Thread: Der Tag nach der Flutkatastrophe
Wie inzwischen jeder mitbekommen hat, brachte das Tief „Bernd“ vergangene Woche starke Regenfälle nach Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz, die zu der verheerenden Flutkatastrophe führten. Auch am fünften Tag nach dem Unwetter sind längst nicht alle Toten geborgen, Hunderte Menschen gelten in beiden Bundesländern noch als vermisst. Wie viele Opfer es genau sind, kann niemand mit Sicherheit sagen, da Handy- und Telefonnetze immer noch nicht überall wieder funktionieren. Die Energieversorger arbeiten auf Hochtouren, um in den vom Hochwasser betroffenen Gebieten die Stromversorgung wiederherzustellen. Vielerorts kann sogar die Versorgung mit Trinkwasser nicht mehr gewährleistet werden. Viele Menschen in den Landkreisen stehen buchstäblich vor dem Nichts und wissen nicht, wie es weitergeht. Eine der Betroffenen ist @PalinaMilling, die im Kreis Euskirchen wohnt. Was sie am Tag nach dem Unwetter dort erlebt hat, klingt wie das Drehbuch eines Katastrophenfilmes und ist für uns schier unvorstellbar. Diese Erlebnisse hat sie in dem nun folgenden langen Thread festgehalten.
#Bernd. Der Tag danach. Ich wohne im Kreis Euskirchen, wo am 14. Juli #Bernd gewütet hat. Es folgte ein Tag mit surrealen Bildern, ohne Telefon und Internet und mit vielen Fragen. Ein Thread aus einem Katastrophengebiet. #Hochwasserkatastrophe #Klimawandel #Starkregen
— Palina Milling (@PalinaMilling) July 16, 2021
Eins vorneweg: Unser Haus ist nahezu unbeschadet, wir sind am Leben, ein Riesenglück, dass wir immer noch kaum fassen können. Denn im Nachbardorf, nur 2 km von uns entfernt, haben Freunde alles verloren und Augenblicke furchtbarer Angst erleben müssen. #Hochwasserkatastrophe
— Palina Milling (@PalinaMilling) July 16, 2021
Am Tag danach, als #Bernd schon nach Süden gezogen ist, gibt es kein Internet, keinen Mobilfunk, kein Festnetz. Gar nichts. Die Tankstellen stehen im Schlamm, Straßen sind gesperrt, Bankautomaten sind außer Betrieb. Wir haben kein Bargeld und wenig Sprit. #Hochwasserkatastrophe
— Palina Milling (@PalinaMilling) July 16, 2021
Wir beschließen zum nächsten Funkmast zu fahren, um zumindest Familie und Freunden Bescheid geben zu können, dass wir leben und in Sicherheit sind. Die Straßen sind verstopft, im 10-Minutentakt rasen Feuerwehr- und Notarztwagen an uns vorbei. #hochwasserhilfe
— Palina Milling (@PalinaMilling) July 16, 2021
Das Nachbardorf sieht aus wie nach einem Inferno. Straßen sind voller Schlamm. Aufgerissene Bürgersteige. In der Nähe der Bahnstation liegen Dutzende verbeulte Autos auf dem Dach, zusammengedrückt, als wären sie Tetris-Steine. #Hochwasserkatastrophe #Bernd
— Palina Milling (@PalinaMilling) July 16, 2021
Absperrband flattert. Die Menschen unter Schock. Leere Blicke. Ein Pärchen geht an uns vorbei. Beide wirken völlig entgeistert. Ihre Klamotten sind dreckig, gerissen, sie latschen müde durch den Schlamm. Barfuß. Ich will vor Verzweiflung nur noch schreien. #hochwasserhilfe
— Palina Milling (@PalinaMilling) July 16, 2021
Eine Frau kommt auf uns zu. Es sei so schnell gestern gegangen. Kaum habe sie ihren Eltern Bescheid gesagt, sie sei in Ordnung, kam die Flut. Jetzt stünde ihr Keller bis zu Decke voller Wasser. Handy, Telefon, Internet – nichts funktioniere.#Hochwasserkatastrophe #Flutkatastrophe
— Palina Milling (@PalinaMilling) July 16, 2021
Nach zwei Stunden gehen schließlich zwei Sprachnachrichten raus, ich konnte viermal telefonieren. Ein Wunder. Drei verschiedene Mobilfunkanbieter, vier Handys. Und nur eins funktionierte kurz. Für etwa 13 Minuten hatte ich Mobilfunkempfang. #Hochwasserkatastrophe
— Palina Milling (@PalinaMilling) July 16, 2021
Wir fahren weitere Tankstellen ab, nur Bargeldzahlung möglich. Alle Bankautomaten sind aus. Mindestens 5 Brücken in unserer Nähe sind unterspült, sehr viele Straßen gesperrt. Wir haben Sprit für 30 km und nicht einen einzigen Bargeldschein. Wir fahren heim.#Bernd #hochwasserhilfe
— Palina Milling (@PalinaMilling) July 16, 2021
Die einzigen Infoquellen sind an diesem Tag Fernsehen und Radio. Durch Berichte dort können wir erst das Ausmaß der Katastrophe begreifen. Bei @tagesschau24 können wir die PK mit Ministerpräsident #Laschet sehen. #Hochwasserkatastrophe #Bernd
— Palina Milling (@PalinaMilling) July 16, 2021
#Laschet besucht Hagen. Bei der PK fordert er mehr Maßnahmen gegen den #Klimawandel. Und sagt, bei Privatmenschen würden Versicherungen die Schäden abfangen. Das Land würde den Kommunen unter die Hände greifen, um Infrastruktur wieder in Stand zu setzen. #hochwasserhilfe
— Palina Milling (@PalinaMilling) July 16, 2021
Habe ich das richtig verstanden? Keine Soforthilfen? Keine einmaligen Zahlungen? Ich kann nichts nachlesen, kein Internet. Stattdessen in Dauerschleife das Lob an Hagener Krisenstab, der sich vorbereitet hätte, als „die Sonne noch schien und keiner ahnte“, so ungefähr. #Bernd
— Palina Milling (@PalinaMilling) July 16, 2021
Nun, die Sonne schien auch schon am Montag. Da gab es schon Warnungen vor dem #Bernd. Hagen hat sich vorbereitet, und das Land? Warnungen folgten auch am Dienstag. Und am Mittwoch. Hätte man nicht spätestens dann einen Krisenstab zumindest in Alarmbereitschaft versetzen können?
— Palina Milling (@PalinaMilling) July 16, 2021
Vielleicht hätte man mit Bundesländern sprechen können, die nicht so schwer betroffen sein würden, ob sie unterstützen könnten. Damit die örtlichen Feuerwehren, THW und Einsatzkräfte keine 30-Stunden-Schichten schieben müssen. Vielleicht ist es auch passiert, wir wissen es nicht.
— Palina Milling (@PalinaMilling) July 16, 2021
Beim ersten Medienauftritt am Tag nach dieser furchtbaren Katastrophe sagt Ministerpräsident #Laschet, man müsse den Menschen helfen, an die Menschen denken. Das ist richtig. Von konkreten Soforthilfen an die Betroffenen erstmal nichts. Ich hoffe, dass das kommt. Das muss es.
— Palina Milling (@PalinaMilling) July 16, 2021
Denn soweit ich weiß, braucht man für Unwetter- und Katastrophenschäden eine spezielle Versicherung, die nicht jeder hat. Und die Versicherungen werden in den Schadensmeldungen versinken, es wird alles dauern. Hilfe muss dagegen schnell und unbürokratisch kommen. #hochwasserhilfe
— Palina Milling (@PalinaMilling) July 16, 2021
Ich denke an unsere Freunde im Nachbardorf, nur 2 km entfernt. Wir haben sie vorhin getroffen. Sie konnten die Tränen kaum zurückhalten. Der Keller komplett unter Wasser, Heizöl ausgelaufen, kaputte Tiefkühltruhen, der Vorgarten voller Schlamm, der Wagen vollkommen demoliert.
— Palina Milling (@PalinaMilling) July 16, 2021
„Wir können nicht kochen, nicht duschen. Wir haben keinen Strom. Das WC funktioniert nicht. Wir können niemanden erreichen. Es gibt keinen Infowagen. Die 112 – zusammengebrochen. Keiner interessiert sich für uns. Wir stehen vor dem nichts.“ Wir wollen helfen, wie wir nur können.
— Palina Milling (@PalinaMilling) July 16, 2021
Es hat sich so viel Leid über der Region entladen, dass man es kaum ertragen kann. Menschen sind in der Flut gestorben. Menschen haben ihre Existenzen verloren. Und am Tag danach, total geschockt und verzweifelt, konnten sie kaum jemandem davon erzählen oder um Hilfe bitten.
— Palina Milling (@PalinaMilling) July 16, 2021
Mich wundert auch, dass es keinen landesweiten Krisenstab gibt. Oder vlt gibt es den mittlerweile? #Bernd gleicht auf der Karte einem riesigen lila Streifen, der durch halb NRW gezogen ist. Die Landesregierung spreche von „lokalen Ereignissen“, hieß es gestern im Fernsehen. Hä?
— Palina Milling (@PalinaMilling) July 16, 2021
Müssten nicht Helfer aus anderen Bundesländern angefordert werden? Könnte nicht ein landesweiter Krisenstab das viel besser koordinieren, als wenn einzelne Kreise Hilfe anfordern? Kann ein einzelner Kreis das überhaupt stemmen? Wie kommt unser Kreis zurecht? Wir wissen es nicht.
— Palina Milling (@PalinaMilling) July 16, 2021
Die Infos sind spärlich – oder schwer zu bekommen. Und selbst wenn das ein lokales Ereignis sein soll, hätte man nicht alles daran setzen müssen, so schnell und so viele Helfer wie möglich hierher zu holen? Im Voraus, bevor die Verkehrsverbindungen gekappt waren? #Bernd
— Palina Milling (@PalinaMilling) July 16, 2021
Damit sich die örtlichen Helfer nicht bis zur vollkommenen Erschöpfung abkämpfen müssen. Damit mehr Menschen geholfen wird. Damit besser koordiniert wird. Und damit Betroffene weniger das Gefühl haben ausgeliefert zu sein. Und damit Helfer mehr Unterstützung spüren.
— Palina Milling (@PalinaMilling) July 16, 2021
Ganz privat und persönlich habe ich viele Fragen. Es geht nicht um Stilkritik bei Twitter, schon gar nicht um parteipolitische Diskussionen. Sondern schlicht: Wie gut war das Land auf den #Bernd vorbereitet? Was hätte man davor und danach besser machen können und müssen?
— Palina Milling (@PalinaMilling) July 16, 2021
Übrigens: Das Internet ist so was wie wieder da. (Eine sehr vorsichtige Freude, weil es wieder weg sein könnte.) Wir können telefonieren. Und helfen. Und im betroffenen Gebiet jetzt mitbekommen, wie die Welt da draußen über uns hier diskutiert. #Hochwasserkatastrophe
— Palina Milling (@PalinaMilling) July 16, 2021
Das sagen andere User:
Da der Thread schon drei Tage alt ist, sind einige Fragen inzwischen beantwortet. So soll es zum Beispiel für die betroffenen Regionen eine Soforthilfe von Bund und Ländern in Höhe von etwa 400 Millionen Euro geben. Andere Fragen sind nach wie vor ungeklärt. Unabhängig davon lässt uns dieser Erlebnisbericht fassungslos zurück. Die meisten Leser reagierten ähnlich. Neben viel Solidarität und Hilfsangeboten, meldeten sich auch andere Betroffene. Ein paar treffende Reaktionen haben wir hier für euch gesammelt.
Bin gestern 3 Stunden von der Eifel nach Bonn gefahren. Es sah aus wie in einem Zombiefilm. Überall Schlamm, Schutz, demolierte Häuser und Autos.
Wenn ich Armin Laschets Gefasel höre, dann bekomm ich akuten Brechreiz.
— piertotum locomotor (@Andreas_Faber) July 16, 2021
Grüße aus dem Nachbarkreis und dem einzigen Ortsteil Rheinbachs ohne größere Schäden. wir sitzen hier auf einer unversehrten „Insel“zwischen den Katastrophen an Ahr, Swist und Erft. Unfassbares Glück… den Thread unterschreibe ich in allen Punkten…
— Markus (@eifelkiwi) July 16, 2021
Danke für den ausführlichen Bericht. Die Worte haben mich sehr berührt, genauso wie die schrecklichen Bilder aus den betroffenen Landstrichen. Ich wünsche allen, die direkt oder indirekt Schaden genommen haben die nötige Kraft für die Zukunft!
— von & zu + auf & davon (@gluecksbegabt) July 16, 2021
Komme aus Hohn(53902), wir hatten mit dem Wasser Glück, nur kein Inet da, Mobiles Netz auch sehr schlecht. Nachbar Bad Münstereifel ist komplett Zerstört, es ist einfach nur furchtbar. Gilsdorf stand auch Unterwasser, Berge von Müll wurden an den Rand gestellt.
— Andreas (@sEKxSaSa) July 17, 2021
Danke für diesen Bericht. Und viel Kraft für diese Situation. Ich sitze hier im trockenen Berlin, mit Internet, Fotos und Videoeindrücken – und kann das Ausmaß der Katastrophe trotzdem kaum fassen. Ich hoffe sehr, dass allen schnell und unbürokratisch geholfen werden kann!
— Friederike Kenneweg (@frintze) July 16, 2021
Wir hatten auch Glück in unserem Dorf, um uns herum haben Menschen alles verloren. Mir kommen wieder Tränen, dein Thread trifft mit jedem Wort präzise und tut einfach so weh. Passt auf Euch auf❤️
— Lecre (@Luecre) July 16, 2021
Vielen Dank für eure Aufmerksamkeit! Wie groß die Rolle des Klimawandels bei der Flutkatastrophe war, kann aktuell nicht genau gesagt werden. Von der Hand zu weisen ist der Einfluß auf das Unwetter aber nicht, da sind sich alle Experten einig. Passend dazu haben wir diesen Beitrag hier für euch verlinkt: