätze? Habt ihr danach auch jmd mit den ihr sprechen könnt?
Eine Ergänzung habe ich: es gitb keine, aber gar keine guten Witze über Vergewaltigung, sex. MB, Mord an Kindern. Darüber lachen alle, ausser die Opfer/Angehörigen selbst. Es ist unerträglich.— Philologin (@philologue_) April 18, 2022
Ich kenne üble Geschichten von Opfern (auch Kinder) selbst oder deren Angeh. Vergew.bis zur Bewusstlosigkeit gewürgt m Messer traktiert, wie Müll abgeladen – verbrannt.Den Opfern wird oft Mitschuld unterstellt. Grausam! Diese Verharmlos und sog. Gags über KO-Tropfen-unerträglich!
— Heike (@Heike73173860) April 18, 2022
Beruhigungsmittel ist in so einer Situation sehr wichtig! Wurden KO-Tropfen verwendet, kann es zu völligem Blackout kommen. Betroffene spüren ihren geschundenen Körper u. können nichts zur Ergreifung der/des Täter/s beitragen. Dies kann sehr belastend sein. Jeder reagiert anders.
— Heike (@Heike73173860) April 18, 2022
Danke für den Einsatz aber es gibt KEINE!!! Witze über Vergewaltigung die im entferntesten angebracht geschweige denn „gut“ sind. Vergewaltigung ohne Opfer gibt es nicht. Jeder Witz über Vergewaltigung verhöhnt die Opfer. Und ist ein klassisches Beispiel für rape culture.
— Carlotta Cornelius 🇺🇦 (@MsKarlLothar) April 18, 2022
Vielen Dank für eure Aufmerksamkeit! Vielleicht interessiert euch ja dieser Thread: