Thread: Geschicht’n aus dem Testzentrum
Triggerwarnung: Dieser Beitrag thematisiert Rassismus, Diskriminierung und einen körperlichen Angriff.
Wann immer das Thema Rassismus zur Sprache kommt, können sich viele weiße „Bio-Deutsche“ gar nicht vorstellen, dass das in unserer schönen Bundesrepublik möglich oder weit verbreitet ist. Daraus wird dann immer geschlussfolgert, dass es sich hier nur um Einzelfälle handeln kann. Doch weit gefehlt, denn diese Wahrnehmung beweist erstens, dass man privilegiert genug ist, um mit dem Thema nicht in Konflikt zu kommen, und zweitens, dass man sich mit der Problematik auch gar nicht selbst auseinandergesetzt hat. Wir wollen hier niemandem Ignoranz unterstellen, aber wer trotz Halle und Hanau nicht glauben kann, dass Rassismus und Fremdenhass in diesem Land tief verwurzelt sind, muss schon sehr naiv sein. Seit 1990 werden Opfer rechtsextremer Gewalt in Deutschland erfasst. Während die Behörden seitdem 94 Todesopfer zählen, geht die Amadeu Antonio Stiftung von mindestens 198 Todesopfern rechter Gewalt aus. Der Grund für die Diskrepanz ist hierbei, dass viele Fälle fälschlicherweise nicht als politische Gewalt eingestuft wurden, sondern als private Racheakte. Auch die Zahl der Übergriffe auf Moscheen ist in den vergangenen Jahren stark gestiegen. Rassismus beginnt jedoch nicht mit Gewalt, sie ist lediglich Begleiterscheinung, um nicht zu sagen eine direkte Folge davon. Mit dem nun folgenden Thread von @dantalimette liefern wir ein weiteres Beispiel dafür, wie sich Alltagsrassismus äußert und was das für die Betroffenen bedeutet.
Geschicht’n aus dem Testzentrum, heute nicht witzig. Sondern mit der Polizei wegen Rassismus, Diskriminierung und körperlichen Angriff:
Es waren nur Mitarbeiterinnen mit Migrationshintergrund im Einsatz. Probandin kommt zur Medizinstudentin und will sich nicht testen lassen.— Linchen (@dantalimette) March 29, 2022
1. Aussage:“Du siehst nicht aus, als würdest du Medizin studieren.“ Unsere Teamlead kommt zu ihr und fragt, ob alles okay ist.
2. Aussage der Probandin:“Ihr seid Ausländer. Nicht Studenten. Ich will nicht getestet werden.“Unsere Werkstudentin aus dem Befund kommt raus und sagt:
— Linchen (@dantalimette) March 29, 2022
„Sie müssen sich hier nicht testen lassen. Sie können auch gehen“ und streckt ihre Hand deutend zum Ausgang, woraufhin die Probandin die Werkstudentin am Arm packt und mit der anderen Hand versucht, ihr das Kopftuch runterzureißen.
— Linchen (@dantalimette) March 29, 2022
3. Aussage der Probandin:“Ich zeige euch alle an! Ich ruf die Polizei! Ich werde euch filmen“, und verschwindet.
Nachdem die Polizei die Aussagen aufnimmt und erwähnt, dass bereits die Probandin bekannt ist, sitzen wir im Mitarbeiterraum.— Linchen (@dantalimette) March 29, 2022
Unsere Chefin kommt zu uns, mehr als geschockt und ist stolz, dass alle reagieren konnten.
Die Werkstudentin und die Teamlead erwähnen sehr nüchtern, dass es nicht das erste Mal ist und sie dieses Verhalten oft genug erlebt haben.
Danach drehen sich die Mädels zu mir.— Linchen (@dantalimette) March 29, 2022
Mein Teamlead sieht mich an und sagt:“Du kannst wirklich froh sein, dass man dir deinen Hintergrund nicht ansieht. Ich hoffe, dass du ab nächsten Monat sowas nicht erleben musst.“
Sie hat recht.
Man sieht mir nicht an, dass meine Eltern türkisch sind.— Linchen (@dantalimette) March 29, 2022
Man sieht es aber meiner Familie an. Mein kleiner Bruder (17) wurde von einer älteren Frau als „Kanacke, woher kommst du?“ bezeichnet und ausgefragt. Meine Mom hat letzte Woche von einem betrunkenen Mann die Worte „Geh da hin zurück wo du herkommst, Ausländer“, hören müssen.
— Linchen (@dantalimette) March 29, 2022
Meine Mutter ist tough. Sie antwortet direkt mit „Mach ich auch, ich wohne nämlich hier. Arschloch.“
Aber sie sitzt manchmal da und ihr kommen die Tränen.
„Ich habe euch beide erzogen. Ihr sprecht perfektes deutsch. Ihr macht nie Ärger. Aber dein kleiner Bruder— Linchen (@dantalimette) March 29, 2022
ist noch so jung und wird damit konfrontiert. Selbst du musst sowas erleben.“
Sie hat recht. Ich rufe bei Bewerbungen immer vorher an, weil mein Name komplett türkisch klingt. Ich muss jedesmal die Fragen woher ich komme, ob ich religiös bin, „ob ich das darf“,— Linchen (@dantalimette) March 29, 2022
ob ich ganze Türkin sei, ob ich ganz sicher bin eine Türkin zu sein, dass ich „ja in Ordnung bin, ich bin nicht wie die anderen“, wie ich meinen Lifestyle mit meiner Kultur ausmache, und noch mehr, ertragen und diese Debatten führen. Am Ende wissen es andere irgendwie besser.
— Linchen (@dantalimette) March 29, 2022
Das sagen andere User
Es ist einfach nur traurig und beschämend, dass wir im Jahr 2022 gesellschaftlich immer noch nicht weiter sind. Hier wird in Zukunft noch sehr viel aufzuarbeiten und zu sensibilisieren sein. Ein paar der treffendsten Kommentare und Reaktionen haben wir hier für euch zusammengefasst.
Und ich lasse mich viel lieber von einem ausländischen Medizinstudenten behandeln als von einem Deutschen der sich für etwas besseres hält
— Walter Von Der Vogelweide (@WalterVonDerVo1) March 29, 2022
Auch wenn viele es nicht hören wollen: #Rassismus ist in Deutschland Alltag. Und es sieht gewiss nicht danach aus, als würde es in irgendeiner Form besser werden.
Jaja, es sind nicht alle Rassisten („not all…“ 🙄), aber es sind viel zu viele und noch viel mehr schauen aktiv weg.— Duncan Blues (@DuncanBlues42) March 29, 2022
Uff! Es macht mich betroffen und fassungslos, was euch passiert ist. Ich habe subjektiv auch das Gefühl, dass Rassisten generell viel offener ihre widerliche Einstellung nach außen tragen in den letzten Jahren und es macht mich unglaublich wütend.
— 💉🩹InstantNurse-just add Coffee💉🏥 (@instantnurse) March 29, 2022
Es beschämt mich immer wieder , was es für unfassbar dumme Menschen gibt. Rassismus darf nicht toleriert werden. Wichtig ist doch nicht , wo jemand seine Wurzeln hat, sondern ob er oder sie hier lebt und sich in die Gesellschaft einbringt. #Vielfalt macht uns stärker!
— S. Lehmann (@seppoberlin) March 29, 2022
Die häßliche Seite bleibt nicht verborgen. Man muß nur hinhören.
Diese Rassisten haben ein ausgeprägtes Sendungsbewußtsein.— KPFR (@K_Plattform_f_R) March 29, 2022
Hab heute Ähnliches erlebt. Man ist wirklich geschockt, dass solch Hass auf einmal losbricht.
Dank an die souveräne Mitarbeiterin die die Frau mit wenigen Worten u. Gesten zum Verlassen des Ladens bewegen konnte und aber auch aufpasste, dass die Polizei ihre Personalien aufnahm— Matzbach 🇺🇦 (@mattenb) March 29, 2022
Ich bin auch immer wieder schockiert wie Patient*innen über Kolleg*innen sprechen. Was geht in diesen Menschen vor um so einen Sch*** von sich zu geben und sich so zu verhalten.
— Mietzekatze (@Mila_und_Momo) March 29, 2022
Rassismus hat zurzeit Hochkonjunktur im Windschatten der Pandemie. Das Gefährliche daran; Menschen mit dieser ekligen Gesinnung fühlen sich nicht mehr als Randerscheinung sondern in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Deswegen auch dieser offen ausgelebte Rassismus im Alltag.
— Yūgen (@urbannowl) March 29, 2022
Vielen Dank für eure Aufmerksamkeit! Das Thema Rassismus beschäftigt uns auch hier: