Thread: Künstlerinnen in der Renaissance
Unsere Welt scheint oft von Männern für Männer gemacht zu sein. Und wirklich, das ist sie auch. Sie tendiert dazu, Frauen in bestimmten Bereichen unserer Gesellschaft auszublenden oder ihnen weniger Bedeutung beizumessen. Das ist kein Zufall oder Versehen, sondern das Ergebnis von kontinuierlicher und systematischer Diskriminierung von Frauen. Dieses System, in welchem soziale Beziehungen, Normen und Verhaltensmuster von Vätern und Männern geprägt, kontrolliert und repräsentiert werden, beschreibt man in der Soziologie gemeinhin als Patriarchat oder auch Androkratie. Ein System, das es schon 5000 Jahre gibt und insbesondere vom profitierenden männlichen Geschlecht nicht gern hinterfragt wird. Auch Kritik ist meist eher unerwünscht. Umso wichtiger ist es, dass wir als Gesellschaft damit aufräumen und die unmittelbaren Folgen sichtbar machen. In dem nun folgenden Thread von @KirstenOfM geht es konkret um die verzerrte Darstellung, welchen Einfluss Frauen auf die gesellschaftliche Entwicklung haben und in den vergangenen Jahrhunderten hatten. Dabei machen wir einen kleinen Ausflug in die Renaissance und widmen uns einem sehr wertvollen Teil der Kunstgeschichte. Aber lest am besten selbst.
Meiner Tochter (12) wurde kürzlich von der jungen Kunstlehrerin erklärt, es habe in der Renaissance keine Künstlerinnen gegeben. Sie widersprach vorsichtig und musste ihren Widerspruch in der Woche darauf dann „beweisen“. Hier die 5 Künstlerinnen, über die sie referiert hat:
— Kirsten loves art (@KirstenOfM) June 13, 2022
1. Sofonisba Anguissola, ca 1531 – 1625, Italien. Sie malte nach (natürlich informeller!) Ausbildung u.a. bei Michelangelo italienische und spanische Adlige ihrer Zeit und genoß bis ins hohe Alter internationale Anerkennung. Schon mal von ihr gehört?
— Kirsten loves art (@KirstenOfM) June 13, 2022
2. Catharina van Hemessen (1527 – 1583), Portraitmalerin aus Flandern. Sie schuf wohl das früheste Selbstbildnis, auf dem ein Maler sich an der Staffelei darstellt; ihre Portraits waren schon zu Lebzeiten sehr begehrt. Nach ihrer Heirat 1554 malte sie leider nur noch selten.
— Kirsten loves art (@KirstenOfM) June 13, 2022
3. Properzia de‘ Rossi (1490 – 1530), italienische Bildhauerin. Sie gestaltete u.a. die Westfassade der Basilika San Petronio in Bologna (ein Ausschnitt davon s.u.). Ihr Vater hatte Wert auf eine gute Ausbildung gelegt… Zeitgenossen galt sie als Genie.
— Kirsten loves art (@KirstenOfM) June 13, 2022
4. Plautilla Nelli (1524 – 1588), aus Italien, war Nonne und Autodidaktin und malte u.a. die Szene des Letzten Abendmahls Jesus‘, was sich damals für eine Frau definitiv nicht gehörte. Was sofort auffällt: Ist das da etwa Maria Magdalena neben Jesus?
— Kirsten loves art (@KirstenOfM) June 13, 2022
5. Levina Teerlinc (1510 – 1576), flämische Miniaturistin am englischen Hof unter Heinrich VIII (ja, genau dem…) und später seinen Kindern. Zu Lebzeiten war ihre Kunst international gefragt. Leider sind nur wenige ihrer Miniaturen erhalten. Hier eine, die ihr zugeschrieben wird:
— Kirsten loves art (@KirstenOfM) June 13, 2022
All diese und andere Künstlerinnen finden offenbar im Kunststudium (für Lehrkräfte) nach wie vor nicht statt, deshalb wird SchülerInnen auch 2022 vermittelt, dass Frauen durch die Jahrhunderte keine Rolle gespielt haben. Ich frage mich, wie lange das noch so gehen soll…
— Kirsten loves art (@KirstenOfM) June 13, 2022
Viele von Euch haben gefragt, wie die Lehrerin auf das Referat reagiert hat, deshalb hier nochmal: Sie hat sehr souverän reagiert und meiner Tochter eine 1 gegeben. Ich sehe auch die Unis/Bildungsministerien in der Pflicht, die Lehrpläne zu aktualisieren, nicht die Lehrkräfte.
— Kirsten loves art (@KirstenOfM) June 17, 2022
Ich danke Euch so für Eure netten Reaktionen und Retweets! Wie schön, dass wir jetzt alle ein bisschen Werbung machen für die tollen Künstlerinnen der Renaissance! Meine Tochter wird staunen! 😄
— Kirsten loves art (@KirstenOfM) June 13, 2022
Das sagen andere User:
Hättet ihr es in diesem Fall gewusst? Versteht ihr nun, wie wichtig es ist, darüber aufzuklären? Ihr könnt euch sicher sein, dass dies nur ein Beispiel von vielen ist. Was die Leserinnen und Leser dazu zu sagen hatten, wollen wir euch natürlich nicht vorenthalten. Ein paar der treffendsten Tweets und Reaktion haben wir hier für euch zusammengetragen:
Es sollte inzwischen bekannt sein, dass Ausschlussmechanismen über Jahrhunderte die Leistungen von Frauen unsichtbar gemacht haben. Es gab sie, die Malerinnen, Komponistinnen, Schriftstellerinnen, Übersetzerinnen etc. Man muss nur nach ihnen suchen. Tolle Arbeit Ihrer Tochter!
— Helen Fronius (@HelenFronius) June 13, 2022
Der Witz an der Sache ist, dass einige der Renaissance-Künstlerinnen zu Lebzeiten erfolgreich und bekannt waren. Erst in der modernen Geschichtsschreibung wurden sie ausgeklammert. So viel zum linearen Fortschritt… In meinen Vorlesungen sind sie jedenfalls fester Bestandteil.
— Joerg Scheller (@joergscheller1) June 13, 2022
Tolle Tochter! Von Irmgard Osols-Wehden (Hrsg.’in) gibt es dazu den informativen Band „Frauen in der italienischen Renaissance“ (erschienen in der Wiss. Buchgesellschaft, 1999), mit Artikeln über Dichterinnen, Malerinnen und Mäzeninnen – unter anderem über Sofonisba Anguissola.
— Peter Seidel (@Seidel63) June 13, 2022
Bitter ist, dass diese Lehrer/innen offensichtlich zu faul oder unfähig sind, sich schlau zu machen. Man findet das alles inzwischen im Internet und muss nicht irgendwelche Bibliotheken & Archive vor Ort durchforsten, Herrgottnochmal!
— D. (@dalaruan) June 13, 2022
Gut, dass ich nachgeschlagen habe.
Wollte grade auf Artimisia Gentileschi hinweisen, aber sie ist offenbar eine Vertreterin des Barock 🙂— Autoerotic Defenestration 💉💉💉😷 (@DanielaKayB) June 13, 2022
Stimme dir 100%ig zu. Allerdings ist dies auch ein Beispiel dafür, wie wenig einE FachleherIn über das erwählte Unterrichtsfach weiß und wie mit Unwissen umgegangen wird – lass das Kind mal den Beweis erbringen… gehts noch?
— Dr_MHohenadler (@michahohenadler) June 13, 2022
Wenn „man“ felsenfest von etwas überzeugt ist, dann besteht für einen selber ja überhaupt keine Notwendigkeit, dazu überhaupt zu recherchieren.
— Uwe (@elemob_de) June 13, 2022
Vielen Dank für eure Aufmerksamkeit! Wenn ihr mögt, schaut doch noch hier rein: