Thread: Das Märchen von der „harten Arbeit“
Es war einmal ein Land, in dem alles möglich schien. Dieses Land war der viertgrößte Industriestandort der Erde mit einem der besten Gesundheits- und Sozialsysteme rund um den Globus. Ein Land, in dem alle Bürger gut und gerne lebten, alles erreichen konnten und in dem es keine Not und keine Armut gab, weil jeder wusste, dass er mit harter, ehrlicher Arbeit einfach alles erreichen konnte. Wer wollte, konnte es dort vom Tellerwäscher, Straßenkehrer und Tagelöhner zum Milliardär bringen und glücklich und zufrieden bis an sein Lebensende …
Okay, stop! Es klingt lächerlich, oder? Aber so ähnlich wird uns die Lebensrealität in diesem Land verkauft. Armut ist nämlich nichts weiter als Faulheit und Schmarotzertum, für das sich jeder selbstbestimmt entschieden hat. Wer arbeiten will, der hat es am Ende gut. Wem es nicht gut geht, der war am Ende einfach nur nicht fleißig genug! Dass dies ein Märchen ist, haben leider immer noch nicht alle Menschen begriffen. Vor allem diejenigen, die noch niemals in einer sozialen Notlage waren. Da fällt es natürlich leicht zu glauben, dieser Mythos von der harten Arbeit entspräche der Realität. Aber wer erzählt dieses Märchen eigentlich und warum? Der Twitteruser @tweetbarth ist dieser Frage etwas genauer auf den Grund gegangen und liefert uns und euch im nun folgenden Thread die passenden Antworten. Mit den allerbesten Grüßen an die Wähler von Union und FDP. Aber lest selbst.
Einer der cleversten Tricks von Konservativen, Liberalen und sonstigen Turbokapitalismus-Fanboys ist immer noch die Glorifizierung der „harten Arbeit“. Achtet mal drauf, wie oft dieser Ausdruck momentan wieder benutzt wird – meistens von Leuten, die bisher nicht besonders (1/x)
— Markus Barth (@tweetbarth) November 17, 2022
… dadurch aufgefallen sind, sich die Hände schmutzig zu machen. Warum? Weil man, wenn man „harte Arbeit“ als Tugend darstellt, den Leuten immer noch mehr Überstunden in schlecht bezahlten Jobs abverlangen kann. Nach dem Motto: „Damit tust du ja was für die Gesellschaft!“ (2/x)
— Markus Barth (@tweetbarth) November 17, 2022
Das ist nichts weiter als ein zynischer Trick. Wenn du ständig hart arbeiten musst, hoffe ich, dass du irgendwann einen Job findest oder sich dein aktueller so verbessert, dass du mit weniger Selbstausbeutung über die Runden kommst. (Das möglich zu machen wäre übrigens die …3/x)
— Markus Barth (@tweetbarth) November 17, 2022
… Aufgabe der Leute, die dir „harte Arbeit“ als einzig echte Arbeit verkaufen wollen!) Wofür ist all unser Fortschritt denn gut, wenn nicht dafür, dass möglichst wenig Leute sich so abrackern müssen wie Protagonisten in einem Hauptmann-Drama? Bitte fallt nicht auf diese (4/x)
— Markus Barth (@tweetbarth) November 17, 2022
… Tugendvorstellungen aus vergangenen Jahrhunderten rein. Arbeit darf Spaß machen, sich Auszeiten zu nehmen und auf sich, seinen Körper und seine Psyche aufzupassen, ist okay und es ist die Aufgabe der Arbeitgeber und der Politik … (5/x)
— Markus Barth (@tweetbarth) November 17, 2022
… für Jobs zu sorgen, mit denen man seinen Lebensunterhalt bestreiten kann, ohne jeden Abend fix und fertig und mit Geldsorgen ins Bett zu fallen. (ende)
— Markus Barth (@tweetbarth) November 17, 2022
Das sagen andere User:
Und die Moral von der Geschicht‘ – wer das erzählt, dem glaube nicht! Hinterlasst uns doch einen Kommentar, was ihr auf dem Arbeitsmarkt erlebt habt und warum ihr glaubt, dass dieses Märchen erzählt wird. Wir sind gespannt auf eure Antworten. Was die Leserinnen und Leser dieses Threads zu sagen hatten, das erfahrt ihr jetzt hier:
Harte Arbeit mußte ein ehemaliger Nachbar von mir verrichten. Der hatte verformte Finger vom Säckeschleppen. Harte Arbeit ist natürlich praktisch. Viele leben gar nicht mehr bis zum Rentenalter oder beziehen sie nicht mehr lange.
— Lab Rat (@LabRat24098) November 17, 2022
„Hart arbeiten“ ist zunächst einmal ein gedankenloser Amerikanismus. Deutsche Ausdrücke für das, was eigentlich gemeint ist, sind „fleißig sein“ und „tüchtig sein“. Wer im Deutschen „hart“ arbeitet, arbeitet falsch und ist ein Fall für die Berufsgenossenschaft.
— @[email protected] (@CGdoppelpunkt) November 17, 2022
Alles Opfer für den Gott des Konsums.
— Möwenfels | Marcus Nörren (@Blechhower) November 17, 2022
Anmerkung: Es war ziemliches Glück, dass die Rente bewilligt wurde. Nicht, weil unberechtigt. Sondern, weil sehr viele Menschen bei Reha & Ämtern chronisch kranke Menschen falsch behandeln oder nicht ernst nehmen. Dann bleibt oft nur Bürgergeld – da haben wir das nächste Problem.
— Teddi 🏳️🌈 🐾🦴🏔🌊 🐾 (@David68360996) November 17, 2022
Mal davon abgesehen, dass viel harte Arbeit, wie private Sorgearbeit, gar nicht erst als Arbeit, geschweige denn harte Arbeit anerkannt wird und somit auch weder entlohnt noch in irgendeiner Weise in die volkswirtschaftlichen Berechnungen einbezogen wird.
— Lele Schirmeister @[email protected] (@abertrotzdem) November 17, 2022
Protestantischer Arbeitsethos, hat sich der Kapitalismus angeeignet um „moralisch“ erhaben den Arbeiter ausbeuten zu können. Auch wenn viele mittlerweile atheistisch unterwegs sind, die Vorstellung dass nur der hart arbeitende vor Gott gut ist, ist tief verankert, immer noch
— Heinz Hartz (@heinz_hartz) November 17, 2022
Mir fällt auf, dass zuletzt auch gerne von „ehrlicher Arbeit“ gefaselt wird, was diejenigen, die auf Transferleistungen angewiesen sind, in ein wirklich schlechtes Licht zu rücken versucht.
— AlexMathis (@SeiMa_Nichso) November 17, 2022
Chef fährt mit neuem Porsche vor. Angestellter staunt neidisch. Chef sagt: „wenn Du richtig reinhaust, hart arbeitest und Überstunden machst …
… kaufe ich mir noch so einen.“
— Billuminatus (@Billuminatuss) November 17, 2022
Natürlich, mit dem „hart arbeiten“ wird gleich gesetzt das wer mindestlohn bekommt nicht hart arbeitet, sonnst würde er ja mehr bekommen.
— GarakUO (@GarakUO) November 17, 2022
Die gleichen Leute wehren sich vehement gegen eine Erbschaftsteuer für Superreiche
— Hans Apils 🇺🇦 (@TheRealQBert) November 17, 2022
Gerne vermischt mit den statements gegenüber der jungen Generation „geh erst mal Arbeit bevor du…“ „was weißt du denn, du hast dich noch nie richtig gearbeitet“ als wäre die harte Arbeit eine Voraussetzung für eine eigene Meinung
— Marco (@marco_hh1) November 17, 2022
Vielen Dank für eure Aufmerksamkeit! Passend zum Thema haben wir noch das: