Thread: Von der Autoliebe zur Autokorrektur
Wann immer das Thema Verkehrswende und der Verzicht auf Individualverkehr an der Tagesordnung ist, leben plötzlich alle auf dem Dorf und sind auf zwei Autos pro Haushalt angewiesen. Zugegeben, abseits der Großstädte mag es mit flächendeckendem Nahverkehr schnell finster aussehen und von der Zuverlässigkeit der Deutschen Bahn abhängig zu sein, ist auch nicht so der wahre Jakob. Doch wo kein Bedarf ist oder keiner angemeldet wird, kann folglich auch kein Angebot ausgebaut und verbessert werden. Und so haben wir es in dieser Bundesrepublik geschafft, uns so sehr vom Auto abhängig zu machen, dass Teile der Gesellschaft nicht verstehen wollen, dass die Verkehrswende im Kampf gegen den Klimawandel nicht nur notwendig, sondern alternativlos ist. Jetzt damit zu argumentieren, dass man unter gar keinen Umständen aufs Auto verzichten kann, weil nichts ausgebaut ist, ist nicht nur ein Henne-Ei-Problem, sondern zeugt auch vom Unwillen, sich nicht selbst um Alternativen zu kümmern.
Schaut man sich in den europäischen Nachbarländern um, stellt man nämlich sehr schnell fest, dass es sehr wohl anders geht, wenn man denn nur möchte. Ob Fahrgemeinschaften, Carsharing oder ein ÖPNV mit kostenloser Fahrradmitnahme, die Möglichkeiten, ohne Auto auf dem Land klarzukommen sind vielseitig. Doch dazu muss man erstmal raus aus seiner Komfortzone. Das gilt übrigens auch für Städter, die weiterhin auf ihren PKW setzen. Unterm Strich ist es wie mit jeder anderen Abhängigkeit auch. Wer nicht erkennt, dass und warum es ein Problem gibt, wird es schwer haben, clean zu werden und früher oder später Opfer seiner Sucht. Wenn 2,35 Euro für den Liter Sprit schon zu teurer sind, was macht der- oder diejenige dann erst bei 5 Euro pro Liter? Wir können sowieso nicht alle E-Auto fahren! Deswegen: Lieber früher umdenken als später. Der Twitteruser @AlfredKrappel beschreibt in dem nun folgenden Thread seinen persönlichen Sinneswandel, wie er vom Autoliebhaber zum Befürworter der Verkehrswende wurde.
Von der Autoliebe zur #Autokorrektur – ein 🧵
Ich liebte Autos. Bin mit schnellen Autos groß geworden. Mein Vater war Manager bei BMW. Hier ein Bild von ca. 1979 mit dem legendären M1. 6 Jahre später wurde ich von meinem Vater von einer Veranstaltung mit einem M3 Prototypen
— Alfred Krappel (@AlfredKrappel) March 12, 2022
abgeholt. Es war eine Serienkarosse noch ganz ohne Spoiler und Backen wie in diesem Bild. Der perfekte Wolf im Schafspelz. Jeder Überholvorgang hat einem ein Grinsen ins Gesicht gezaubert. Die Blicke der GTI Fahrer – unvergessen. Ich hätte mir nie geträumt, dass ich einmal für
— Alfred Krappel (@AlfredKrappel) March 12, 2022
ein Tempolimit plädiere und doch ist es so. Bei mir wurde der Schalter im Kopf 2019 umgelegt – „Umparken im Kopf“ – Autofans erinnern sich. Was war passiert? @GretaThunberg war passiert und damit eine Frage: Finde ich es gut was @FridayForFuture mit ihren Schulstreiks treiben?
— Alfred Krappel (@AlfredKrappel) March 12, 2022
Ich habe mich also in das Thema #Klimakrise eingelesen und war geschockt. Wie konnte ich den Klimawandel nur so unterschätzt haben – „na dann ist es halt 2°C wärmer, ist doch nicht so tragisch.“ Als Ingenieur, der sich mit Nichtlinearitäten, Rück- und Mitkopplungen, Totzeiten,
— Alfred Krappel (@AlfredKrappel) March 12, 2022
Systemdynamiken und -(in)stabilitäten, etc. jahrelang auseinandergesetzt hatte, war mir schnell klar, was uns blüht, wenn wir nichts ändern. Die Liebe fürs Auto war von einem Tag auf den anderen erloschen. Und mir war auch klar, dass es mit #Antriebswende nicht getan ist – wir
— Alfred Krappel (@AlfredKrappel) March 12, 2022
brauchen einen grundsätzlichen Paradigmenwechsel was unsere Mobilität angeht, ja – wir brauchen eine #Autokorrektur. Seit meinem heureka-Moment stand mein Auto (ein BMW M140i) nur noch rum, alleine für die Urlaubsfahrten 2x pro Jahr – Fliegen ist natürlich ebenso untragbar
— Alfred Krappel (@AlfredKrappel) March 12, 2022
unter den gebotenen Umständen – wurde das Auto benutzt. 900€ Leasingrate für ein stehendes Auto, was für eine Geldverschwendung – aber ich konnte nicht mehr fahren, es ging nicht mehr. Seit Dezember habe ich kein Auto mehr, stattdessen bin ich Mitglied bei Stattauto, wenn ich
— Alfred Krappel (@AlfredKrappel) March 12, 2022
dann doch mal ein Auto brauche. Ansonsten fahre ich ÖPNV, Bahn, Rad, eScooter. Und ich frage mich: wenn ich das schaffe – der Mann, der Autos liebte – dann müssten es doch noch viel mehr schaffen. Alles was es braucht ist der Klick im Kopf 😊 Happy exploring 🤙
— Alfred Krappel (@AlfredKrappel) March 12, 2022
Das sagen andere User:
Es tut gut zu lesen, dass ein Umdenken auch für Autofahrer bzw. -liebhaber im Bereich des Möglichen ist. Ein paar der treffendsten Kommentare und Reaktionen haben wir hier für euch gesammelt.
Mein Vater war Entwicklungsingenieur bei Ford. Im Studium dort habe ich selbst an den Computern der Motorenprüfstände gearbeitet. Alles gelernt über Motoren, Schadstoffe, über CO2, wie egal es den Leuten war. So waren die 80er. Seitdem radikaler Klimaschützer und vermeide Autos
— Jörg Prante💉💉💉 🌳🚲🌳💻🌳🌈 (@joergprante) March 12, 2022
Danke für diese persönlichen Einblicke! 🙏 Bemerkenswert finde ich, dass du der kognitiven Dissonanz so spontan mit einer Verhaltensänderung begegnet bist, statt zunächst das ungute Gefühl bzgl Auto schön zu denken oder anderweitig auszuweichen. Respekt. 👍🌍💚
— sonate55🔴 (@sonate553) March 12, 2022
Da ich im ländlichen Raum wohne, wo man ÖPNV nur aus den Medien kennt, habe ich mich für ein EAuto entschieden. Geladen wird mit Ökostrom. Ist eine super Sache. Frage mich warum das nicht mehr Leute hier so gemacht haben.
— Flo (@not_your_fadda) March 12, 2022
Deine Erfahrungen könnten von mir sein. Ich hatte diesen Moment bereits 2016. Interessanterweise ist der Verzicht auf ein Auto eine echte Befreiung.
— Low (@loew_jo) March 12, 2022
Interessiere mich gerade für einen Corsa-e. Wenn ich einen Bericht lese, der zur Hälfte sich nur mit der Frage beschäftigt, wie „sportlich“ sich das Kfz fährt, merkt man wie dringend unser Bild von Mobilität korrigiert werden muss. #Autokorrektur
— Andreas Horneber (@Ein_Klimawender) March 12, 2022
Vielen Dank für eure Aufmerksamkeit! Passend dazu haben wir noch das für euch: