Thread: Das Märchen vom Immuntraining
Es gibt leider sehr viele Menschen, die glauben, dass sie ihr Immunsystem durch bestimmte Mittel oder Training stärken können, etwa indem sie sich absichtlich infizieren oder in Eiswasser baden. Diese Vorstellung ist allerdings reine Fantasie und hat keine wissenschaftliche Grundlage. Das Immunsystem ist nämlich sehr gut darin, sich selbst zu stärken und sich an Krankheitserreger anzupassen. Wenn wir also krank werden, produziert unser Körper spezifische Antikörper, die darauf abzielen, diese zu bekämpfen und zu eliminieren. Diese Antikörper bleiben in unserem Körper und schützen uns vor zukünftigen Infektionen mit dem gleichen Erreger.
Bestimmte Mittelchen wie Joghurtkulturen und Brausetabletten helfen dabei eher nicht. Es gibt keine wissenschaftlichen Studien, die einen Effekt belegen. Das absichtliche Infizieren oder Sich-Aussetzen kann hingegen – und das ist erwiesen – schädlich sein. Indem man sich vorsätzlich infiziert, setzt man sich zudem einem unnötigen Risiko aus. Viel schlauer ist es, sich an die Empfehlungen der Gesundheitsbehörden zu halten, Impfangebote wahrzunehmen und Maßnahmen wie die Einhaltung von Hygienestandards und das Tragen von Masken zu befolgen.
Wer seinem Immunsystem darüber hinaus wirklich helfen will, der sollte auf eine ausgewogene Ernährung, ausreichend Schlaf, regelmäßige körperliche Aktivität achten und den Genuss von Tabak und Alkohol meiden oder zumindest stark einschränken. Um das Märchen vom „Immuntraining“ und wie unser körpereigenes Abwehrsystem wirklich funktioniert, geht es auch im nun folgenden Thread des Wissenschaftlers und Virusforschers Friedemann Weber. Aber lest selbst.
Warum triggert das Wort vom „Immuntraining“ eigentlich die Fachleute?
Weil es fälschlicherweise impliziert, dass das Immunsystem wie ein Muskel funktioniert.
Und das wiederum würde bedeuten, dass es ohne regelmäßiges Training eigentlich schwach ist.
1/12— Friedemann Weber (@Friedemann1) December 7, 2022
Man müsse es deshalb „stärken“, und tatsächlich gibt es ja allerlei Mittelchen zu kaufen, die vorgeben das zu tun.
Wenn aber unser Otto Normal-Immunsystem eine regelmäßige Stärkung bräuchte, das würde bedeuten dass wir alle by default immunsupprimiert wären 2/— Friedemann Weber (@Friedemann1) December 7, 2022
Sind wir aber nicht (natürlich gibt es Immunsupprimierte, aber das ist eine Ausnahme).
Und gibt es denn so was wie ein besonders „starkes“ Immunsystem? Auch das ist nicht die Regel, davon wäre man wahrscheinlich dauerentzündet und hätte Autoimmunerkrankungen
3/— Friedemann Weber (@Friedemann1) December 7, 2022
Tatsächlich hat mal jemand (leider vergessen wer) das Immunsystem mit der Polizei verglichen. Das finde ich wesentlich passender. Die Abläufe sind eingespielt, die Einsatztruppen fit, die Waffen geladen, und die Polizeiautos aufgetankt. Auch gibt es regelmäßige Patroullien.
4/— Friedemann Weber (@Friedemann1) December 7, 2022
Was aber erstmal fehlt, ist der Steckbrief des Täters. Und ohne den merkt die Polizei nicht, wenn der in der Stadt rumläuft und Passanten überfällt. Sobald aber erste Meldungen eingehen, geht die Fahndung raus. 5/
— Friedemann Weber (@Friedemann1) December 7, 2022
Das Phantombild ist anfangs noch verschwommen, aber wird dank des Erkennungsdienstes und der Zeugenaussagen schnell deutlicher. Die Polizei weiß dann wie er aussieht, kennt seine Vorgehensweise, und kann ihn letztlich aus dem Verkehr ziehen.
6/— Friedemann Weber (@Friedemann1) December 7, 2022
Es ist also kein Training, sondern ein auf die Spur ansetzen. Trainiert sind die Einsatzkräfte schon.
7/— Friedemann Weber (@Friedemann1) December 7, 2022
Zurück zum Immunsystem: Das heißt nicht, dass es nicht mal suboptimal laufen kann, z.B. wenn ein Gewebe schlecht durchblutet ist, so dass die Immunzellen schlecht an die Eindringlinge rankommen.
Ausserdem…8/— Friedemann Weber (@Friedemann1) December 7, 2022
…gibt es tatsächlich den – im Nachhinein evt. etwas unglücklich gewählten – Fachbegriff der „Trained Immunity“.
9/https://t.co/htEwU0AhJQ— Friedemann Weber (@Friedemann1) December 7, 2022
Damit ist aber eine Spezialform des Immungedächnisses gemeint, die zB bewirkt, dass eine Impfung auch jenseits der gewünschten spezifischen Immunität eine gewisse Schutzwirkung hat.
10/— Friedemann Weber (@Friedemann1) December 7, 2022
Der populäre Begriff „Immuntraining“ ist hingegen kein Fachausdruck. Er beruht auf einem Fehlverständnis davon, wie Immunität erworben wird.
Leider hat das Konsequenzen, den manche meinen, man müsse sich (oder gar die Kinder) deswegen pathogenen Keimen aussetzen.
11/— Friedemann Weber (@Friedemann1) December 7, 2022
Man will sich also sich mit Pathogenen infizieren, damit man in Zukunft von denen nicht mehr krank wird.
Die etwas verquere Logik dahinter mal unkommentiert lassend würde ich sagen, dass Impfungen das wesentlich leidfreier tun. Die genügen, um ein Fahndungsbild herzustellen
12/12— Friedemann Weber (@Friedemann1) December 7, 2022
Das sagen andere User:
Danke für diese fachliche Einordnung. Wir würden uns wünschen, wenn das endlich auch in den Köpfen der „Immunschuld“-Argumentierer ankommt. Was die Leserinnen und Leser des Threads Treffendes zu sagen hatten, das haben wir hier für euch gesammelt:
Die Schwurblerdichte bei den Kinderärzten ist traditionell hoch!
Da will man „sanfte“ Medizin betreiben, übersieht aber die alte pharmakologische Weisheit:
„Was keine NW hat, hat gar keine Wirkungen!“
Etwas geht wohl oberschief bei der wiss. Ausbilung der KuJÄ, oder @DGKJ_eV?— Wissensfan – menschliche Intelligenz ist möglich (@wissensfan) December 7, 2022
Ja das stimmt. Wäre aber in meinen Augen zuviel auf einmal gewesen. Hier ist ein super thread dazuhttps://t.co/sq1uG6cXoj
— Friedemann Weber (@Friedemann1) December 7, 2022
Absolut daneben. Kranke sollten Zuhause bleiben, und die gesunden Kids im Matsch spielen. Letzteres bringt auf harmlose Weise in Kontakt mit Antigenen.
— Friedemann Weber (@Friedemann1) December 7, 2022
Danke Friedemann!
Schade, dass es dennoch einige Expert:innen gibt, die ohne mit der Wimper zu zucken davon sprechen, man müsse durch regelmäßige Infekte das IS trainieren und würde es gar schwächen, wenn man das nicht täte. So ein absurder Schwachsinn.— 𝘒𝘢𝘵𝘩𝘳𝘪𝘯 𝘌♭ 🎶 (@Musician1980) December 7, 2022
💯
Ich verstehe auch nicht, wie man auf die Idee kommen kann, dass wir kein „Training“ mehr hatten, nur weil wir seltener an einigen ausgewählten Infektionen erkrankten. Sterilisieren die ihr Trinkwasser & Essen, verletzten sich nie und atmen ausschließlich gefilterte Luft(etc)?
— Alexander Schäfer 🇪🇺🇺🇦 (@Immuno_Alex) December 7, 2022
Ich würde eine neuauflage suf dem aktuellen stand der wissenschaft bevorzugen. Aber ja, sowas braucht es definitiv.
— mimbutzki (@mimbutzki) December 8, 2022
Ich bin kein Fachmann (nur ein Freizeitsportler). Aber ich weiß:
Wenn ich meinem Immunsystem einen Boost geben will, dann sorge ich dafür, dass ich genug Schlaf bekomme. Und mich gescheit ernähre.— ChristophPeterS (@CPeterS47) December 7, 2022
Jeder der mit Immunschuld kommt, soll bitte ab sofort aus Pfützen trinken. Nicht, dass sie noch krank werden, weil sie nie Cholera hatten.
Und Seife erst, ganz schlimm.— Darth thromBOOzyt (@krasmanalderey) December 7, 2022
Vielen Dank für eure Aufmerksamkeit! Wenn ihr mögt, schaut doch hier noch rein: