Thread: Ein gefährlicher BILD-Kommentar über die Corona-Regeln
Dass die BILD das Papier, auf dem sie gedruckt ist, nicht wert ist und gerne am rechten Rand fischt, um ihre sinkenden Auflagen- und Klickzahlen zu retten, ist kein Geheimnis und sollte inzwischen bei jedem zweiten Bundesbürger angekommen sein. Erst kürzlich wurde der Axel-Springer-Verlag für einen Beitrag über die Drosten-Studie gerügt. Der Deutsche Presserat fand in dem besagten Artikel mehrere schwere Verstöße gegen die journalistische Sorgfaltspflicht. Vor ein paar Tagen sorgte ein Kommentar für Aufsehen, der in eine ähnliche Richtung geht. Lorenz Meyer hat ihn auf Twitter Stück für Stück auseinandergenommen. Heraus kam ein etwas längerer Analyse-Thread, den es sich zu lesen lohnt.
Bei #Bild gibt es einen, wie ich finde, gefährlichen Kommentar zu den Corona-Regeln. Wenn Ihr Lust habt, gehen wir den mal gemeinsam durch. Wir lernen dabei verschiedene Techniken der Meinungsmanipulation durch Sprache kennen. 1/20 pic.twitter.com/Ldz5zxnm3i
— Lorenz Meyer (@shengfui) September 20, 2020
Hier der Kommentar im Zusammenhang. Er stammt von Christian Langbehn, einem Mitglied der “Bild”-Chefredaktion. Ein Kommentar, der „nur Fragen stellt“, jedoch ganz Anderes im Sinn hat.
Wir gehen das gleich – wie gewohnt – Stück für Stück durch. 2/20 pic.twitter.com/DrzrAyNZsR
— Lorenz Meyer (@shengfui) September 20, 2020
“Bild” hat erkannt, dass wir schwer mit scheinbaren Widersprüchen umgehen können und uns nach einfachen Antworten sehnen. Dies gilt insbesondere in Krisenzeiten. Corona ist eine solche Krise. “Bild” nutzt die Krise, um Auflage und Stimmung zu machen. 3/20
— Lorenz Meyer (@shengfui) September 20, 2020
Der Autor startet mit einer Unterstellung. “Wir” hätten uns angeblich an etwas gewöhnt, dass “wir” nicht erklären könnten.
Doch halt! Da steht “zu sehr gewöhnt”. Das soll wohl heißen, dass Maskenpflicht und Abstandsregeln eigentlich unzumutbar seien. 4/20 pic.twitter.com/yq0ml0Mp9D
— Lorenz Meyer (@shengfui) September 20, 2020
Kleiner Exkurs: Die Wissenschaft befindet sich in einem stetigen Corona-Lernprozess. Da kann es zu Falschannahmen und Fehleinschätzungen kommen und dass Erkenntnisse von gestern den Erkenntnissen von heute weichen müssen. 5/20
— Lorenz Meyer (@shengfui) September 20, 2020
Diese schwierige Zeit nutzt der Autor und bedient sich dazu der Technik der Dekontextualisierung. Statt Zusammenhänge zu erklären und Kausalitäten herzustellen, fragmentiert er Sachverhalte und reißt sie aus ihrem Zusammenhang. 6/20
— Lorenz Meyer (@shengfui) September 20, 2020
Er bedient sich dazu eines weiteren rhetorischen Tricks, den auch Verfechter von Verschwörungsmythen, Leute mit rechtsextremen Ansichten oder sonstige Polit-Esoteriker verwenden: “Ich sage ja nichts. Ich stelle nur Fragen.” 7/20
— Lorenz Meyer (@shengfui) September 20, 2020
Zweifel können gesund sein, sie können aber auch lähmen oder zerstörerisch sein. Hier entwickeln sie ihre destruktive Wirkung aus drei hintereinander geschobenen Fragen mit scheinbaren Widersprüchen.
Wir schauen uns die mal an. Und beantworten sie natürlich. 8/20
— Lorenz Meyer (@shengfui) September 20, 2020
ANTWORT: Weil das Bundesliga-Hygienekonzept eine Vielzahl von Regeln vorsieht: Keine Rudelbildung, kein Torjubel, kein Abklatschen, kein Umarmen, kein Spucken, Sicherheitsabstand auf der Ersatzbank…
Mit dem Ziel, das Spiel zu ermöglichen, aber Risiken zu minimieren. 9/20 pic.twitter.com/OT9YmsLi1s
— Lorenz Meyer (@shengfui) September 20, 2020
ANTWORT: Vielleicht, weil sie gerade direkt aus einem Besprechungstermin kommen. Vielleicht, weil sie mit gutem Beispiel vorangehen wollen. Vielleicht, weil sie fürchten, dass Boulevardreporter sie sonst in die Pfanne hauen würden. 10/20 pic.twitter.com/T3COhttGpI
— Lorenz Meyer (@shengfui) September 20, 2020
ANTWORT: Weil Schulklassen in virologischer und epidemiologischer Hinsicht als Kleingruppe behandelt werden, bei der Masken entfallen können, wenn für Lüftung und Durchzug gesorgt ist. Diese Kleingruppen will man jedoch voneinander abgrenzen, daher die Schulhof-Masken. 11/20 pic.twitter.com/wsiuEbPWJh
— Lorenz Meyer (@shengfui) September 20, 2020
Wir haben also gesehen: Auf alle seine Fragen gibt es vernunftbasierte Antworten. Die will der Autor jedoch gar nicht hören. Bei seinen Fragen geht es ihm nicht um Erkenntnisgewinn oder Aufklärung, sondern um das politisch motivierte Säen von Zweifeln. 12/20
— Lorenz Meyer (@shengfui) September 20, 2020
Dass wir uns nicht falsch verstehen: Einem Journalisten ist das Stellen von Fragen natürlich erlaubt, vorausgesetzt, er ist an Antworten interessiert. Das darf hier schon deshalb bezweifelt werden, weil er die Fragen keinem Wissenschaftler oder Politiker vorgelegt hat. 13/20
— Lorenz Meyer (@shengfui) September 20, 2020
Weiter geht es mit einem rhetorisch raffinierten, aber manipulativen Trick: Der Autor versteckt sich hinter dem fiktiven “Kind”.
Natürlich ist das eine Finte. Mit dem „Kind“ meint er uns alle. Die Botschaft: „Die Corona-Maßnahmen sind unvernünftig!“ 14/20 pic.twitter.com/1iefdzjSEF
— Lorenz Meyer (@shengfui) September 20, 2020
Ja, das ist seine Botschaft: “Die Regeln” sind “absurd”. Eine Nachricht, die der Autor sprachlich geschickt in seine Pseudo-Beweisführung einbettet, die wir weiter oben entkräftet haben. 15/20 pic.twitter.com/hb87qNMZYJ
— Lorenz Meyer (@shengfui) September 20, 2020
Wie kann der Autor den flüchtigen Leser seiner zunächst harmlos wirkenden kurzen Kolumne zum Schluss emotional auf seine Seite ziehen? Mit Pathos! Also redet er von Liebe zu Kindern. Wer kann dazu schon “Nein” sagen… 16/20 pic.twitter.com/MlcMiNGqyj
— Lorenz Meyer (@shengfui) September 20, 2020
Fazit: Mit einer emotional aufgeladenen Sprache, unzulässigen Vereinfachungen und Verkürzungen und scheinbar naiven Fragen soll hier die öffentliche Wahrnehmung beeinflusst und die Glaubwürdigkeit von Institutionen bzw. des Staats untergraben werden. 17/20
— Lorenz Meyer (@shengfui) September 20, 2020
Die Zeitung bereitet damit das Terrain für Corona-Leugner, Verschwörungs- und “Querdenker”, Reichsbürger, AfD-ler, Rechtsextreme und all die Unzufriedenen, die sich an den Rand der Gesellschaft gedrängt fühlen. Ein Spiel mit dem Feuer – und mit unserer Gesundheit. 18/20
— Lorenz Meyer (@shengfui) September 20, 2020
PS: Und wer jetzt einwendet, eine Kampagne sei das nicht – es sei ja nur ein Kommentar und gäbe lediglich die Meinung eines Einzelnen wieder, dem sei hier die “Bild”-Titelseite des folgenden Tages gezeigt. 19/20 pic.twitter.com/if3xhLbo0t
— Lorenz Meyer (@shengfui) September 20, 2020
PPS: Warum sie das alles trotz all der gewaltigen Risiken und Gefahren machen?🤔 Hmm, mal drüber nachdenken… Warum heizt der Teufel die Hölle? 20/20
— Lorenz Meyer (@shengfui) September 20, 2020