Thread: Ursula und der Pflegenotstand
Seit Jahren schreiben wir hier über den Pflegenotstand. Es sind mittlerweile so viele Threads und Themenbeiträge, dass wir die Einleitungen ohne Änderungen per Copy und Paste wiederverwerten könnten. Denn geändert hat sich praktisch nichts. Was genau bedeutet Pflegenotstand eigentlich? Nein, es geht nicht um die Definition. Die kennen wir! Pflegenotstand ist ein politisches Schlagwort, unter dem man die schlechten Arbeitsbedingungen, die dürftige Bezahlung und die immer weiter schrumpfende Zeit am Patienten zusammenfasst. Es geht darum, was das menschlich bedeutet. Denn das scheint in den Pressemitteilungen und vor allem auch im aktuellen Wahlkampf in Vergessenheit zu geraten oder wird durch die Verantwortlichen heruntergespielt und ad absurdum geführt. Gerade jetzt – kurz vor der Bundestagswahl – wird es Zeit, sich noch einmal bewusst zu werden, was dieser Notstand für die Patienten bedeutet und wo der nächste Gesundheitsminister unbedingt tätig werden muss. @DerPflegel hat dazu diesen sehr ausführlichen Thread geschrieben. So wie es ist, darf es auf keinen Fall bleiben!
Thema: Ursula und der #Pflegenotstand.
Ursula, 80, Zustand nach Schenkelhalsbruch. Sie liegt im örtlichen Krankenhaus.
6:30 Uhr: Pünktlich nach der Übergabe weckt die Schwester Ursula, schaltet das Licht ein, beginnt mit der #Pflege. Ursula kann sich (1)
— Der Pflegel ✌️😷 (@DerPflegel) September 7, 2021
kaum bewegen, ist auf die Hilfe der Schwester angewiesen. Diese hilft ihr bei der Mobilisation in den Rollstuhl, fährt sie ans Waschbecken und hilft ihr beim Auskleiden. Anschließend soll sich Ursula „oben rum“ schon einmal fertig machen, schließlich hat sie es in der Hüfte (2)
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und nicht in den Armen. Die Schwester geht in dieser Zeit zum Nachbarn, kommt aber danach wieder, um Ursula beim Unterkörper zu helfen.
7:00Uhr: Ursula hat sich mehr schlecht als recht gewaschen, die Zähne geputzt. Nun sitzt sie allerdings im Bad und kann sich keine Kleidung (3)
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zum Anziehen aus dem Schrank holen, da sie oben nicht dran kommt. Also wartet sie geduldig auf die Schwester.
7:10 Uhr: Ursula wird langsam kalt. Sie entscheidet sich zu klingeln, vielleicht hat man sie vergessen.
7:15 Uhr:Die Schwester stürmt ins Zimmer und fragt, ob alles (4)
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in Ordnung sei, sie habe gerade den Nachbarn in einer schlechten Situation vorgefunden, zudem habe sich die Fachkraft aus dem Zwischendienst krank gemeldet. Währenddessen legt sie Ursula ein Kleidungsstück raus und verspricht gleich wieder zu kommen.
7:30 Uhr: Ursula sitzt (5)
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noch im Bad,da klopft es an der Tür. Die Servicekraft bringt das Frühstück und stellt es auf den Tisch.
7:45Uhr: Die Schwester ist endlich da. Sie hilft bei der Intimpflege, aber die Beine sind heute nicht drin, da sie noch 3 weitere Leute in Wartestellung habe. Im Anschluss (5)
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wird Ursula an den Tisch gefahren, damit sie frühstücken kann.
8:00 Uhr: Es klopft an der Tür: Der Therapeut ist da. Ursula hat ihr Brot geschmiert, flüchtig ein paar Bissen gegessen. Nun wird sie abgeholt und hat ihre Therapie.
11:00 Uhr. Ursula ist zurück im Zimmer. (6)
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Der Therapeut setzt sie am Tisch ab, allerdings gibts bald Mittagessen, somit lohnt es sich nicht, sie ins Bett zu bringen. Ursula ist nach den Anwendungen sichtlich erschöpft, jedoch hat sie dafür Verständnis und bleibt am Tisch sitzen. Ihr Frühstück wurde bereits abgeräumt. (7)
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12:00 Uhr: Mittagessen! Ursula hat richtig Hunger, nachdem sie das Frühstück quasi verpasst hat. Jedoch gibt es etwas, worauf Ursula allergisch ist. Sie klingelt. Dieses Mal war die Schwester schnell da. Ursula schildert ihr Anliegen, die Schwester kümmert sich sofort drum. (8)
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12:30 Uhr: Ursula klingelt erneut. Die Schwester kommt und kann sie jedoch nur vertrösten. „Es liegt an der Küche“, sagt sie. Sobald aber das Essen da ist, bringt sie es Ursula aufs Zimmer.
12:45 Uhr: Endlich ist das Essen da. Ursula schaufelt das Essen in sich rein, sie hat (9)
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wirklich großen Hunger. Kurz nach dem Beginn steht bereits die Servicekraft an der Tür um die Teller einzusammeln, sie gibt Ursula aber dann noch 5min, damit sie fertig essen kann. „Sonst beschwert sich die Küche, wenn die Teller nicht rechtzeitig unten sind!“, sagt sie. (10)
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13:00Uhr: Ursula ist nun wirklich müde und klingelt um ins Bett zu kommen. Die Schwester schaut zur Tür rein, fragt nach dem Anliegen und verabschiedet sich mit einem „Ich bin gleich bei Ihnen!“.
13:30Uhr: Ursula müsste nun auch dringend mal auf die Toilette, aber aufstehen (11)
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geht alleine nicht. Die Schwester hat sich zudem noch nicht blicken lassen. Sie rollt an die Tür, öffnet diese, schaut in den Gang. Von einer Schwester aber keine Spur. Sie kann aber anhand der grünen Lampe über dem Nachbarzimmer erkennen, dass sie dort sein muss. (12)
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13:45 Uhr: Ursula klingelt erneut. Die Schwester hilft ihr auf die Toilette, muss dann aber ganz dringend ins Nachbarzimmer. Sie soll klingeln, wenn sie fertig ist.
14:00 Uhr: Ursula ist fertig, sie klingelt wie ausgemacht. Kurz darauf geht die Tür auf, eine Schülerin kommt (13)
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herein, hilft ihr hastig in den Rollstuhl, denn „Wir haben gerade Übergabe!“ und geht schnell wieder raus.
14:45 Uhr: Der Spätdienst ist da und begrüßt Ursula. Die nette Schwester hilft ihr endlich ins Bett, sie ist bereits sehr müde. Die Schwester hat im Spätdienst etwas (14)
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Leerlauf, daher hilft sie Ursula gern.
15:15 Uhr: Besuchszeit. Die Kinder von Ursula sind da. Ursula ist sehr müde und realisiert den Besuch kaum. Die Kinder zitieren den Arzt herbei und erkundigen sich nach der Medikation. „Es kann wohl nicht sein, dass die Mutter so (15)
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abgeschossen im Bett liegt! Hat sie denn keine Therapie???“. Die Kinder rufen die Schwester herbei, Ursula wird schlaftrunken in den Rollstuhl mobilisiert und die Kinder machen mit ihr einen Spaziergang im Park.
17:00Uhr: Die Kinder verabschieden sich, die Schwester hilft (16)
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Ursula beim Umkleiden und nochmals auf Toilette. Und dann darf sie ins Bett.
17:45Uhr: Ursula kriegt ihr Abendessen aufs Zimmer gebracht, jedoch ist sie so müde, dass sie anstatt zu essen einschläft.
18:30Uhr: Schwester sammelt leise das Essen ein ohne drunter zu schauen (17)
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und zu merken, dass Ursula gar nichts gegessen hat. Sie möchte sie schlafen lassen.
20:00Uhr: Ursula ist wach geworden, weil sie Hunger hat. Sie klingelt und fragt nach etwas zu essen. Die Schwester sagt, es sei jetzt zu spät, es gäbe aber ein Reserve-Essen, das würde sie (18)
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ihr gerne holen. Es ist aufgewärmtes Essen von heute mittag. Zum Glück nicht das, worauf sie allergisch ist, jedoch ist lecker anders. Der Hunger treibts rein, danach geht sie schlafen. Ein anstrengender Tag geht zu Ende.
Nächster Morgen, 6:30 Uhr: Die Schwester öffnet (19)
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pünktlich nach der Übergabe die Tür und möchte Ursula zur Pflege mobilisieren. Ursula lehnt ab. Nach dem Tag gestern fühlt sie sich schwach und nicht in der Lage, so lange zu warten.
-> Ursula wurde negativ konditioniert. Sie verbindet negative Folgen mit dem Aufstehen. (20)
— Der Pflegel ✌️😷 (@DerPflegel) September 7, 2021
Diese Geschichte beruht auf Situationen, die so in deutschen Krankenhäusern stattfinden, zusammengefasst in einer etwas überspitzten Form. Die Protagonisten sind frei erfunden. #Pflegenotstand bedeutet, dass weniger Zeit für Patienten bleibt. Auch für die einfachen Dinge. (21)
— Der Pflegel ✌️😷 (@DerPflegel) September 7, 2021
Danke, dass ihr in den Kommentaren so offen über eure Erfahrungen sprecht. Ich versuche wirklich alle zu lesen.
Es ist wichtig, #Pflege im #Pflegestreik zu unterstützen, denn jeder von uns wird alt und krank und möchte dann die bestmögliche Versorgung!
— Der Pflegel ✌️😷 (@DerPflegel) September 7, 2021
Das sagen andere User:
So schockierend dieser (fiktive) Bericht auch ist, er ist nur die Spitze des Eisberges dessen, was tatsächlich in den Kliniken und auch in den Pflegeeinrichtungen passiert. Wir haben ein paar der treffendsten Kommentare für euch hier gesammelt.
Ich habe bei meinem letzten KH Aufenthalt als Patientin quasi die pflege meiner bettlägerigen bettnachbarin mit übernommen weil die Pflege so massiv unterbesetzt war. Ich war auch mal Pflegerin, deswegen war das nicht so schlimm, aber schlimm dass es nötig ist…
— Jahlee Su 🦑 (@Jahleesu) September 7, 2021
Danke für diesen furchtbaren Bericht. Wenn man es nicht selbst erlebt, kann man sich diese Zustände sonst nicht vorstellen.
— 🌈Frau Mensch 🟣 (@Frau_Mensch) September 7, 2021
Das ist mitnichten überspitzt erzählt!Es ist noch viel schlimmer.Als ich in der 1.Welle auf einer internistischen Station aushelfen musste,war ich schlichtweg entsetzt über die Zustände.Das Beschriebene war standard!
— Dil Punphy (@bjninile) September 7, 2021
Und wenn man als Pflegekraft sich nicht auf Roboter schaltet, wird man irgendwann nicht mehr können. Zu Hause grübelt man, was man wohl vergessen hat und kann nicht Abschalten.
— Henny geimpft und mit Maske (@sickoffnoplace) September 7, 2021
Danke für eure Aufmerksamkeit! Wir haben noch das hier für euch verlinkt: