Thread: Eine Geschichte über meinen Schultag
Auch wenn sich die nun folgende Geschichte an einer Schule zugetragen hat, so ist ihre Kernaussage universell auf fast alle anderen Lebensbereiche anwendbar, in denen wir mit Menschen zu tun haben. Denn es geht um sehen und gesehen werden, um reden und zuhören, sich auch mal zurückzunehmen, aber vor allem um Empathie und gegenseitigen Respekt. In der heutigen Zeit, in der wir alle gestresst, genervt oder abgelenkt sind und uns um unsere Zukunft oder gar die Gegenwart sorgen, ist jedes Quentchen Hoffnung oder positive Energie gern gesehen. Na, neugierig geworden? Dann überreichen wir nun der Twitteruserin und Lehrerin @4Sprosse das virtuelle Mikrofon und lassen sie über eine Geschichte aus ihrem Schulalltag berichten, von der wir alle etwas lernen können.
Ich möchte euch heute eine Geschichte über meinen Schultag erzählen. Ich möchte das einfach gerade aus mir raus schreiben. Könnte etwas länger werden.
Heute war so ein Tag, an dem ich mich nicht wohl fühlte. Immer, wenn ich im Lehrerzimmer etwas sagen wollte, schrie jemand
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— Frau Sommersprosse (@4Sprosse) May 4, 2022
Dazwischen, sodass ich nie wirklich zu Wort kam. Ich wollte etwas mitteilen und zum Gespräch beitragen, aber mir hörte niemand im Kollegium zu. Ich blieb still und fragte mich leise, warum ich diesen Job gewählt habe. Deprimiert ging ich in die nächste Stunde.
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— Frau Sommersprosse (@4Sprosse) May 4, 2022
In der Gruppenarbeit dort schoss ein Junge komplett quer, sodass die Gruppe irgendwann vor mir stand und verkündete, sie wolle nicht mehr mit ihm arbeiten. Er wurde frech und laut. Ich ließ alle Gruppen weiterarbeiten und nahm den Jungen mit an einen ruhigen Ort.
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— Frau Sommersprosse (@4Sprosse) May 4, 2022
Ich sah ihn an und fragte ganz freundlich, was los wäre. Er war die Woche über auffällig. Da fing er ganz plötzlich an zu weinen. Ich wartete bei ihm, fragte, ob ich gehen soll. Er antwortete nicht. Ich blieb bei ihm und wartete ruhig. Als er sich beruhigt hatte, sagte ich:
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— Frau Sommersprosse (@4Sprosse) May 4, 2022
„Liegt es an der Gruppe, an mir oder ist etwas ganz anderes los? Du musst mir nicht antworten, aber ich kann dir nur helfen, wenn du mir irgendwas sagst.“
Da sah er mich an und erzählte mir von seinem Liebeskummer und dass ihm niemand zugehört hatte. Ich hörte zu. Hinterher5/x
— Frau Sommersprosse (@4Sprosse) May 4, 2022
Sagte ich ihm, dass ich das auch kenne und seine Gefühle verstehen kann. Wir verabredeten, dass er die Stunde „pausieren“ kann und ab morgen wieder mitmacht. Wir gingen zurück und später steckte er mir einen Zettel zu, auf dem stand, in wen er so unglücklich verliebt ist.
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— Frau Sommersprosse (@4Sprosse) May 4, 2022
Und noch ein Wort stand auf dem Zettel: „Danke.“
Der Rest der Stunde verlief ruhig. Die Gruppen arbeiteten gut. Am Ende der Stunde fand der traurige Junge einen Zettel auf seinem Platz:
„Du kannst immer zu mir kommen, wenn ich dir helfen kann. Ich höre dir zu und bin7/x
— Frau Sommersprosse (@4Sprosse) May 4, 2022
Für dich da. Danke für dein Vertrauen.“
Ich bin oft tollpatschig, manchmal verplant und im Kollegium gehe ich unter. Aber ich weiß jetzt wieder, warum ich Lehrerin geworden bin – wegen der Kinder.
Es kann gut sein, genau hinzusehen, zuzuhören und selbst leiser zu sein.
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— Frau Sommersprosse (@4Sprosse) May 4, 2022
Das sagen andere User:
Eine tolle Lehrerin, findet ihr nicht auch? Generell braucht es mehr von dieser Einstellung bei anderen Menschen. Wir benötigen schließlich alle jemanden, der uns sieht, zuhört und auch mal an die Hand nimmt. Ja, selbst wir Erwachsene! Ein paar der treffendsten Kommentare und Reaktionen der Leserinnen und Leser haben wir hier für euch gesammelt:
Danke für deine Geschichte. Ich sehe oft Kollegen, die im Kollegium untergehen und nicht recht wissen, wie sie ihren Platz dort finden können. Hast mich wieder daran erinnert, die mal einfach an die Hand zu nehmen. Danke.
— Bitte.Mittagsschlaf.Danke (@FrauTippserita) May 4, 2022
Ich hatte heute auch einen Fall von Beziehungskiste, der in Tränen begann und mit einem dankbaren Lächeln endete.
Zuhören ist so wichtig, auch wenn einem die Probleme nichtig erscheinen. Für die Kids sind das Berge.— Frau Knüppelkuh (@diesefrauO) May 4, 2022
Danke, dass du diese tolle Geschichte geteilt hast! Ich habe gerade selbst mit einigen recht auffälligen Personen in der Klasse zu tun und mich hat deine Herangehensweise total inspiriert. Echt vielen lieben Dank!
— Mhm_Marsen (@MarsenMhm) May 4, 2022
Ich hoffe so sehr, dass meine Tochter Lehrer*innen wie dich bekommt.
— Huchmampf (@Huchmampf1) May 4, 2022
Ich habeviele meiner Lehrer vergessen. Aber nicht Frau P., meine erste Klassenlehrerein, die sich des viel zu groß u breit geratenem lauten Kind annahm u es zu einem Teil einer Gemeinschaft machte. Ich fühle mich noch immer sehr verbunden mit ihrer Menschenliebe. Seit 50 Jahren.
— Bindie (@TantevomDorf) May 4, 2022
Gespräche länger, habe ich es gemacht, meinen Ausbildungsplatz abgesagt und mein Fachabi gemacht. Sein Glaube an mich hat mir den Selbstwert zurück gegeben, den ich nach dem Tod nicht mehr hatte. Beim 20jährigen Abitreffen habe ich lange mit ihm dort gesessen und mich bedankt. 🌈
— Das D (@DasD32326537) May 4, 2022
So eine Lehrerin wie dich hätte ich damals auch gebraucht. Jemand, der mich nicht auslacht, wenn ich erzähle, dass ich auf der Brücke stand. Jemand, der mit mir geredet hätte, nachdem ich von dem sex. Missbrauch des Vaters erzählte. Und so viel mehr. Danke, dass es dich gibt! ❤️
— BereniceOfNow (@BereniceOfNow) May 4, 2022
So eine Lehrerin wünscht sich doch jedes Kind. Ganz toll wie du mit Kindern umgehst. Der Junge wird sich auch noch in 50 Jahren an dich erinnern🤗
— Ma Zi (@Maggi_Zi) May 4, 2022
Vielen Dank für eure Aufmerksamkeit! Wo wir gerade bei Lehrer*innen sind: