Thread: Ich glaube, ich wäre eine gute Intensivpflegerin, wenn das System es mich sein ließe
Der Begriff Pflegekräftemangel wabert bereits so lange durch Medien und Öffentlichkeit, dass man eigentlich nur noch den Kopf darüber schütteln kann, warum sich immer noch nichts tut. Wobei, es tut sich was, nur eben in die falsche Richtung. Dieser Eindruck stellt sich zumindest bei uns ein, wenn wir Posts und Diskussionen auf Twitter verfolgen. Ging es anfangs noch darum, dass Patient:innen mehr und mehr zu einer Zahl in einer Buchhalterkalkulation degradiert werden und die Pflege immer gehetzter und unpersönlicher wird, stellen wir in letzter Zeit fest, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Krankenhaus zunehmend zermürbt werden, abstumpfen oder ganz aufgeben. Wer kann es ihnen verdenken? Minimalbesetzung, Überstunden, Dauerstress, Bürokratie, immer weniger Wertschätzung, dazu die desaströse Corona-Politik von Bund und Ländern, die auch auf dem Rücken der medizinischen und pflegerischen Kräfte ausgetragen wird – wie kann eine Gesellschaft so die Menschen behandeln, die sich in unseren schwächsten Stunden um uns kümmern?
Auch Twitteruserin @DeMutsch hadert. Die gelernte Intensivpflegerin ist in den OP gewechselt, obwohl sie ihrer Arbeit auf der Intensivstation mit Engagement und Leidenschaft nachging. Ihr Thread ist vom 1. April, aber leider weder ein Scherz noch zeitlich begrenzt. Vielen Dank für diese ehrlichen Worte!
Zum 1. April mal KEIN Scherz:
Pflegekraft –
„Das selbstgeschafftes Leid!“Ich bin Fachkraft für Intensiv-und Anästhesiepflege und habe mich für die Arbeit im OP entschieden.
Warum?– Ein Thread –
— DeMutsch (@demutsch) April 1, 2021
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Ich liebe die Pflege von Patienten! Ich liebe es, Patienten kennenzulernen und mehr über ihren Alltag abseits der Klinik zu erfahren. Patienten die gern Zeitung lasen, setzte ich morgens mit einem Kaffee in einen Stuhl und gab ihnen die neuste Zeitung zu lesen.— DeMutsch (@demutsch) April 1, 2021
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Diese Selbstverständlichkeit mit der die Patienten das das dann taten, war toll. Die Reaktion der Angehörigen Vater/Mutter/Opa/Oma … in dieser vertrauten Situation zu sehen, war großartig.— DeMutsch (@demutsch) April 1, 2021
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Ich habe mit älteren Patienten Schlager gesungen, bin auf IHRE Wahrheit eingegangen und hab sie immer über mich gestellt. Und das fiel mir ganz leicht.— DeMutsch (@demutsch) April 1, 2021
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Auf der Intensivstation sprach ich mit intubierten und sedierten Patienten, achtete auf jede Regung und thematisierte diese in der Visite.
Patienten, die nicht mehr redeten oder reagierten und schon aufgegeben wurden, schenkte ich viel Aufmerksamkeit.— DeMutsch (@demutsch) April 1, 2021
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Ich mobilisierte sie und bekam sogar schon einen nicht zu erwartenden Luftkuss von einem dieser Aufgegebenen.
Auch wenn Ärzten und Geschäftsführenden nicht bewusst ist, wie viel diese Pflege zur Genesung beiträgt, weiß ich aber, dass sie das tut und das nicht nur anteilig!— DeMutsch (@demutsch) April 1, 2021
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Schon damals war für diese Art von „Bonus“-Betreuung wenig Zeit, mittlerweile ist dafür aber gar keine mehr übrig. Entweder man muss damit leben können, dass man nur das Beste aus der übrigen Zeit für den Patienten herausholt oder man zerbricht an der Situation.— DeMutsch (@demutsch) April 1, 2021
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Entweder wird man unzufrieden und verbittert den Patienten und Kollegen gegenüber oder man zieht die Reißleine!— DeMutsch (@demutsch) April 1, 2021
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Ich arbeite in der Anästhesie, weil die Patienten da so schnell kommen wie sie gehen. Ich kann für diesen kurzen Moment mein Bestes geben, Einfluss nehmen und da sein und vor allem kann ich nachts schlafen, weil mich nicht bedrückt, was ich NOCH hätte tun können.— DeMutsch (@demutsch) April 1, 2021
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Ich glaube, ich wäre eine gute Intensivpflegerin, wenn das System es mich sein ließe, aber dem ist nicht so. Kliniken sind Wirtschaftsunternehmen und das schwächste und austauschbarste Glied auf dem Papier sind u.a. wir.— DeMutsch (@demutsch) April 1, 2021
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Als Leitung zählt man mehr, aber als jemand, der die Patienten und nicht die Zahlen an erster Stelle sieht, bleibt auch nur eine Zahl auf dem Dienstplan. Und zwar die gleiche wie auch SchülerInnen egal welchen Lehrjahres -> und zwar die Zahl 1.— DeMutsch (@demutsch) April 1, 2021
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Und das nur solange man diese Einstellung nicht auslebt. „Da gibt es Ersatz, der mehr Engagement für’s Haus zeigt!“
Einige Kollegen sagen „Im nächsten Leben lerne ich was anderes!“. Ich kann das nicht sagen, ich will im nächsten Wunsch-Leben das Gleiche machen …— DeMutsch (@demutsch) April 1, 2021
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… aber unter MENSCHENGEBÜHRENDEN BEDINGUNGEN!
Für die Patienten und für Leute, die das genauso sehen wie ich!— DeMutsch (@demutsch) April 1, 2021
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An die Verantwortlichen:Das Niveau und der Anspruch von Pflegenden nimmt in großen Schritten ab und das auch am Privatpatienten! Solltet ihr dem mal erliegen, kann ich nur sagen -> DAS ist EUER
„Selbstgeschafftes Leid“!
— DeMutsch (@demutsch) April 1, 2021
Das sagen andere User:innen:
Auf Twitter erhält @DeMutsch erhält viel Zuspruch und Verständnis für ihre ehrlichen Worte. Mehrere User:innen berichten zudem von Situationen, die sie selbst im Krankenhaus erlebt haben, und erinnern daran, wie wichtig es ist, bei all der Angst, die man als Patient:in erlebt, Menschlichkeit und Zuwendung zu erfahren – eben genau die Dinge, die immer weiter wegrationalisiert werden. Wir haben wie üblich die treffendsten Kommentare für euch ausgewählt:
Davon unterschreibe ich jedes einzelne Wort. Mein Werdegang und die Gründe dafür sind identisch. Und ja ich würde es auch begrüßen wieder auf Intensiv arbeiten zu können, wenn das System wieder stimmt.
— VollzeitTante 🏳️🌈 (@Vollzeit_Tante) April 2, 2021
Das ist der Grund weshalb ich ausgestiegen bin. Ich konnte nicht mehr schlafen weil ich mich geschämt habe dafür wie wenig ich wirklich Pflegen konnte. Ganz ehrlich das was die Kunst der Pflege ausmacht ist nicht mehr möglich, wir sind nur noch Arzthelfer und keine Pflegekräfte
— Justin (@JustinAKA_Zaroc) April 1, 2021
Ich bin mal aus einer „aus Gründen“ üblen Narkose aufgewacht und es war keine gute Erfahrung.
Auch wenn es nur wenige Augenblicke sind, es ist wichtig. Es hallt nach. Lang, lange. Und es ist so wertvoll, dass es Caros da draußen gibt. ✊
— Veitstanz_mit_Katze (@debru_ma) April 1, 2021
Danke fürs Dasein in solchen Momenten. Vor meiner OP waren alle in der Vorbereitung bei mir. Die Hand auf der Schulter bis man „weg“ ist, tut so gut. Man sieht denjenigen nicht wirklich aber man ist nicht allein. 😘
— Sasisusanne 🏠 (@Sasisusanne1) April 2, 2021
1/2 Vielen Dank, dass du so bist! Ich hatte vor einigen Jahren eine OP unter Vollnarkose mit so einem Mittel, dass sich langsam durch den Arm brennt, bis einem ganz langsam die Lichter ausgehen. Für mich mit meiner Angst- und Panikstörung eine schreckliche Situation.
— Anduri (@anduri90) April 1, 2021
2/2 Damals stand eine Schwester oder Assistenzärztin über mir, hielt mir den Kopf, streichelte mich und sprach ganz ruhig mit mir. Eine wundervolle Geste in einer Situation, in der ich panisch war und mich völlig ausgeliefert gefühlt habe. Das werde ich niemals vergessen.
— Anduri (@anduri90) April 1, 2021
Auch wir sind inzwischen nur noch frustriert, dass einem Beruf, der von Empathie und Gewissenhaftigkeit lebt, immer weiter die Energie ausgesaugt wird. Jede:r, der schon einmal im Krankenhaus behandelt werden musste oder Freunde oder Familienmitglieder begleitet hat, kann vermutlich bestätigen, dass Pflege viel mehr als das Verabreichen einer Medikation oder das Wechseln eines Verbands ist. Dass der menschliche Aspekt im Gesundheitswesen immer weiter zurückgedrängt wird, beschränkt sich übrigens nicht nur auf die Pflege. Falls ihr wissen wollt, wie es sich für einen Chirurgen anfühlt, unter den aktuell überfüllten Intensivstationen Entscheidungen über Leben und Tod zu treffen, empfehlen wir euch folgenden Beitrag: