Thread: Mein Name ist Yvonne
Seelische Erkrankungen wie zum Beispiel Depressionen oder Angstörungen haben laut Statistik in den vergangenen Jahren zugenommen, die Gründe dafür sind vielfältig. Corona ist nur ein Faktor von vielen. Positiv an dieser Entwicklung zu vermerken ist, dass ein Teil der Zahlen darauf zurückgeht, weil Tabuisierung und Stigmatisierungen psychischer bzw. seelischer Erkrankungen abnehmen. Viele Betroffene scheuen sich nun nicht mehr davor, sich professionelle Hilfe zu suchen und sind sich dank des Internets viel eher bewusst, dass sie welche brauchen. Allerdings dauert es vier bis sechs Monate, bis man einen geeigneten Therapieplatz gefunden hat. Zwar gibt es digitale und telefonische Notfallangebote für die akuten Fälle, die Wartezeit ist dennoch viel zu lang. Und weil das so ist, teilen immer mehr Betroffene ihre eigenen Erfahrungen im Umgang mit ihren Erkrankungen, in der Hoffnung, dass ihre Bewältigungsstrategien auch anderen helfen können, bis sie professionelle Hilfe bekommen. Eine von ihnen ist die Twitteruserin @FrauBadbits. Ihren sehr treffenden Thread wollen wir euch hiermit ans Herz legen.
Hallo, mein Name ist Yvonne, ich bin 30 Jahre alt und leide an PTBS, Depressionen und einer Angststörung.
Die Angststörung hat mein Leben bisher am meisten beeinflusst, weil ich eine so genannte generalisierte Angststörung habe. Das bedeutet, es gibt nicht den einen großen— yvonne. (@FrauBadbits) August 31, 2022
Auslöser für Panikattacken und Angstzustände. Es gibt viele. Im Prinzip alles kann ein Auslöser sein.
Seit Wochen hatte ich keine richtig krasse Panikattacke mehr. Einen Angstzustand schon seit Monaten nicht mehr. Ich konnte ewig nicht alleine sein und schon gar nicht mit dem
— yvonne. (@FrauBadbits) August 31, 2022
Kleinkind. Zuhause nicht und draußen auch gar nicht.
Plötzlich ist es verschwunden. Ich bin den Tag über mit dem Kleinkind alleine – und auch wenn es mich vorab stresst, geht es ohne größere Probleme. Und ich kann auch draußen alleine unterwegs sein.
Wie das passiert ist?— yvonne. (@FrauBadbits) August 31, 2022
Tja, keine Ahnung. Oder vielleicht doch. Ich versuche hier mal zu sammeln, was mir hilft und mir geholfen hat. Für mich, um mich zu erinnern, wenn ich es brauche.
Für euch, weil ihr daraus vielleicht auch etwas ziehen könnt.
Seid ihr bereit?— yvonne. (@FrauBadbits) August 31, 2022
1. WATCH YOUR BODY
Ok ok, das machen Panikler*innen sowieso vielleicht ein bisschen zu viel. Aber macht es trotzdem, nur eben richtig. Lasst euch EINMAL von Ärzt*innen durchchecken. Wirklich. Nur ein einziges Mal. Und zwar nicht auf eine super seltene Krankheit, sondern lasst
— yvonne. (@FrauBadbits) August 31, 2022
nachsehen, ob die gängigsten Auslöser für Angst und Depressionen bei euch ok sind. Das sind die Schilddrüse und Nährstoffe. Bei den Nährstoffen am üblichsten: Eisen, Zink, Selen, Jod, B12 und D3
Ist alles bei euch okay, dann ist es die Psyche. Und das ist nicht schön, aber ok.— yvonne. (@FrauBadbits) August 31, 2022
Wieso das so wichtig ist?
– ihr habt die Gewissheit, dass ihr körperlich ok seid und das hilft
– wenn es euch körperlich nicht gut geht, seid ihr psychisch auch weniger widerstandfähig. Das ist normal.
– wenn‘s eine körperliche Ursache hat, könnt ihr machen was ihr wollt:— yvonne. (@FrauBadbits) August 31, 2022
Es wird nicht besser, wenn die Ursache nicht behoben wird.
— yvonne. (@FrauBadbits) August 31, 2022
2. MOVE THAT ASS
„Mach doch einfach Sport“ hat noch nie jemanden geholfen. Wird es auch nicht. Menschen mit Depressionen können nämlich oft gar kein Sport machen. Wenn sie es könnten, ginge es ihnen nicht so schlecht, wie es ihnen geht und das wäre schon gut.
ABER— yvonne. (@FrauBadbits) August 31, 2022
Bewegung hilft leider tatsächlich. Und dabei muss es nicht mal Sport sein. Aufräumen, spazieren .. die alltäglichen Dinge eben helfen oft auch schon. Und wenn‘s ganz doll am Antrieb hapert, hilft es mir immer, einen Timer zu stellen. Ich kann nicht alles schaffen, aber ich
— yvonne. (@FrauBadbits) August 31, 2022
kann 5 oder 10 Minuten zumindest etwas schaffen. Und man fühlt sich gleich besser.
Und zum Sport … tja.. also wenn ich einem psychisch kranken Menschen eine „Sportart“ empfehlen müsste, wäre es Yoga. Und zwar aus guten Gründen. Yoga hilft erwiesenermaßen am allerbesten. Wieso?
— yvonne. (@FrauBadbits) August 31, 2022
Ganz einfach. Man hampelt nicht sinnlos rum. Man kommt ins spüren. Man meditiert, kommt zur Ruhe und strengt sich doch manchmal ganz schön an. Alles in einem, sozusagen. Und man kann seine Praktik immer seiner Laune anpassen. Insbesondere „Umkehrhaltungen“ helfen ungemein, weil
— yvonne. (@FrauBadbits) August 31, 2022
naja wir sind meist Aufrecht unterwegs. Sitzen, stehen, gehen. Durch die Umkehrhaltungen kann aber die so genannte Gehirn-Rückenmark-Flüssigkeit besser ins Gehirn fließen und das hilft schon sehr viel.
— yvonne. (@FrauBadbits) August 31, 2022
3. BE SPIDER(WO)MAN
Spinn dir ein Sicherheitsnetz. Such dir Leute, die dich verstehen. Online, in Selbsthilfegruppen. Vertrau dich Freunden und Familie an. Psychiater*innen, Therapeut*innen – alles was irgendwie helfen kann. Spinn dir ein Netz. Das ist mit das allerwichtigste!
— yvonne. (@FrauBadbits) August 31, 2022
4. FEED YOUR SOUL
Mach mal die Augen zu. Also nur kurz. Atme mal tief ein und aus. Und dann frage dich, was dir gerade gut tun würde. Irgendwas realistisches. Und wenn dir nichts einfällt: was hat dir in der Vergangenheit gut getan? Wo hast du dich Wohlgefüht? Wobei hattest
— yvonne. (@FrauBadbits) August 31, 2022
du Spaß? Wo konntest du Kraft tanken? Vielleicht möchtest du im Wald spazieren. Oder mal wieder schwimmen gehen. Vielleicht auch nur eine Tasse Tee trinken. Oder einen extra leckeren Kuchen essen. Was auch immer es ist, was dir gut tut: tu es. So oft es geht. So viel es geht.
— yvonne. (@FrauBadbits) August 31, 2022
5. DANCE LIKE NO ONE IS WATCHING
Das Leben ist ein Tanz. Kein Sprint. Nicht mal ein Marathon. Es ist ein Tanz. Mal gehts 2 Schritte vor, dann einen zurück. Vielleicht auch mal einen zur Seite. Wie auch immer. Tanze einfach in deinem Rhythmus.
— yvonne. (@FrauBadbits) August 31, 2022
Es ist völlig okay, wenn du ein paar Fortschritte gemacht hast und dann ein Rückschlag kommt. Oder wenn du merkst, dass du mit deiner Strategie nicht weiter kommst und du dann eine andere ausprobierst. Es ist nicht nur okay, sondern es ist richtig richtig gut, denn so lernst
— yvonne. (@FrauBadbits) August 31, 2022
du unfassbar viel über dich und das Leben.
Such dir den Soundtrack deines Lebens aus und dann Tanz dazu.— yvonne. (@FrauBadbits) August 31, 2022
6. THE BEST VERSION OF YOU IS YOU
Klingt komisch, ist aber so. Es gibt Gründe, sehr gute Gründe, warum es dir momentan nicht gut geht. Das ist nicht schön, aber okay. Du musst da sein, wo du gerade bist und wie du gerade bist, denn das ist genau richtig.
— yvonne. (@FrauBadbits) August 31, 2022
Und wenn du das akzeptiert hast, dann mach nochmal die Augen zu, atme noch mal und dann stell dir mal vor, wie du wärst, wenn du absolut psychisch gesund und glücklich wärst. Wie würde sich das anfühlen? Was wäre in deinem Leben anders? Was würdest du anders machen? Mach‘s!
— yvonne. (@FrauBadbits) August 31, 2022
7. BETTER SAVE THAN SORRY
Macht euch einen Notfallplan. Wenn ihr wisst, dass ihr in eine für euch schwierige Situation macht, bereitet euch vor.
Fragt euch, was das absolute Worst-Case-Szenario ist (das wisst ihr ja eh) und dann überlegt euch Handlungsoptionen.— yvonne. (@FrauBadbits) August 31, 2022
Beispiel: ich bin mit BFK alleine zuhause.
Worst-Case: er verletzt sich und muss ins Krankenhaus. Und ich hab kein Auto.
Handlung im Fall: Rettungswagen rufen
Alternativer Gedanke: bisher ist das noch nicht passiert. Ich kann gut auf mich und mein Kind aufpassen.— yvonne. (@FrauBadbits) August 31, 2022
8. KNOW YOUR ENEMY
Psychische Erkrankungen haben viele Gesichter. Und zwar alle. Kenne deine ganz genau. Erkenne sie frühzeitig. Lerne alles über deine Erkrankung. Je besser du sie verstehst, desto besser kannst du dich wappnen.
Wusstet ihr zum Beispiel, dass man sein Gehirn— yvonne. (@FrauBadbits) August 31, 2022
voll gut verarschen kann? Wenn man 2 Minuten lächelt, fängt das Gehirn an, Glückshormone auszuschütten. Die Muskeln, die man zum Lächeln braucht sagen den Nerven „keine Ahnung warum, aber ich scheine fröhlich zu sein“ und die Nerven sagen „ok alles klar, ich sag’s dem Gehirn“
— yvonne. (@FrauBadbits) August 31, 2022
Das Gehirn checkt die Lage und denkt sich „komisch, fröhlich sehe ich hier nicht, aber die Muskeln müssen es ja wissen. Hier paar Botenstoffe, will ja niemandem im Weg stehen“
— yvonne. (@FrauBadbits) August 31, 2022
9. IT’S ONLY CHEMISTRY
Bei psychischen Erkrankungen herrscht immer ein chemischen Ungleichgewicht im Gehirn vor. Das kann man ausgleichen. Mit Sport zum Beispiel. Es sei denn, man ist krank, dann nicht. Weil man dann kein Sport machen kann. Aber dann kann man Medikamente nehmen
— yvonne. (@FrauBadbits) August 31, 2022
die dafür sorgen, dass es euch besser geht im besten Fall. Viele Antidepressiva zum Beispiel funktionieren so, dass sie die Wiederaufnahme von Serotonin hemmen. Das bedeutet, Serotonin (macht glücklich) bleibt länger im synaptischen Spalt. Ich will jetzt nicht so sehr
— yvonne. (@FrauBadbits) August 31, 2022
ausschweifen. Nur kurz gesagt: die eine Zelle sagt der anderen länger, dass es euch gut geht. Man kann’s ja mal probieren.
— yvonne. (@FrauBadbits) August 31, 2022
Nachtrag: mein Wissen bezüglich Antidepressiva ist offensichtlich veraltet. Das liegt daran, dass ich mich 1x schlau gemacht hab, bevor ich zum ersten Mal welche nahm. Das war mit 18 – seitdem nicht mehr, weil es für mich plausibel klang und die Medikamente mir heute noch helfen
— yvonne. (@FrauBadbits) September 1, 2022
Das sagen andere User:
Und was sind eure Bewältigungsstrategien im Umgang mit euren seelischen Erkrankungen? Habt ihr Tipps für andere? Dann hinterlasst uns doch einen Kommentar und teilt uns eure Erfahrungen mit. Ein paar der treffendsten Reaktionen und Kommentare anderer Leserinnen und Leser haben wir hier für euch zusammengetragen.
Wow! Meist finde ich Beiträge zu dem Thema wenig hilfreich, aber das hier hab ich mal zu Ende gelesen, weils so gut geschrieben ist! 👍 Weil es POSITIV geschrieben ist (statt jammernd/anklagend). Lösungsorientiert.
— Jan Kirmse (@JanKirmse79) August 31, 2022
Dein Text war Klasse. Sehr bedächtigt und behutsam geschrieben, aber dennoch zielgesteuert und aufbauend. Bin selbst über 10 Jahre Bipolar und leide auch noch unter verschiedene Phobien. Muss zu deinem Text aber noch dazu sagen, dass bei mir auch eine gute Medikation wichtig ist.
— GehrRa69 (@Ra69Gehr) August 31, 2022
Ich freue mich so sehr, dass es dir besser geht 🧡 kenne diese Ängste/Panik selbst (PTBS) und arbeite gerade auch daran, dass ich draußen weniger Angst habe. Dein Tweet macht mir Mut, dass es besser werden kann. Danke!
Und ich wünsche dir sehr, dass es weiterhin so gut läuft ☺️— JuliaUndSo (@JuliaUndSo_) August 31, 2022
Ich finde es total wichtig was du sagst. Für mich das allerwichtigste war der Weg zum Profi. Theoretisch wusste ich viel, aber nur mit prof. Hilfe habe ich langsam in einen Alltag mit weniger Panikattacken gefunden. Erst Jetzt kann ich die ganzen Strategien selbstständig anwenden
— 🐝Hummel😷🇺🇦💉💉💉💉 (@Hummel_tweeds) August 31, 2022
Klingt gut. Mir hatte, als es besser wurde, ein MBSR-Kurs sehr geholfen. (Die GKV übernimmt das auch teilweise oder ganz als Präventionsmaßnahme). Entschleunigung, Zeit, Genuss u. Achtsamkeit. Das Alles ist in dieser schnelllebigen so unglaublich wichtig
— Jessica (@Nixxess) August 31, 2022
Panikattacke kam genau während einer Meditation. Danach begann 1 Jahr Horrortrip, vor allem bei Entspannung/Schlafen. Würde ich daher niemandem generell raten. Dafür andere Dinge, die hier nicht stehen. Es ist alles sehr komplex.
— Waffelsine (@Waffelsine) August 31, 2022
Das mit dem Sport höre ich auch ständig.
Bringt mir aber wenig wenn Rheuma und Fibromyalgie ordentlich kicken und Schuhe anziehen schon Hochleistungssport ist.
Aber spazieren gehen hilft manchmal, besonders im Wald. Wobei Wald und dann Meer am besten ist. Nrw hat kein Meer 😑— Krabbenqueen (@krabbenmami1518) August 31, 2022
Vielen Dank für eure Aufmerksamkeit! Passend zum Thema hätten wir noch das: