Thread: Die Angst ist ein ständiger Begleiter
Triggerwarnung: Dieser Beitrag thematisiert sexuelle Belästigung bzw. belästigendes Verhalten
Laut einer Erhebung des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) hat mehr als die Hälfte der in Deutschland lebenden Frauen schon mindestens einmal sexuelle Belästigung erfahren. Wahrscheinlich sind tatsächlich mehr Frauen davon betroffen, wenn es in unserer Gesellschaft klar kommuniziert würde, wo die tatsächlich Belästigung anfängt. Die häufigsten Fälle finden in der Öffentlichkeit statt, werden von unbekannten Personen verübt und sind nicht körperlich. Man unterscheidet dabei drei Arten von sexueller Belästigung: verbal, nonverbal und körperlich. Besonders das „Catcalling“, also das Hinterherrufen oder Pfeifen wird oftmals als harmlos heruntergespielt oder gar als Kompliment verdreht. Besonders beliebt ist es, wenn Männer in Gruppen unterwegs sind. Unter nonverbal fallen zum Beispiel Anstarren, Verfolgen oder In-den-Weg-stellen. Ist doch total harmlos und hat doch überhaupt nichts mit Belästigung zu tun, oder?
Vielleicht liegt das fehlende Bewusstsein bei diesem ernsten Thema auch daran, dass die körperliche Belästigung die einzige in Deutschland ist, die durch das Gesetz tatsächlich geahndet wird. Und das auch nur, wenn das Opfer beweisen kann, dass die Berührungen vorsätzlich waren. Verbale Belästigungen lassen sich vereinzelt als Beleidigung oder Nötigung anzeigen, allerdings mit eher geringen Aussichten auf Erfolg. Im besten Fall werden sie mit einer Geldstrafe geahndet. Immer muss zuerst die Hürde einer Anzeige genommen werden, die oftmals von Täter-Opfer-Umkehr geprägt ist, wenn die Frau zu aufreizend angezogen oder geschminkt ist. So ist es also gar kein Wunder, dass viele Vorfälle gar nicht erst bekannt werden. Solange das so ist, gehört die Angst vor sexueller Belästigung zum Alltag vieler Frauen. Wer einmal in eine solche Situation geraten ist, für den ist die Panik nachts allein auf dunkler Straße ein ständiger Begleiter. Um für dieses Thema zu sensibilisieren, hat die Twitteruserin @Zwiebelninja den nun folgenden wichtigen Thread geschrieben.
CN Belästigung
Beim Aussteigen aus der Straßenbahn warte ich grundsätzlich immer so lange an der Haltestelle, bis ich die Männer, die ebenfalls ausgestiegen sind, nicht mehr sehen kann, weil ich das Gefühl nicht mag, wenn sie hinter mir laufen, insbesondere spät abends.
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— Zwiebelninja (@Zwiebelninja) February 6, 2022
Und mit Gefühl meine ich die Angst, dass mir jemand von hinten zu nahe kommt oder mich angreift.
Ich habe hinten nun mal keine Augen und sich andauernd umzudrehen oder nach Hause zu rennen, ist auch keine wirklich tolle Option.Also warte ich.
— Zwiebelninja (@Zwiebelninja) February 6, 2022
Blöd nur, wenn die betrunkene Gruppe Männer irgendwo auf meinem Weg nach Hause Halt macht zum Wildpinkeln, was ich zuvor weder von der Haltestelle aus sehen noch erahnen konnte.
Was soll ich also machen? Abwarten und zugucken? Wohl kaum.
Also laufe ich an Ihnen vorbei.
— Zwiebelninja (@Zwiebelninja) February 6, 2022
Richtig blöd wird es dann, wenn ich nicht schnell genug bin und sie immer weiter aufholen und mir dann auch noch zurufen, ich solle mich doch mal zu ihnen umdrehen und warten, weil sie mich gerne etwas fragen wollen.
Also renne ich. Ich renne und renne und renne bis nach Hause.
— Zwiebelninja (@Zwiebelninja) February 6, 2022
Aber ja, als Frauen gelesene Personen brauchen absolut keine Angst zu haben, abends allein unterwegs zu sein. Das ist total unbegründet.
Mein o.g. Bericht ist ja nur ein Einzelfall, nicht alle Männer sind so und außerdem ist ja auch rein gar nichts passiert, gell?
🤡
— Zwiebelninja (@Zwiebelninja) February 6, 2022
1.
Es ist KEIN Einzelfall. Es ist lediglich EINE der Geschichten, die mir bereits passiert ist. Es gibt noch zahlreiche weitere solcher Erlebnisse.Außerdem bin ich auch nicht die einzige Person, die bereits solche oder gefährlichere Erfahrungen machen „durfte“.
— Zwiebelninja (@Zwiebelninja) February 6, 2022
2.
Richtig. Es sind auch nicht alle Männer so. Aber woher soll ich bitte wissen, ob dieser eine Mann nicht genau zu dieser Gruppe „Mensch“ gehört?Das kann ich nicht wissen. Also bin ich bei ALLEN Männern vorsichtig.
— Zwiebelninja (@Zwiebelninja) February 6, 2022
3.
Es ist nichts passiert. Wann ist es denn bitte kein Nichts mehr? Bei einer Vergewaltigung? Supi.Aber schon gut, es ist „nichts“ passiert, außer dass ich Angst um meine körperliche Unversehrtheit hatte und noch stundenlang danach total aufgekratzt und nervlich am Ende war.
— Zwiebelninja (@Zwiebelninja) February 6, 2022
Und genau dieses „nichts“ werde ich für immer mit mir herumtragen, besonders dann, wenn ich wieder einmal abends aus der Bahn steige und warte, bis ich die Männer, die mit mir ausgestiegen sind, nicht mehr sehen kann.
Aber nächstes Mal warte ich noch ein wenig länger.
— Zwiebelninja (@Zwiebelninja) February 6, 2022
Nachtrag:
1. Ich danke all jenen, die sich hier respektvoll und anständig benehmen. Ihr habt erkannt, dass diese Problematik nur GEMEINSAM angegangen werden kann.
2. Ich danke allen für den Mut, ihre eigenen Erlebnisse hier zu teilen (egal ob m/w/d)
— Zwiebelninja (@Zwiebelninja) February 7, 2022
3. Zu fragen, wie man sich als männlich gelesene Person anders verhalten kann, ist definitiv KEINE blöde Frage, sondern zeigt, dass ihr die Situation ernstnehmt (mehrfach jetzt gelesen)
4. Ich versuche auf alles zu antworten, falls nicht, ist das keine böse Absicht.
Danke 💚
— Zwiebelninja (@Zwiebelninja) February 7, 2022
Noch eine wichtige Sache:
Bitte keinen Geschlechterkampf daraus machen!
Schuldzuweisungen, Rechtfertigungen, Relativierungen und Pauschalisierungen bringen uns nicht voran.
Wir sind alle ein Teil der Gesellschaft und müssen daher auch zusammenarbeiten, nicht gegeneinander. 💜
— Zwiebelninja (@Zwiebelninja) February 7, 2022
Und noch ein Nachtrag (weil gewünscht) für die männlich gelesenen Personen, die gerne wissen möchten, wie sie sich in den Fällen, bei denen eine Person (m/w/d) vor ihnen läuft, verhalten können und nicht jede Reply hier durchforsten möchten:
B!
— Zwiebelninja (@Zwiebelninja) February 7, 2022
Das sagen andere User:
Diese Thema braucht mehr Bewusstsein! Wir hoffen, dass dieser wichtige Thread dazu beiträgt. Nachfolgend haben wir ein paar der treffendsten Reaktionen und Kommentare für euch gesammelt.
Liest sich ziemlich beklemmend. Wieso passiert sowas? Betrunken oder nicht. Kann es nicht verstehen. Mußte an dieses Video denken. Dass das beängstigend ist, kann ich gut verstehen. https://t.co/KvlapCuQxS
Was hilft dagegen? Aufklärung? Gut dass du das geschrieben hast.— Lämêth (@Lam3th) February 7, 2022
Wenn einsam oder im Dunkeln eine Frau vor mir geht, wechsle ich die Straßenseite und überhole sie schnell ohne zu gucken. Wohlwissend, dass das sicherheitstechnisch genau das falsche ist, aber sie weiß das ja nicht.
— Johann van de Bron (@Johann_v_d_Bron) February 7, 2022
Mich hat mal einer von der anderen Straßenseite aus sehr höflich u zurückhaltend angesprochen. Ob mir Recht wäre, wenn er dort parallel läuft, zu zweit wäre keiner allein unterwegs.
Habe gestutzt und mich gefreut und zugesagt.— Biki en España (•_•) (@Bikibike) February 7, 2022
Mich hat mal jemand höflich u zurückhaltend nach dem Weg gefragt.
Vor meinem Haus. Nachts.
Im nächsten Moment lag ich auf dem Boden, mit einer Hand auf d Mund gepresst.
(Streetfight hatte Glück)
Ein junger Deutscher aus gutem Hause wollte aus Langeweile viele Frauen vergewaltigen— Arizona 😷 🏳️🌈 (@ArizonasTweets) February 7, 2022
Ich als Mann fühle mich schon unwohl in solchen Situationen, wenn jemand hinter mir herläuft. Deshalb mag ich es auch nicht, nachts hinter anderen Menschen, besonders Frauen, herzulaufen. Zumal ich meist sehr schnell gehe. Ich wechsle deshalb dann auch oft die Straßenseite.
— Wanderkröte (@TransitKroete) February 6, 2022
Kann ich gut nachvollziehen. Richtig kacke. Soweit, dass ich die Straßenseite wechsle, wenn es sich abzeichnet, dass ich eine Frau auf langer Strecke vor mir haben werde. Das alles färbt ab.
— Jam Soil (@SoilJam) February 6, 2022
Vielen Dank für eure Aufmerksamkeit! Um das Thema Belästigung geht es auch in diesem Beitrag: