Thread: Gestern beim Jobcenter
Wenn man einmal mit dem Jobcenter oder dem Arbeitsamt zu tun hatte, weiß man, dass es dort keine wirkliche Vertrauensbasis gibt. Nicht nur, dass man dort genauer unter die Lupe genommen wird als jeder andere Mitmensch oder Konzern in dieser Bundesrepublik, Versäumnisse und Fehler können sehr schnell ernsthafte und unangenehme Folgen haben. Das gilt auch für die, an denen man eigentlich gar keinen Anteil hat. Und eben weil Druck und Gefahr so groß sind, haben viele Leistungsempfänger*innen längst begriffen, dass man sich unbedingt absichern sollte. Im Konkreten bedeutet das zum Beispiel, dass man sich eingereichte Dokumente am besten immer quittieren lässt. Geht etwas verloren – und das ist beim Jobcenter keine Seltenheit – fällt die Schuld automatisch der Antragsteller*in zu. Das weiß auch die Twitteruserin @utopia_ultima, die bei genau so einem Absicherungsversuch unlängst eine sehr unschöne Erfahrung gemacht und darüber diesen Thread geschrieben hat. Aber am besten macht ihr euch selbst ein Bild.
Ich bin gestern zum JC gefahren, um einen Widerspruch persönlich abzugeben, um die Kosten des Einschreibens zu sparen, weil #IchBinArmutsbetroffen. Zum Glück derzeit mit 9 €-Ticket, auch da 4 € f. hin u. zurück gespart.
Ich trete ins Gebäude, im Erdgeschoss ein Schalter
1/7— Christine 🌼 (@utopia_ultima) August 20, 2022
für Agentur f. A. und einer f. JC.
Beim Eintreten seh ich einen monströsen Sicherheitsmann (?) in Normalkleidung gelangweilt auf einen Stuhl gefläzt mit seinem Handy beschäftigt. Er sieht mich, genervter Blick, steht auf, kommt mit einschüchternder Körperhaltung auf mich zu.
2/7— Christine 🌼 (@utopia_ultima) August 20, 2022
Fragt in gelangweiltem Ton, was ich denn wolle. Ich erkläre, dass ich einen Widerspruch abzugeben hätte und eine Quittierung bräuchte (was ich bereits zu früheren Anlässen so tat, weil immer wieder was verloren geht). MA standen am Schalter, vertieft in irgendwas.
3/7— Christine 🌼 (@utopia_ultima) August 20, 2022
Er unhöflich kommandierend: „Das geht hier nicht, werfen Sie es in den Briefkasten!“ Ich wollte nochmal kurz erklären, er wies mich zurecht wie ein Strafvollzugsbeamter und aus der Tür. Keine Erklärung oder „tut mir leid, aber …“.
Kein Einzelfall!
Ich ging dann zur Post
4/7— Christine 🌼 (@utopia_ultima) August 20, 2022
und zahlte 3,50 für das Einschreiben , fast ein Tagessatz Essen für #IchBinArmutsbetroffen e.
👉 Keine andere Behörde würde so einen Umgang mit Bürgern dulden!!
Ich bin chron. krank in diese Situation geraten und man darf mich staatlich legitimiert so würdelos behandeln?
5/7— Christine 🌼 (@utopia_ultima) August 20, 2022
Es ist so selbstverständlich geworden. Niemand juckt’s.
Der Blick auf Menschen in #Armut hat sich seit der Agenda 2010 schleichend in einen Blick voller Vorurteile und Misstrauen gewandelt, Ignoranz oder Abscheu. Die Schere ist nicht nur finanzieller Natur.
6/7— Christine 🌼 (@utopia_ultima) August 20, 2022
Nicht die Betroffenen sind asozial!
Es ist höchste Zeit für einen überfälligen, von Sozialverbänden geforderten #Sozialgipfel.
Aber auch einen grundlegenden Paradigmenwechsel im Menschenbild, das Bürger nicht mehr nach humankapitalistischen Aspekten klassifiziert.
7/7— Christine 🌼 (@utopia_ultima) August 20, 2022
Nach der großen Resonanz auf meinen Tweet möchte ich allen für ihren Beitrag danken 💜.
Entschuldigt bei dem Umfang, falls ich dem/der ein oder anderen nicht persönlich antworte.Ich freue mich über so viel Anteilnahme u. Solidarität 😀💜
Das gibt Kraft und Hoffnung 🌼🌼🌼— Christine 🌼 (@utopia_ultima) August 22, 2022
Das sagen andere User:
Wow, das geht natürlich gar nicht! Es ist beschämend, dass Empfänger*innen von Sozialleistungen so entwürdigend behandelt werden. Der hier dargestellte Sicherheitsmann mag ein Einzelfall sein, steht jedoch symbolisch für ein unmenschliches System, das dringend reformiert werden sollte. Inzwischen hat sich das Kundenreaktionsmanagement bei der Autorin dieses Threads via Twitter gemeldet und entschuldigt. Die treffendsten Reaktionen und Kommentare anderer User haben wir hier für euch gesammelt:
Da hast du sicher Recht. So wie der auftrat wollte ich mich aber nicht weiter mit dem anlegen. Diese Szene spielte sich direkt vor den Schaltern ab.
— Christine 🌼 (@utopia_ultima) August 20, 2022
Es war geöffnet.
Ich überlege, etwas zu schreiben, in d. R. verläuft es ins Leere.
Der Ton, so mit den so genannten Kunden zu sprechen ist durchaus gang und gäbe. Ausgelebtes Machtgefälle anstatt Höflichkeit und Respekt.— Christine 🌼 (@utopia_ultima) August 20, 2022
Das Sicherheitspersonal im JC ist oft abweisend, einschüchternd. Nicht weniger das Personal am Schalter. Musste auch schon sehr energisch auftreten, damit dringliche Anliegen angenommen werden. Mitten in der Depression ein Unding, u sonst auch 😡
— why_o_why#LebenRetten😷 (@hope_n_beauty) August 21, 2022
…wäre damit noch nicht gelöst, klar, aber du müsstest nicht wegen so einer Dumpfbacke auch noch unnötig Geld ausgeben und einen zusätzlichen Weg gehen.
In deinem Fall jetzt vielleicht doch eine Beschwerde schreiben, auch wenn das mühsam ist?
Unmöglich, sowas.— Nellie 🎶🇺🇦💚 (@nelliecello) August 21, 2022
Auf Quittierung bestehen.
Sonst Vorsprache bei der Leitung zur Abgabe.
Ggfls Kundenreaktionsmanagment Anschreiben.— Ernie Tobasyt (@tobasyt) August 20, 2022
Hab es mir fest vorgenommen. Mein Kopf spielt nur nicht immer so mit wegen Fatigue.
— Christine 🌼 (@utopia_ultima) August 20, 2022
Einer der Gründe, warum ich als Sozialarbeiterin oft ins JC mitgegangen bin.
— Herda (@InkognitoSimsa) August 20, 2022
gezwungen wird zu kämpfen, weil Papiere auf anderen Wegen nicht ankommen
— MamaM🇺🇦#standwithukraine🇺🇦 (@MarinaDohnt) August 21, 2022
Vielen Dank für eure Aufmerksamkeit! Wo wir gerade beim Thema sind, schaut doch noch hier rein: