Thread: Bin wütend! So richtig!
Durch die Corona-Krise wurde es noch schwieriger, aus Armutsverhältnissen wieder herauszukommen als zuvor. Jetzt kommen auch noch die Inflation und der Krieg in der Ukraine dazu. Die Daten aus dem Jahr 2020 waren schon erschreckend, die für 2021 stehen noch aus. Im ersten Pandemiejahr hatten 44 Prozent aller Menschen unterhalb der Armutsgrenze keine Perspektive auf eine Verbesserung, was schon damals eine Verdopplung gegenüber dem Wert Ende der 90er Jahre war. Alleinerziehende, Geringqualifizierte und Menschen mit Migrationshintergrund sind am häufigsten betroffen. Beschäftigte in den niedrigen Einkommensgruppen waren auch in den Lockdowns wesentlich öfter arbeitslos oder wurden unbezahlt freigestellt. Auch die Hartz-IV-Sätze sind nicht erhöht worden, trotz gestiegener Lebenserhaltungskosten. Leider nehmen viele Menschen das Problem Armut nur am Rande oder gar nicht wahr, wenn sie nicht selbst oder ihr näheres Umfeld betroffen sind. Es wirkt fast so, als gerate diese Gruppe immer mehr in Vergessenheit. Und es ist auch ein bisschen zynisch, wenn gut situierte Menschen ständig von Einschränkungen und Verzicht im Zuge der Coronapandemie sprechen, während es für die von Armut Betroffenen schon davor zum Alltag gehört hat. Die Twitteruserin @danibrodesser lebt in Österreich und schreibt öffentlich über Armut, die Vereinbarkeit von Familie und Arbeit. Mit dem nun folgenden Thread versucht sie ihrem Ärger Luft zu machen.
Bin wütend! So richtig! Warum?
Immer und immer wieder wird uns erklärt Armutsbetroffene hätten es doch gar nicht sooo schlecht. Sie würden schließlich nicht verhungern. Aber kaum spreche ich an wie sehr Teilhabe fehlt – ach das ist nicht wichtig oder – gibt so viel
1/8— Daniela Brodesser (@danibrodesser) March 18, 2022
was man kostenlos machen kann. Ich sag euch mal was: seit 2 Jahren höre und lese ich ständig wie schlimm es ist weil durch die Pandemie dies und jenes nicht möglich sei. Weil Veranstaltungen fehlen, das Treffen mit Freund*innen, Konzerte, Theater, Lesungen. Wie stark das
2/8— Daniela Brodesser (@danibrodesser) March 18, 2022
das auf die Psyche gehen würde. NO SHIT SHERLOCK! Echt jetzt? Dachte immer Teilhabe wäre nicht wesentlich für die menschlichen Bedürfnisse? Habt ihr uns nicht ständig erklärt man könne doch in den Wald spazieren gehen? Oder sich zum Kinderspielplatz setzen?
3/8— Daniela Brodesser (@danibrodesser) March 18, 2022
Wisst ihr wie das ist wenn du jahrelang keine Chance auf Teilhabe hast? Weil selbst wenn irgendwo die Teilnahme kostenlos wäre du dir die Öffis dorthin nicht leisten kannst? Habt ihr die geringste Ahnung dass das menschliche Gehirn Belohnungen braucht?
4/8— Daniela Brodesser (@danibrodesser) March 18, 2022
Dinge, die dir gut tun? Soziale Kontakte, Austausch. Und dass, wenn dir dies alles wegfällt, dein Leben zu einem reinen funktionieren wird aber du keine Momente mehr erlebst die dich stärken?
5/8— Daniela Brodesser (@danibrodesser) March 18, 2022
Aber schon klar, das steht nur euch zu, euch, die ihr „Leistungsträger*innen“ seid. Wir haben solche Forderungen nicht zu stellen, wir sollen bitte froh sein dass wir in Ö oder D leben und nicht in einem anderen Land, denn puh, es gibt viel schlimmeres.
6/8— Daniela Brodesser (@danibrodesser) March 18, 2022
Wenn ihr euch das nächste Mal über Maßnahmen beschwert, weil die eure Teilhabe einschränken, dann denkt mal bitte einen Zentimeter über euren Tellerrand drüber bevor ihr Armutsbetroffenen erklärt es gäbe genügend kostenlose Alternativen.
7/8— Daniela Brodesser (@danibrodesser) March 18, 2022
Oder glaubt ihr nur weil wir in Armut leben funktioniert unsere Psyche anders u uns wäre das alles egal? Glaubt ihr ernsthaft uns würden Einschränkungen, die wir ständig erleben, schon längst vor der Pandemie, nicht tangieren? Das wäre nicht nur lebensfremd sondern auch naiv
8/8— Daniela Brodesser (@danibrodesser) March 18, 2022
Übrigens: wer mehr zu Armit wissen möchte- am 24. 3. gibts den ersten öffentlichen Onlineabend dazu. Für Betroffene kostenlos und ich vertrau auf eure Ehrlichkeit https://t.co/V7bQVWzHiD
— Daniela Brodesser (@danibrodesser) March 21, 2022
Das sagen andere User:
Was soll nur aus dieser Gesellschaft werden? Die angesprochenen Probleme sind natürlich nicht nur auf Österreich beschränkt. Ganz im Gegenteil. Das liest man auch in den vielen Kommentaren und Reaktionen auf diesen Thread. Ein paar der treffendsten haben wir hier für euch zusammengetragen.
Wehe, man wird zu Hochzeit/ Taufe/ Geburtstag eingeladen.
Was ziehe ich an, wie komme ich bezahlbar hin & zurück und wie lange spare ich, um mir das alles und wenigstens noch ein kleines Geschenk leisten zu können, um nicht komplett unangenehm aufzufallen?
Übernachtung? Good one— CTina🌻☮️😷 (@AChris_Tina) March 18, 2022
Ich lieb das ja wenn mir z.B. jemand mit einem 3000€ Netto Einkommen mit 30h Woche mir erklärt, dass man in Ö nicht so arm sein kann. <3
— Ulli Brand (@RadineUlla) March 18, 2022
Daniela, empfinde die Gesellschaft als Gesellschaft von Nachtretern. Warum fällt es Menschen schwer, einfach zu sagen: „Ja, ist blöd alles, aber ich fühle mich ohnmächtig, würde gerne helfen, aber weiß nicht, wo ich anfangen soll“. Anstatt dessen soll das „Problem“ Ruhe geben. 🥲
— Martina Winter (@marhiver) March 18, 2022
Ich fühle das so sehr! Uns fehlt ja nicht nur die soziale Teilhabe. Z. B. Haustiere, Medikamente, gesundes Essen ist alles nicht möglich. Und dann gibt es ernsthaft noch Menschen, die sagen, dass der Satz noch viel zu hoch ist. Es ist so zermürrbend. 💔😩
— 𝕽_𝕺𝖝𝖞 🦜🕊️🦉🦇🕸️🕷️🖤 (@R_0000xy) March 18, 2022
Ich war gerade einkaufen. Bei den Preisen kann einem nur schlecht werden. Selbst mit Kundenkarte habe ich mehr bezahlt als vor 4 Wochen. Und es gab leere Regale. Mehle alle weg. Zucker Reste. Milch gab es auch nicht so viel wie sonst. Von Ölen will ich gar nicht sprechen. Hamster
— 💙💛Petra L.🇺🇦#StandWithUkraine💙💛 (@PeLo0307) March 18, 2022
Unterwegs Wie soll das ein Hartz-IV-Empfänger auffangen? Ich weiß es nicht. Jeder Cent wird doch schon 3 x umgedreht. Wir brauche ohne Wenn und Aber das BGE?
— 💙💛Petra L.🇺🇦#StandWithUkraine💙💛 (@PeLo0307) March 18, 2022
Wie sehr ich deinen Tread nachfühlen kann. Alleinerziehend, immer, drei, mittlerweile erwachsene Kids. Kannten immer nur die üblichen „kostenlose“ Angebote. Wie sehr mich das triggert, wenn andere von Erlebnissen und Urlauben sprechen. Seid der Pandemie noch mehr als vorher.
— Claudia di Bella (@ClaudiadiBella6) March 18, 2022
Das habe ich bereits beim ersten Lockdown beschrieben:
Die einen nennen es Freiheitsberaubung, fehlende Sozialkontakte, Depressionen,
und für Armutsbetroffene ist es einfach nur Dienstag.— Idealism Prevails (@IdealismPrevail) March 18, 2022
Same Wut hier. Alleinerziehend mit chronisch krankem, schwerbehindertem, pflegebedürftigem Teenager. Ich- Frührentnerin, Aufstockerin. Keine Teilhabe seit Jahren, nur wenn mich jemand einläd, da wir als „Randgruppe“ zunehmend vergessen werden, läd auch zunehmend niemand mehr ein
— Maria Wagner (@MariaWa85740570) March 18, 2022
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