#nichtselbstverständlich: ProSieben räumt die Bühne für unsere Pflegekräfte

Manuela Jungkind 01.04.2021, 15:34 Uhr

Es ist ein bisschen, als würde jemand einen Raum voller Menschen betreten und lauthals um Hilfe flehen. Die Menschen schauen kurz auf, blicken sich suchend nach der Stimme um und widmen sich dann wieder ihren Unterhaltungen, ohne der Person zu Hilfe zu kommen. So ungefähr muss es sich für die Pflegekräfte in Deutschland anfühlen. Seit Jahren ist der Pflegenotstand nicht nur bekannt, er spitzt sich auch weiter zu. Die Privatisierung von Krankenhäusern und anderen Versorgungseinrichtungen, maximale Auslastung der Betten bei gleichzeitiger Minimalbesetzung der Pflegenden, familienunfreundliche Arbeitszeiten, Überstunden, schlechte Vergütung, keine gesellschaftliche Wertschätzung, die Zunahme der Bürokratie – die Liste an Baustellen im Pflegesektor ist enorm. Die Corona-Krise ist, so hören wir es im Beitrag, nur ein Tropfen, der das ohnehin randvolle Fass zum Überlaufen bringt.

Gestern Nacht haben diese Menschen eine Art Verstärker bekommen. Ab 20:15 Uhr gab das ProSieben-Duo Joko Winterscheidt und Klaas Heufer-Umlauf seine eingespielte Sendezeit den Pflegekräften in Deutschland – und noch mehr: Per Bodycam konnte man die komplette Frühschicht von Meike Ista, Fachgesundheits- und Kinderkrankenpflegerin für Intensiv & Anästhesiepflege an der Uniklinik Münster, in Echtzeit verfolgen. ProSieben räumte dafür bis in die frühen Morgenstunden des heutigen Donnerstags das Programm. Passend zum Thema ganz ohne (Werbe)Pausen.

Wer die Sendung verfolgt hat, erlebte eindringlich die Arbeitsbedingungen von Meike Ista. Viele Momente des Beitrags sind emotional auch aus der Distanz des heimischen Bildschirms nicht einfach. Der Umgang mit schwerer Krankheit und Sterben, den die meisten von uns so weit weg wie möglich schieben, ist bei jedem Schritt, den die Krankenpflegerin geht, präsent. Begleitet wurde der Beitrag von Einschnitten anderer Pflegekräfte wie Esther Binar aus Oldenburg oder Alexander Jorde aus Hildesheim, der sich auch per Twitter zu Wort meldete.

Viele Twitteruser:innen kommentierten den Beitrag auf Twitter unter dem in der Sendung eingeblendeten Hashtag #nichtselbstverständlich.

Mehrere Politiker reagierten öffentlich mit Zustimmung auf die Ausstrahlung. Angesichts des langjährigen Versäumnisses, die Arbeitsbedingungen für die Betroffenen zu verbessern, ernteten sie – wenig überraschend – vor allem Hohn.

Mehrere Konkurrenzsender, Medien und Institutionen gratulierten ProSieben zu der gelungenen Aktion. Tatsächlich muss man betonen, was hier passiert: Ein großer Player verleiht seine Machtposition, um für ein wichtiges, gesellschaftlich relevantes und gleichzeitig unterbelichtetes Thema zu werben und einen schwächeren Akteur zu unterstützen – etwas, was zum Beispiel dem deutschen Fußball in Anbetracht der Menschenrechtslage im WM-Austragungsorts Katar nicht gelingt! Dabei geht es hier insbesondere um eins: gesellschaftliche Verantwortung! Dieser gerecht zu werden, ist eben nicht nur eine Frage der Politik. Jeder Einzelne kann und sollte seinen Beitrag leisten!

Für alle, die den Beitrag nicht gesehen haben, auf YouTube könnt ihr die ersten 33 Minuten davon verfolgen. Respekt an die Macher:innen. Und noch viel mehr Respekt an die vielen Pflegekräfte in Deutschland!

Thread: Pflexit – Das Exit Game für die Pflege

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