Thread: Der Notarzt setzt sich neben Jens und teilt ihm mit, dass er einen Herzinfarkt hat
Wahrscheinlich erinnert sich jeder an den Moment, an dem aus dem Tod etwas faktisch Greifbares wurde. Etwas, das vorher nur theoretisch existierte, in Form von Geschichten oder Grabsteinen Fremder, wird mit dem ersten Sterbenden in unserem Leben zu einer radikalen, unausweichlichen Tatsache. Inzwischen sind wir alle in einem Alter, in dem der Tod eine gewisse Alltäglichkeit bekommen hat. Viele von uns haben bereits die Großeltern verloren. Wir erleben, wie die Generation unserer Eltern langsam, aber sicher gebrechlicher wird. Manche haben schon die Erfahrung machen müssen, dass der Tod ab und an auch mitten ins Leben greift, um jemanden zu holen. Und dann gibt es noch diejenigen, die täglich mit dem Sterben konfrontiert sind. Die zum Beispiel im Gesundheitswesen oder der Pflege arbeiten. Für sie ist der Tod etwas Selbstverständliches – und dennoch nicht minder grausam. @mfab112 arbeitet im Krankenhaus. Am Beispiel des Patienten „Jens“ beschreibt er, wie unvorhersehbar ein Mensch aus dem Leben scheiden kann und wie unmöglich es ist, sich je daran zu gewöhnen.
Jens ist 48 Jahre alt u ein sportlicher Mann. Er macht täglich Sport und läuft auch schon mal 2-3 Stunden.
Seit gestern Abend hat er starke Schmerzen. Im Brustkorb. Vielleicht hat er eine blöde Bewegung gemacht . Egal. Kommt alleine – geht alleine. Ab ins Bett u gesundschlafen.— narco polo (@mfab112) February 7, 2021
In der Nacht wacht er auf. Es wird nicht besser. Es kommt Unwohlsein dazu, und wieso schwitzt er überhaupt? Aus Angst dass es etwas schlimmes ist, sagt er lieber nichts seiner Frau. Nicht dass sie sich Sorgen macht. Sie regt sich sowieso immer so schnell auf.
— narco polo (@mfab112) February 7, 2021
Nach einer weiteren Stunde hält er es nicht mehr aus und weckt seine Frau.
Völlig erschrocken über die graue Gesichtsfarbe ruft sie die 112 an und schildert die Symptome.
Der RTW und das NEF kommen schnell. Es ist eine angespannte Ruhe, jeder Handgriff scheint geübt.— narco polo (@mfab112) February 7, 2021
Es werden Blutdruck und Sauerstoffsättigung gemessen, ein EKG wird geschrieben und ein Zugang gelegt.
Der Notfallsanitäter guckt auf den Ausdruck und murmelt zum Notarzt „ich zieh schonmal auf“.
Der NA setzt sich neben Jens und teilt ihm mit, dass er einen Herzinfarkt hat.— narco polo (@mfab112) February 7, 2021
Viele Fragen. Bei Jens. Und bei der Frau. Eine Träne bahnt sich den Weg und wird schnell weggewischt. Sie packt das Nötigste in die Tasche. Socken, Ladegerät, Unterhose, Tshirt.
Die RTW Mannschaft bereitet den Transport vor, der Notarzt ruft im Krankenhaus an.— narco polo (@mfab112) February 7, 2021
Es gibt Intensivbetten im nächsten Krankenhaus mit 24h-Herzkatheter. Glück gehabt denken sich RTW und NEF Mannschaft.
Der Transport verläuft ohne Komplikationen. Die Schmerzen im Brustkorb lassen dank Morphin nach.— narco polo (@mfab112) February 7, 2021
Die Übergabe erfolgt direkt auf den Kathetertisch, keine Untersuchungen notwendig, denn das EKG wurde von unterwegs an das Krankenhaus geschickt und der Kardiologe konnte alles vorbereiten.
— narco polo (@mfab112) February 7, 2021
Jens erhält 2 Stents. Eine der drei Hauptarterien des Herzens war komplett verschlossen und konnte wiedereröffnet werden. Jedoch war ein großer Teil der Herzmuskulatur lange Zeit ohne Blutversorgung.
Die nächsten Stunden und Tage werden zeigen, ob und wie sich das Herz erholt.— narco polo (@mfab112) February 7, 2021
Jens kommt auf die Intensivstation. Die dortige Stationsärztin erhält eine Übergabe und er wird an die Überwachung angeschlossen.
Die Schmerzen haben nachgelassen und alle hoffen das Beste. Jens hat mit seiner Frau telefoniert und möchte sie beruhigen.— narco polo (@mfab112) February 7, 2021
Ein lauter Ton schreit über den Flur der ITS. Herzalarm. Der Pfleger steckt den Kopf aus der Zimmertür und ruft laut „REA ZIMMER 12!“.
Der Monitor zeigt Kammerflimmern. Eine gefürchtete Komplikation nach Herzinfarkt.
Die Anwesenden reden nicht viel. Alle wissen was zu tun ist.— narco polo (@mfab112) February 7, 2021
Das Notwendige wird getan. Eine Stunde lang. Aus dem Kammerflimmern ist mittlerweile eine Asystolie geworden. Eine Nulllinie die anzeigt, dass es keinerlei Herzaktionen mehr gibt. Die Reanimation wird beendet. Stille.
Die Hektik ist verflogen.
Das Schlachtfeld wird beseitigt.— narco polo (@mfab112) February 7, 2021
Ein Fenster wird geöffnet.
Der Ärztin steht der schwersteTeil bevor. Auch nach 100en Anrufen hat sie das Gefühl nicht die richtigen Worte zu finden. Das Telefonat dauert 15 Minuten. Die Ehefrau hat einige Fragen. Sie funktioniert. Es wird dauern bis sie es versteht.— narco polo (@mfab112) February 7, 2021
Als das Telefonat beendet ist, schluckt die Ärztin. „Nächste Woche wäre ihr 25. Hochzeitstag gewesen.“
Sie dreht sich um setzt sich an den Schreibtisch und trinkt einen Schluck Kaffee. Der Papierkram ruft.Das Telefon klingelt. Ein Notarzt benötigt ein freies Bett.
— narco polo (@mfab112) February 7, 2021
@Lam3th hat übrigens ein alternatives Ende verfasst, das wir uns auch für Jens, seine Familie und die Menschen im Krankenhaus gewünscht hätten:
Alternative Ending:
Hecktisches telefonieren mit dem ECMO Team. Die Lage ist klar. Die Kanülen sitzen. Das Herz wirft nicht aus. Abwechselnd mit Kammerflimmern. Die Entscheidung fällt nochmal in den Herzkatheter zu fahren.
Der Stent ist zu. Stabil unter der ECMO wird ein neuer https://t.co/ORG7udIWDP
— Lämêth (@Lam3th) February 7, 2021
Stent gesetzt. Dazu eine Impella. Der Patient stabilisiert sich über die nächsten Tage. Es wird aber klar: Eine Erholung der alten Muskelkraft wird nicht möglich sein. Die Impella wird chirurgisch auf die neuste Generation upgradet. Die ECMO kann zwei Tage später ausgebaut werden
— Lämêth (@Lam3th) February 7, 2021
Nachdem der Patient sich über die nächsten 2-3 Wochen mit dem temporären System erholen konnte, wird auf ein permanentes Unterstützungssystem gewechselt. Die OPs laufen alle gut.
Am nächsten Morgen sitzt er an der Bettkante und lächelt…Das war leider nicht Jens. 🖤
— Lämêth (@Lam3th) February 7, 2021