Thread: Deshalb bin ich heute eine Löwenmutter
Zugegeben, als leuchtendes Beispiel für Integration taugt Deutschland nur bedingt. Da gibt es eine Reihe europäischer Länder, die das deutlich besser können als wir. Das heißt aber nicht, dass Integration bei uns gar nicht stattfindet oder wir im wilden Absurdistan leben, wie es uns Rechtspopulisten von der AfD und ihre Anhänger täglich weismachen wollen. Vielmehr bedeutet es, dass es von staatlicher Seite kein einheitlich geordnetes Programm oder einen Plan gibt, wie Zuwanderer*innen in unsere Gesellschaft und das Arbeitsleben integriert werden sollen.
Die Verantwortung dafür wird dabei den Ländern und Kommunen zugeschoben, die sie ihrerseits an soziale Träger, NGOs, freiwillige Helfer oder Arbeitgeber weiterreichen. Oft liegt es aber einfach auch nur am persönlichen Umfeld, ob Integration funktioniert oder eben nicht. Klingt nach einer Art Glücksspiel, ist es letzten Endes auch. Wenn hin und wieder Menschen durchs Raster fallen, ist es also nicht zwingend die Schuld der Zugewanderten, sondern ein Problem des Systems. Dass es trotzdem jede Menge Erfolgsgeschichten und positive Beispiele für gelungene Integration gibt, wird dabei leider oftmals vergessen. Und weil das so ist, wollen wir euch den nun folgenden Thread der Twitteruserin @sukoss ans Herz legen, den sie anlässlich der SpiegelTV Reportage über Sonneberg geschrieben hat. Aber lest am besten selbst.
Jetzt kann ich nicht mehr anders und gebe hier auch einmal meinen Senf dazu:
2014 übernahm ich eine ehrenamtliche Vormundschaft für einen jungen Mann aus Kenia, 8 weitere kamen hinzu (temporäre Freunde rechne ich jetzt nicht mit).
Das ist aus ihnen geworden: 1/10
— Suzy Wong (@sukoss) June 22, 2023
M. Kenia: Schule, Abschluß EBBR. Ausbildung zum Hotelfachmann. Ledig. Bedient auch Sonneberger.
A. Eritrea: Schule, Abschluß MSA, Ausbildung zum Pflegehelfer, Ausbildung zur Pflegefachkraft. Arbeitet auf ITS. Erträgt tgl. Rassismus, z. B., wenn sich ein Patient von ihm 2/10
— Suzy Wong (@sukoss) June 22, 2023
nicht helfen lassen will. Ledig. Wird auch Sonnebergern einen Port anlegen.
A. Guinea-Bissau: Schule, Abschluß EBBR. Hotelfachmann. Arbeit als Night-Audit. Ledig. Erträgt tgl. Rassismus, z. B., wenn er um 03:30 kein Rührei servieren kann. Checkt auch Sonneberger ein. 3/10
— Suzy Wong (@sukoss) June 22, 2023
A. Gambia: Schule, Abschluß EBBR, Ausbildung zum Trockenbauer. Erträgt tgl. Rasismus. Verheiratet, 1 Kind. Baut auch Sonnebergern das Haus um.
A. Gambia: Schule, Abschluß HSA. Praktikum / BSR. Arbeitet als Müllwerker. Erträgt tgl. Rassismus, weil man ihn während der Arbeit 4/10
— Suzy Wong (@sukoss) June 22, 2023
demütigt. Verheiratet. Macht auch Sonnebergern den Dreck weg.
M. Senegal: Schule, Abschluß EBBR. Ausbildung zum KFZ-Mechatroniker abgebrochen. Trotzdem heute Arbeit in diesem Bereich wegen praktischer Qualitäten. Erträgt tgl. Rassismus, z.B. bei Wohnungssuche. Verheiratet, 5/10
— Suzy Wong (@sukoss) June 22, 2023
zwei Kinder. Wird auch Sonnebergern das Auto reparieren.
M. Gambia: Schule, Abschluß MSA. Ausbildung zum Fachmann für Logistik. Erträgt tgl. Rassismus, z.B. wenn die Kassiererin seinen €-Schein nicht anfassen will. Verheiratet, zwei Kinder. Wird auch für Sonneberger den 6/10
— Suzy Wong (@sukoss) June 22, 2023
den Gabelstabler fahren.
S. Gambia: Schule, Ausbildung zum Hotelfachmnn. Erträgt tgl. Rassismus, z. B., wenn er ohne Grund polizeilich kontrolliert wird. Verheiratet, ein Kind. Auch er wird Sonnebergern das Klo putzen.
A. Syrien: Schule, Ausbildung zum Bauzeichner, 7/10
— Suzy Wong (@sukoss) June 22, 2023
Hochschulreife, Studium der Elektrotechnik im 6. Semester, heute schon einen festen Arbeitsplatz. Erträgt tgl. Rassismus, z. B. wenn er die Kippen des Nachbarn vor seiner Wohnungstür entfernen muss. Ledig. Auch er wird Sonnebergern elektrotechnisch helfen. 8/10
— Suzy Wong (@sukoss) June 22, 2023
Alle diese Jungs sind bis heute zu mir mehr als respektvoll, hilfsbereit, ehrlich, höflich, zugewandt.
Auf alle kann ich mich 100%ig verlassen. Zwei haben meine Vorsorgevollmacht und den Haustürschlüssel.
Alle zahlen in unser Sozialsystem ein u unterstützen ihre Familien 9/10
— Suzy Wong (@sukoss) June 22, 2023
im Heimatland.
In meinem Leben habe ich noch nie so liebenswerte Menschen kennengelernt. Die Jahre waren für alle unfassbar schwer, trotzdem haben wir uns gegenseitig aufgefangen und viel gelacht. Ich möchte das nicht mehr missen.
Deshalb bin ich heute eine Löwenmutter. 10/10
— Suzy Wong (@sukoss) June 22, 2023
Das sagen andere User:
Man kann es drehen und wenden, wie man will. Letzten Endes tragen wir als ganze Gesellschaft die Verantwortung, damit Integration gelingen kann. Das schließt nicht nur Angebote für Bildung und Karriere am Arbeitsmarkt ein, sondern bedeutet auch, dass wir Vorurteile abbauen, uns Rassismus entgegenstellen und allen Zuwanderern eine faire Chance geben müssen. Was die Leserinnen und Leser dieses Tweets dazu zu sagen hatten, das erfahrt ihr jetzt:
sehr gut 🙂 komm auch aus einer famile in der sich meine beiden eltern immer für asylanten und flüchtlinge engagiert haben über jahrzehnte. als kind fand ich teils semi, aber heute blicke ich stolz auf meine mama und papa die ihr privilig sinnvoll genutzt haben
— Hendrik Lesser (@vane303) June 22, 2023
Faschismus & Rassismus scheint sehr tief bei einem großen Teil der Sonneberger verankert zu sein. Es ist einfach nicht nachzuvollziehen. Da schämt man sich als Deutscher für andere Deutsche.
— Thomas Forget 🇩🇪 🇺🇦 (@Forget1962) June 22, 2023
Ich arbeite seit 2014 fest angestellt mit unbegleiteten Minderjährigen und kann alles unterschreiben, was du berichtest. Der Großteil hat oder macht Ausbildung: Pflegeberufe, Metallbau, Bäcker, Lageristen,Mechatroniker usw. Viele haben einen Nebenjob, um die Familie unterstützen
— Birgitt R (@BirgittR) June 22, 2023
Da kann ich mitreden. Habe dort immer die Faust in der Tasche gemacht, fiel mir äußerst schwer. Geht nur mit höflich, aber bestimmt. Die Junges alleine dort wären verloren gewesen.
Der Richtigkeit halber: Vereinzelt gab es dort auch sehr zugewandte MA. Ist auch ein Scheißjob.
— Suzy Wong (@sukoss) June 22, 2023
Da hast du einiges geleistet und kannst stolz auf die Arbeit sein. Die Menschen werden von ihrem Umfeld geprägt und nicht von ihrer Hautfarbe oder ihrer Herkunft.
— Hans Joachim Rieks (Hajo)📯 (@HajoRieks) June 22, 2023
Kann ich wie folgt ergänzen: 2016 Vormund eines 15jährigen Jungen aus Syrien. Kurz vorm MSA leider Schule abgebrochen. Führerschein gemacht, Job als Paketfahrer angenommen – und ab Sommer ist er Busfahrer bei der BVG 💪Ist stolz wie Bolle auf die „Uniform“. Und ich auf ihn. 🤩
— Rêveuse 🇪🇺☮️🌻 (@real_berlinoise) June 23, 2023
Liebe Frau Wong, danke dafür! Ich finde es auch unsäglich, mit welcher Selbstverständlichkeit jungen Männern, die nach Europa kommen, unterstellt wird, sie wären kriminell oder wollten nur „versorgt“ werden. Ich finde das Menschenbild vieler einfach nur erschütternd.
— Inga Thiede (@IngaThiede) June 23, 2023
Toll. Super Arbeit. Als privilegierter Europäer kann ich gar nicht nachvollziehen was es mit einem macht, wenn man in der Jugend alleine Kontinente und Meere überqueren muss und sich in einer fremden Welt von 0 alles aufbauen zu müssen. Ohne Bezugsperson wie dich unvorstellbar.
— VetTechFuerNix🐴🌈 (@MaedchenFuerNix) June 23, 2023
Habe 2015 – 2018 Clearings für das Jugendamt für mind. Schutzsuchende durchgeführt. Da war so viel Potenzial und ich könnte auch einige Erfolgsstories erzählen. Was mich aber die Arbeit aufgeben ließ, war der Umgang der Behörden mit diesen jungen Menschen.
— NByM (@ntifa_eu) June 22, 2023
Wer nur ein Leben rettet, rettet eine Welt. Du hast 10 Menschen gerettet. Respekt. 🍀🍀🍀
— Armin Klaer (@armin18111962) June 22, 2023
Vielen Dank für eure Aufmerksamkeit! Schaut doch hier noch rein, wenn ihr mögt: