Thread: Nur singen, spielen, Kaffee trinken? Ich erzähle euch von einem meiner Arbeitstage als Erzieherin…
Zahnärzt:innen benutzen gerne unnötig spitze Instrumente und fahren im Porsche zum Golfplatz? Geographielehrer:innen hängen vormittags eine Karte auf und haben nachmittags frei? Aus irgendeinem Grund sind die Vorurteile, die wir über bestimmte Berufe haben, nicht die nettesten. Tatsächlich ist es doch so, dass wir in viele Jobs nur einen völlig oberflächlichen Einblick haben. Wir sehen die Juristin eine halbe Stunde bei der Rechtsberatung und kriegen irgendwann eine Rechnung. Wir erleben den Fachverkäufer an der Theke und wünschen ein schönes Wochenende. Wir begrüßen die Erzieher:innen im Kindergarten und verschwinden aus der Tür, während der Morgenkreis beginnt. Der Rest: eigene Erfindung und ein wenig „Fernsehbildung“. Was der Arzt an Verwaltungsaufgaben hat, wenn ich die Praxis verlasse, davon weiß ich nichts. Wo die beiden Verkehrspolizistinnen hinfahren, kann keiner von uns einschätzen.
Twitteruserin @MitKopfHerzHand ist Erzieherin in einem Kindergarten. Die wenig schmeichelhaften Vorurteile, die sie zu hören bekommt, postulieren, dass ihr Beruf nicht anstrengend sei: Singen, spielen, Kaffee trinken und mit Kolleg:innen plaudern. Um diese Vorurteile zu entkräften, öffnet sie die Tür des Kindergartens und nimmt uns mit in einen ihrer Arbeitstage. Vielen Dank dafür!
„Erzieher*innen spielen doch nur“ – ein Thread
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Es gibt sie leider immer noch zu Hauf in unserer Gesellschaft: die Vorurteile, dass Erzieher*innen nichts anderes machen als singen, spielen, basteln, Kaffeetrinken und mit Kolleg*innen plaudern und dass dieser Beruf nicht
…¹— Frau_Obstspieß (🍍) (@MitKopfHerzHand) November 24, 2020
…anstrengend sei. Und die Forderung gleiches Gehalt wie Grundschullehrer*innen zu bekommen sei unverschämt, die hätten ja schließlich im Gegenteil zu den Erzieher*innen studiert. Ich erzähle euch mal von einem Arbeitstag, der noch nicht lange her ist.
…²— Frau_Obstspieß (🍍) (@MitKopfHerzHand) November 24, 2020
…ich habe 75 Minuten damit verbracht, ein wütendes, extrem kraftvolles 3jähriges Kind davon abzuhalten aus der Kita zu rennen. Es hat mich getreten, blutig gekratzt, mir ins Gesicht auf die Nase geschlagen und versucht mich zu beißen und zu kneifen. Ich habe versucht…³
— Frau_Obstspieß (🍍) (@MitKopfHerzHand) November 24, 2020
…es davon abzuhalten sich selbst und/oder andere Kinder zu verletzen. Ich habe es festgehalten, zusammen mit mir in einem Raum eingesperrt und dabei beruhigend auf das Kind eingeredet. 75 Minuten lang. 75 Minuten. Irgendwann schlug die Wut um und die zugrundeliegende…⁴
— Frau_Obstspieß (🍍) (@MitKopfHerzHand) November 24, 2020
…Trauer kam zum Vorschein. Ich konnte das Kind trösten. Mir geht es nicht um meine Blessuren. Ja, es tat weh, aber ich halte das aus. Was ich nicht aushalte, ist das Leid des Kindes. Es wollte mir nicht weh tun. Es wollte zu seiner Mutter. Ich konnte ihm kaum helfen…⁵
— Frau_Obstspieß (🍍) (@MitKopfHerzHand) November 24, 2020
…war ich schweißgebadet, zerkratzt und mit den Nerven am Ende. Es tut mir in der Seele weh, dieses Kind so leiden zu sehen und nicht zu wissen, wie ich es aus dieser Spirale aus Wut und Trauer herausholen kann. Es zerreißt mich innerlich seine Ohnmacht zu erleben…⁶
— Frau_Obstspieß (🍍) (@MitKopfHerzHand) November 24, 2020
…und zu wissen, dass es an dieser Situation am meisten leidet. Das erschreckende und traurige ist, dass es solche und ähnliche Fälle immer häufiger gibt. Wir päd. Fachkräfte müssen nicht nur die Kinder unterstützen und auffangen, sondern auch immer häufiger die Eltern…⁷
— Frau_Obstspieß (🍍) (@MitKopfHerzHand) November 24, 2020
…Wir kämpfen für die Kinder, die Eltern, die Familien. Wir sind deren Anwälte, Beistände, Seelsorger. Aber Erzieher*innen machen ja nichts anderes als spielen, basteln, Kaffeetrinken und plaudern. Ich bin müde. Wir sind müde.
Ende.#Erzieherin #ErzieherinMitKopfHerzHand #KiTas— Frau_Obstspieß (🍍) (@MitKopfHerzHand) November 24, 2020
So kommentieren andere User:innen:
ich Hilfe. Alleine habe ich diese Situation nicht gepackt.
Dem Klischee zufolge hätte ich es mit Links schaffen müssen, selbst als damals noch unausgebildete Peron. Dem war nicht so.— Dominik Sachs trägt 😷. Du auch? (@paedabasics) November 24, 2020
Ich kann das bestätigen. Kinder mit herausforderndem Verhalten – damit kann ich umgehen. Eltern die so viel Raum einnehmen wegen Nichtigkeiten bringen mich zur Verzweiflung. Oft kommt nicht mal zum Abschied ein Danke.
Bin kurz davor das Handtuch zu werfen. Bevor ich zerbreche.— Fr. Angi Pani (@FrauPani) November 24, 2020
Dieser Sozialberuf ist enorm wichtig, weil ihr Erzieherinnen die Zukunft und Entwicklung der Kinder maßgeblich prägt.Die Theorie hinter eurem Job ist auch nicht zu verachten. Dokumentationen, Beobachtungen etc. Ich denke Erzieherinnen werden unterschätzt
— 😷DannyOcean😷 (@DNYOCN1) November 24, 2020
Danke.Sage ich auch zu den Bezugspersonen meiner Tochter. Sie ist ein tolles👧Aber anstrengend.Und als ich es laut beim Elternabend gesagt hatte, kam eine zu mir und hat sich für d Wertschätzung bedankt.Das hätte ihr so gut getan.wie traurig, dass das nicht selbstverständlich ist
— Sina Herzkersch 🍒 (@kaesekuchn) November 24, 2020