Thread: Ein Dienst in der Notaufnahme
Das wird jetzt vermutlich den einen oder anderen nicht überraschen, aber der Zustand unseres Gesundheitssystems, das nebenbei bemerkt eines der besten der Welt ist, bröckelt wie der Putz von der Fassade unserer Schulgebäude. Zugegeben, wer uns aufmerksam liest, könnte meinen, wir würden eine kaputte Schallplatte abspielen, wenn wir von der Qualität der Patientenversorgunge in Kliniken und Pflegeeinrichtungen schreiben. Und dennoch war die Situation nie so ernst wie jetzt. Die letzten zwei Jahre Pandemie haben deutliche Spuren im ohnehin schon angeschlagenen Gesundheitssystem hinterlassen und die Delta-Welle ist noch nicht mal richtig abgeklungen, da kommt auch schon die Omikronwand um die Ecke. Die Notaufnahmeschwester @StellaaWellaa berichtet in dem nun folgenden Thread über einen typischen Dienst in der Berliner Notaufnahme und warum die Situation so ernst ist.
Ein Dienst in der Notaufnahme:
Es ist als hätte jemand die Schwierigkeitsstufen am 1.1.22 hochgesetzt. Boss-Level.
Wie wir das täglich überleben? Ich weiß es nicht. Vor kurzem saß ich mit einer Kollegin noch 1,5h nach unserer Schicht da. Völlig kaputt. Unfähig heimzufahren.— StellaaWellaa (@StellaaWellaa) January 9, 2022
Die Schicht begann mit dem klingeln des Roten Telefons (darüber meldet die Feuerwehr kritischste Patienten an). Zu diesem Zeitpunkt sind 41 Patient*innen in der Notaufnahme. Beide Schockräume belegt etliche Menschen im Wartebereich. Fast alle Covidräume belegt.
— StellaaWellaa (@StellaaWellaa) January 9, 2022
Wir sind 5 Kollegen im Dienst. Wir schauen uns an und nehmen uns vor „erstmal aufräumen“ – das bedeutet: durchgehen, ob es allen gut geht. Die kritischen Patienten sortieren, wichtige Medikamente geben. Absprachen mit den Ärzt*innen treffen.
— StellaaWellaa (@StellaaWellaa) January 9, 2022
Doch diesmal ist dies kaum möglich. Es stehen 4 Rettungswagen an, die Patient*innen abgeben wollen, also teilen wir uns (Pflege) auf. Wir nehmen die Patienten auf, führen die Ersteinschätzung durch – also entscheiden darüber, ob es ein Notfall ist oder nicht
— StellaaWellaa (@StellaaWellaa) January 9, 2022
und treffen die Entscheidung wie schnell der Patient von einem Arzt gesehen werden muss und beginnen nötigenfalls mit den Erstmaßnahmen, wenn der Patient droht zu kollabieren.
— StellaaWellaa (@StellaaWellaa) January 9, 2022
Es handelt sich bei den neu ankommenden Patient*innen um Jemanden mit unklaren Bauchschmerzen, sehr schmerzgeplagt, der direkt von mir ein Schmerzmittel erhält, ein junger Mann nach Stromschlag auf Arbeit, und eine Dame, die beim einkaufen stürzte und sich den Kopf aufschlug
— StellaaWellaa (@StellaaWellaa) January 9, 2022
Währenddessen klingelt es ununterbrochen an der Besucherkligel, über die sich fußläufige Patienten anmelden wollen.
Zwei Kollegen nehmen einen Rettungswagen auf, der über den Isolationstrakt mit einem Covid kommt und schon Ewigkeiten warten musste.— StellaaWellaa (@StellaaWellaa) January 9, 2022
Ich, kümmere mich um den Bauchschmerz und den Arbeitsunfall, während eine Kollegin einen Arzt auf die Intensivstation begleitet, mit einem Patienten, der lange im Schockraum lag, weil die Intensivstation keine Kapazitäten hatte.
Der fünfte Kollege versorgt die Kopfplatzwunde.— StellaaWellaa (@StellaaWellaa) January 9, 2022
Immer wieder werden wir von Patienten angesprochen, die was trinken wollen, zur Toilette müssen, sogar schon unter sich gemacht haben, noch Schmerzmittel benötigen und das Ganze während konstant neue Rettungswagen mit Patienten vorfahren.
— StellaaWellaa (@StellaaWellaa) January 9, 2022
Oft Frage ich die Feuerwehr, ob ihr Patient noch einen Augenblick Zeit hat, um jemanden zur Toilette zu bringen, oder eine Wunde zu versorgen.
Ein großes Dankeschön an dieser Stelle an die @Berliner_Fw ihr seid uns so oft, so eine große Hilfe. Wir sind euch stets dankbar!— StellaaWellaa (@StellaaWellaa) January 9, 2022
Wir standen alle unter Strom. Die ganzen 8h.
Taten unser Bestes, um aus diesen eh schon schlimmsten Tagen der Patient*innen, das Beste rauszuholen.
Auch mal ein Lächeln oder Scherz springen zu lassen, um dem Patienten nicht das Gefühl zu vermitteln, gestresst zu sein.— StellaaWellaa (@StellaaWellaa) January 9, 2022
Ich liebe meinen Job. Aber an solchen Tagen weiß ich nicht, ob ich Jemanden vergessen habe. An alle Medikamente gedacht habe. Nett zu allen war oder gar richtig gehandelt habe.
— StellaaWellaa (@StellaaWellaa) January 9, 2022
Es ist nicht mein Anspruch zu überleben. Es ist nicht mein Anspruch, dass meine Patienten meine Schicht einfach nur überleben. Mein Anspruch ist es alle gut versorgen zu können, so wie ich es gelernt habe.
— StellaaWellaa (@StellaaWellaa) January 9, 2022
Es muss endlich gesetzliche Vorgaben für Notaufnahmen geben auch wenn wir offiziell keine Gelder generieren. Die Notfallmedizin ist gesellschaftsmäßig die relevanteste Schnittstelle. Es kann jeden Treffen. Also sollte es auch jeden kümmern.
— StellaaWellaa (@StellaaWellaa) January 9, 2022
Diese Schicht übergaben wir an den Folgedienst mit einem Polizeieinsatz, denn der psychiatrische Patient, der sich stundenlang bemühte sich zu kontrollieren, knallte irgendwann durch und war nicht zu bändigen. Ich bin froh, dass niemand zu Schaden kam.
— StellaaWellaa (@StellaaWellaa) January 9, 2022
Dann saßen wir also im Aufenthaltsraum. Schweigend. Kauend, weil wir keine Pause machen konnten. Völlig ausgelaugt und den Tränen nah. Aber gern höre ich mich von der Politik erneut an, dass sich erstmal nichts ändern wird, weil es nicht nötig ist.
— StellaaWellaa (@StellaaWellaa) January 9, 2022
Das sagen andere User:
Mit ein paar Flicken, ein bisschen Applaus und guten Worten wird es im Gesundheitssystem diesmal nicht getan sein. Wir brauchen grundlegende Reformen und eine ordentliche Finanzspritze. Anders wird der Abwärtstrend nicht zu stoppen sein. Bleibt also die Frage: Warum tut die Politik nichts? Kann oder will sie nichts ändern? Und: Muss es erst schlimmer werden, bevor es besser wird? Wir haben ein paar der treffendsten Reaktionen für euch gesammelt.
Ein Freund, der in der NA gearbeitet hat, hat vor 6 Monaten geschmissen. Er konnte nicht mehr. Und du beschreibst genau, warum.
Ich weiß nicht wen, aber IRGENDWEN müssen wir zur Rechenschaft für diese Scheiße in dem Krankenhäusern und der Pflege ziehen (können).
— Alice out of Place 🏳️🌈 (@AliceOutOfPlace) January 10, 2022
Unfassbar was ihr leistet. Das hilft zwar nicht weiter, aber Danke 🧡.
— Santos (@saloiaemBerlim) January 10, 2022
Danke für deinen Bericht. Ich habe Gänsehaut bei deinen Worten. Man spürt deine Verzweiflung und deine Erschöpfung mit jedem deiner Sätze.
Leider kann ich nicht mehr tun, als teilen, mit dir/euch laut sein und Kontakte zu vermeiden. Aber das mache ich von Herzen gerne.💚
— Zebrabande🦓 (@Zebra_Bande) January 9, 2022
Stand gestern nach 13 Stunden Tagdienst im OP bestimmt 30 min heulend unter der Dusche.
— Nicole (@NoAssignedName) January 9, 2022
Dieses wie gelähmt zusammen sitzen oder weinend auf der Heimfahrt…
Nach dem Dienst nochmal die Kollegen anrufen, weil ich mir nicht sicher bin etwas erledigt und übergeben zu haben.
Zu wissen das es mir nicht gut tut – dieser # eswarmeineberuf
# mütend— schwestaaaa (@MichaelaBertz) January 9, 2022
Vielen Dank für eure Aufmerksamkeit! Passend dazu haben wir noch das verlinkt: