Thread: Rassismus ist allgegenwärtig und hat viele Gesichter
Triggerwarnung: Dieser Beitrag thematisiert Rassismus und diskriminierendes Verhalten.
Wer beim Thema Rassismus gleich zusammenzuckt und an Neonazis oder die rechtsextreme Szene denkt, verkennt das Problem. Denn Alltagsrassismus ist so fest in der bürgerlichen Mitte unserer Gesellschaft verankert, dass wir ihn oftmals vergessen oder gar übersehen. Manchmal sind wir es selbst, die Menschen diskriminieren, auch wenn es nur unbewusst und unabsichtlich geschieht. Denn letzten Endes ist jeder mit Diskriminierungsstereotypen aufgewachsen und sozialisiert worden, ob es ihm klar ist oder nicht. In dem Moment, in dem wir verletzende Begriffe verwenden, uns über andere erheben, sie beleidigen, herabwürdigen und ausgrenzen oder vorgefertigte Meinungen haben, begeben wir uns auf dieses Terrain. Entscheidend ist aber nicht, dass es passiert, sondern ob man dann gesprächsbereit ist, sein Verhalten reflektieren kann und in der Lage ist, sich zu entschuldigen. Denn nur so werden wir das Problem in den Griff bekommen. Das setzt natürlich auch voraus, dass man sich seiner Privilegien bewusst ist und etwas am gesamtgesellschaftlichen Gefüge ändern möchte. Dass Rassismus und diskriminierendes Verhalten allgegenwärtig sind und viele Gesichter haben, zeigt auch der nun folgen Thread von @YannikRaiss. Aber lest am besten selbst.
Meine Freundin und ich sind gerade auf Sylt und waren gestern in einem etwas schickeren Lokal essen. Wir hatten noch nicht einmal bestellt, da wurden uns schon sehr deutlich gemacht, dass wir nicht willkommen waren. Ein Thread in 17 Teilen.
(Trigger-Warnung: Rassismus)
— Yannik Raiss (@YannikRaiss) January 29, 2022
2/ Wir hatten uns am ersten Abend unseres Aufenthaltes ein schönes Restaurant ausgesucht. Es ist Off-Season und viele Geschäfte haben zu; das „Alte Zollhaus“ nicht. Wir hatten uns recht schick gemacht und waren froh, im beliebten Lokal noch den letzten Platz ergattert zu haben.
— Yannik Raiss (@YannikRaiss) January 29, 2022
3/ Am Platz angekommen, wurde uns die Karte gereicht und wir gingen begeistert die Speisekarte durch: „Yellow Fin Thunfisch mit Shiitake, Ponzu und Udon!“ „Oh, der Lammrücken sieht auch gut aus.“
Ein spöttisches Lachen. Unser Sitznachbar hatte zugehört und belächelte uns hörbar.— Yannik Raiss (@YannikRaiss) January 29, 2022
4/ Seine Frau amüsiert: „Warum lachst du denn so?“ Er machte mit hochgezogenen Augenbrauen eine unverhohlene Kopfbewegung in unsere Richtung. „Die gehören hier doch nicht hin…“ Seine Frau starrte uns an, erst meine Freundin, dann mich. Lächelndes Nicken. Arrogantes Kichern.
— Yannik Raiss (@YannikRaiss) January 29, 2022
5/ Als wären wir nicht da. Als könnten wir sie nicht hören. Als säßen wir nicht eine Armlänge neben ihnen, fassungslos und verletzt.
Ich hatte den Austausch ja erst gar nicht bemerkt – meine Freundin musste mich angewidert drauf hinweisen: „Mir ist gerade der Appetit vergangen.“— Yannik Raiss (@YannikRaiss) January 29, 2022
6/ Ich war schockiert. Waren wir dort nicht erwünscht? Mir wurde auf einmal sehr bewusst, wie weiß die Gäst:innen um uns herum waren und wie nicht-weiß wir beide gelesen werden konnten. Plötzlich fühlte ich mich beobachtet. Hatten wir was falsch gemacht? Irgendwas nicht beachtet?
— Yannik Raiss (@YannikRaiss) January 29, 2022
7/ Mir drehte sich alles im Magen um. Es war ein Gefühl, das schwer zu beschreiben ist; auf eine traurige Weise vergleichbar mit Lampenfieber. Ich sah mich wie auf dem Präsentierteller: bewertet, verurteilt. Ich scannte den Raum auf der Suche nach weiteren Blicken oder Getuschel.
— Yannik Raiss (@YannikRaiss) January 29, 2022
8/ Der Abend war vorbei bevor uns Brot gebracht wurde. Ein kleines Lachen, eine kurze Geste, ein einfacher Satz und wir konnten das Abendessen nicht mehr genießen. Wir saßen paralysiert am Tisch bis das Paar neben uns ewig wirkende Minuten später gezahlt hatte und gegangen war.
— Yannik Raiss (@YannikRaiss) January 29, 2022
9/ Diese Begegnung beschäftigt mich sehr. Einerseits schockiert es mich, der als Halb-Brasilianer in Hamburg quasi nie (bewusst?) Rassismus erfahren musste, sowas in Deutschland erlebt zu haben. Andererseits erwische ich mich dabei, zu hinterfragen, ob ich vielleicht übertreibe.
— Yannik Raiss (@YannikRaiss) January 29, 2022
10/ War das wirklich Rassismus? Vielleicht war es ja alles gar nicht so gemeint? Haben meine Freundin (übrigens afghanischer Herkunft) und ich die Situation falsch eingeschätzt? Ich gaslighte uns im Prinzip selbst.
Dabei geht es hier eigentlich nicht um diese eine Situation:— Yannik Raiss (@YannikRaiss) January 29, 2022
11/ Man kann sich selten zu 100 % sicher sein, dass solche Situationen rassistisch motiviert sind. Aber für POC wie uns ist das leider IMMER eine Option. Als Weiße hätten wir uns eben sicher sein können, dass der Mann sich auf etwas anderes als unsere Herkunft/Hautfarbe bezieht.
— Yannik Raiss (@YannikRaiss) January 29, 2022
12/ Es sind diese sog. Mikro-Aggressionen, die von der Mehrheitsgesellschaft verharmlost werden, aber in der Masse, in der (BI)POCs auf der ganzen Welt sie erleben, in Summe THE WHOLE FUCKING PROBLEM sind.
Wir haben nach dem Essen mit einer der Kellner:innen darüber gesprochen.— Yannik Raiss (@YannikRaiss) January 29, 2022
13/ Und während sie betroffen und verständnisvoll reagiert hat, fiel trotzdem der Satz, den wir befürchtet hatten: „Das ist hier noch nie passiert.“ Klar, willkommen in Happyland. Wo Rassismus nicht existiert und alles Einzelfälle sind. Sie kann natürlich nichts dafür, aber…
— Yannik Raiss (@YannikRaiss) January 29, 2022
14/ …es ist ja auch kein Wunder, wenn wahrscheinlich die wenigsten in ihrer Klientel nicht weiß sind und wir anscheinend die ersten waren, die ihr von so einer Situation berichtet haben.
„Hoffentlich kommt ihr das Wochenende nochmal zum Frühstück vorbei.“ Wir denken nicht.— Yannik Raiss (@YannikRaiss) January 29, 2022
15/ Ich hab das fragwürdige Glück, in meinem Leben bisher nur selten Rassismus erfahren zu haben – meine Freundin musste da viel mehr über sich ergehen lassen. Und selbst sie ist dahingehend noch weitaus privilegierter als Menschen mit dunklerer Hautfarbe.
Es ist erschütternd.— Yannik Raiss (@YannikRaiss) January 29, 2022
16/ Das musste einfach mal raus. Vielleicht kann dieser Thread ja als kleine Erinnerung dienen, dass Rassismus allgegenwärtig ist und viele Gesichter hat.
— Yannik Raiss (@YannikRaiss) January 29, 2022
17/ Möchtet ihr euch dazu weiterbilden? Dann lest z.B. „Exit Racism“ von Tupoka Ogette, oder nutzt die vielen anderen etablierten Werke und kostenlosen Bildungsangebote auf Social Media. Meldet euch, ich oder meine Freundin (@TaniMahmudy) können euch Bücher und Profile empfehlen.
— Yannik Raiss (@YannikRaiss) January 29, 2022
Das sagen andere User:
Ein perfektes Beispiel für die Problematik in unserem Land, findet ihr nicht? Zumindest sahen das viele Leser dieses Textes so. Ein paar der treffendsten Reaktionen und Kommentare haben wir hier für euch gesammelt.
Twitter hat mir die Augen geöffnet. Ich bin ein ein sehr privilegierter, weißer Mann.
Ich werde nie, wirklich nie von der Polizei kontrolliert.
Ich bin mir dessen aber bewusst und versuche meinen Teil dazu beizutragen, dass es weniger Alltagsrassismus gibt.— Intensivdoc (@narkosedoc) January 29, 2022
Sylt ist stellenweise recht elitär. Das hätte euch also auch mit dem falschen Label auf der Kleidung passieren können.
Warum Diskriminierung stattfindet spielt letztlich auch keine Rolle. Sie ist in jeder Form hässlich und ätzend. Immer wichtig im Kopf zu behalten:1/2
— SommerImNorden 🌻☔🌈 (@sommerimnorden) January 29, 2022
2/2
Die Diskriminierenden werten sich selbst ab. Niemals die Menschen, die Ziel solcher Übergriffigkeit werden.
Als Restaurantbesitzer*in hätte ich euch zu einem kostenlosen Frühstück eingeladen, um meine Position klar zu machen.
Und ihr solltet bloß nicht auf Rückzug gehen!— SommerImNorden 🌻☔🌈 (@sommerimnorden) January 29, 2022
In Deutschland ist es nunmal so, dass niemand Fehler macht und daher ist angesprochener Rassismus immer automatisch ein nicht-rationaler Angriff, der abgewiesen werden muss und nicht stimmen kann, „weil der Horst schon jahrelang Vorsitzender des Nachbarschaftsvereins ist“. 🙃
— Budsen (@BodoMdB) January 29, 2022
Ich habe noch nie verstanden, warum sich Leute aufgrund ihrer Herkunft, Hautfarbe, ihres Autos, Geldes etc. als etwas Besseres fühlen. Ich kann auch nicht nachvollziehen, wie man sich fühlt in so einer Situation. Ich verstehe auch, dass man in dem Moment paralysiert ist.
— frenocomio (@frenocomio) January 29, 2022
Was ich aber weiß ist, das diese Personen kleingeistig, verbohrt und durch und durch verdorben sind.
„Niemand wird mit dem Hass auf andere Menschen wegen ihrer Hautfarbe, ethnischen Herkunft oder Religion geboren. Hass wird gelernt.“
– Nelson Mandela –
— frenocomio (@frenocomio) January 29, 2022
Ja, das war Rassismus
Nein, Ihr beide übertreibt nicht
Derartiges Verhalten ist unterstes Gossenniveau.— Julia 💐 (@HexevomDienst) January 29, 2022
Die schäbigste Art, sich selbst zu erhöhen, ist, andere zu erniedrigen.
Ist eher elitäres Gehabe von Neureichen. Ohne Stil und Kinderstube. Von denen laufen einige auf Sylt rum. Es tut mir sehr leid, dass Euch durch solche Kleingeister der Abend verdorben wurde.
— Blacky 📡🌌 (@HDYBlacky1) January 29, 2022
Danke für eure Aufmerksamkeit! Weil das Thema so wichtig ist, schaut doch noch mal hier rein: