Ich fand Aufzeichnungen eines Jungen, der am 9. November 1938 auf dem Weg zur Schule war …
Am gestrigen Montag jährte sich ein Datum, das uns im kollektiven Gedächtnis bleiben sollte. In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 brannten in Deutschland zahlreiche Synagogen, jüdische Einrichtungen und Wohnungen. Die Brände waren Teil einer viel größeren Welle antisemitischer Bewegungen mit Inhaftierungen, Plünderungen, Enteignungen und auch Morden. Ein unübersehbares Zeichen für die Macht, die Absichten und die Skrupellosigkeit des nationalsozialistischen Regimes.
Mit kaum noch lebenden Augenzeugen können wir uns glücklich schätzen, auf schriftliche Berichte von Zeitzeugen zurückgreifen zu können. Sie holen den Schrecken zurück und hinterlassen den bedrückenden Beigeschmack der Frage, warum man damals nicht gemeinsam einstand für die jüdischen Nachbarn, Kollegen, Freunde, Schul- und Spielkameraden.
Twitteruserin Hanna Reichhardt erinnert sich daran, wie sie als Jugendliche die Aufzeichnungen ihres Großvaters fand. Er war eins der vielen Kinder, die gestern vor 82 Jahren auf dem ganz normalen Schulweg die rauchenden Gebäude mit eigenen Augen gesehen hat. Vielen Dank für diesen wichtigen Thread – vielleicht gelingt es uns, die wir ihn lesen, unserer Verantwortung gegen das Vergessen wieder bewusst zu werden. Denn gerade in letzter Zeit erleben wir in Deutschland ein beschämendes Wiedererstarken rechter Gewaltbereitschaft und eine Bevölkerung, die scheinbar macht- und tatenlos zuschaut. Lasst uns dieses Mal klüger sein!
#1:
Ich war glaub ich 15 Jahre alt, als ich auf dem Dachboden meiner Eltern einen alten Ordner fand. Ich hab gern in alten Sachen gestöbert. Oft war es nur irgendwelcher Kram, aber dieser Ordner war anders.
Ein Thread (1/9)
— Hanna Reichhardt (@McRich_n_hard) November 9, 2020
Ich war glaub ich 15 Jahre alt, als ich auf dem Dachboden meiner Eltern einen alten Ordner fand. Ich hab gern in alten Sachen gestöbert. Oft war es nur irgendwelcher Kram, aber dieser Ordner war anders.
Ein Thread (1/9)
— Hanna Reichhardt (@McRich_n_hard) November 9, 2020
#2:
Darin waren Texte, auf Schreibmaschiene getippt. Sowieso schon seltsam für mich – Schreibmaschienen..
Es war die Geschichte eines Jungen, der am 9. November 1938 auf dem Weg zur Schule war. (2/9)
— Hanna Reichhardt (@McRich_n_hard) November 9, 2020
Darin waren Texte, auf Schreibmaschiene getippt. Sowieso schon seltsam für mich – Schreibmaschienen..
Es war die Geschichte eines Jungen, der am 9. November 1938 auf dem Weg zur Schule war. (2/9)— Hanna Reichhardt (@McRich_n_hard) November 9, 2020
#3:
Er beschrieb brennende Wohnungen, geplünderte Läden und auch die niedergebrannte, aber noch glimmende Synagoge. Es war sein üblicher Weg zur Schule, doch er erkannte diesen nicht mehr. Er vermisste Freund*innen in der Schule. Ob sie verschlafen haben? Er sah sie nie wieder.(3/9)
— Hanna Reichhardt (@McRich_n_hard) November 9, 2020
Er beschrieb brennende Wohnungen, geplünderte Läden und auch die niedergebrannte, aber noch glimmende Synagoge. Es war sein üblicher Weg zur Schule, doch er erkannte diesen nicht mehr. Er vermisste Freund*innen in der Schule. Ob sie verschlafen haben? Er sah sie nie wieder.(3/9)
— Hanna Reichhardt (@McRich_n_hard) November 9, 2020
#4:
Der Junge, der dort über seinen Schulweg schrieb, war mein Opa. Das Dorf war mein Nachbardorf. Mein Opa war zu dem Zeitpunkt leider schon tot. Er sprach nie mit mir über seine Jugend oder sein Leben im NS-Regime, aber er schrieb offensichtlich. (4/9)
— Hanna Reichhardt (@McRich_n_hard) November 9, 2020
Der Junge, der dort über seinen Schulweg schrieb, war mein Opa. Das Dorf war mein Nachbardorf. Mein Opa war zu dem Zeitpunkt leider schon tot. Er sprach nie mit mir über seine Jugend oder sein Leben im NS-Regime, aber er schrieb offensichtlich. (4/9)
— Hanna Reichhardt (@McRich_n_hard) November 9, 2020
#5:
Ich las die Texte und weinte. Der Geschichtsunterricht, die Schwarz/Weiß Bilder kamen so nah. So direkt.
Heute gedenken wir der #Progromnacht vom #November9 1938. Eine Nacht vorher testete das Nazi Regime in Nordhessen, wie die Bevölkerung reagierte.
Sie reagierte nicht.. (5/9)
— Hanna Reichhardt (@McRich_n_hard) November 9, 2020
Ich las die Texte und weinte. Der Geschichtsunterricht, die Schwarz/Weiß Bilder kamen so nah. So direkt.
Heute gedenken wir der #Progromnacht vom #November9 1938. Eine Nacht vorher testete das Nazi Regime in Nordhessen, wie die Bevölkerung reagierte.
Sie reagierte nicht.. (5/9)— Hanna Reichhardt (@McRich_n_hard) November 9, 2020
#6:
Als Bürger getarnte Soldaten legten jüdisches Leben in Schutt und Asche. Die Zivilgesellschaft schaute zu oder machte mit. Bis heute frage ich mich was anders gewesen wäre, hätte die Bevölkerung in Nordhessen anders reagiert, wäre laut gewesen, hätte Antifaschismus gelebt. (6/9)
— Hanna Reichhardt (@McRich_n_hard) November 9, 2020
Als Bürger getarnte Soldaten legten jüdisches Leben in Schutt und Asche. Die Zivilgesellschaft schaute zu oder machte mit. Bis heute frage ich mich was anders gewesen wäre, hätte die Bevölkerung in Nordhessen anders reagiert, wäre laut gewesen, hätte Antifaschismus gelebt. (6/9)
— Hanna Reichhardt (@McRich_n_hard) November 9, 2020
#7:
Ich will nie so sein, wie meine Nachbarn damals waren. Ich bin wütend auf alle, die damals geschwiegen haben. Sie haben alle gesehen, was passiert ist.
Wir müssen laut sein, wenn wir Faschismus, rechte Ideologie, Rassismus, Antisemitismus, Antiziganismus sehen! Auch heute! (7/9)
— Hanna Reichhardt (@McRich_n_hard) November 9, 2020
Ich will nie so sein, wie meine Nachbarn damals waren. Ich bin wütend auf alle, die damals geschwiegen haben. Sie haben alle gesehen, was passiert ist.
Wir müssen laut sein, wenn wir Faschismus, rechte Ideologie, Rassismus, Antisemitismus, Antiziganismus sehen! Auch heute! (7/9)
— Hanna Reichhardt (@McRich_n_hard) November 9, 2020
#8:
Ich bin wütend, wenn genau die Rassist*innen heute ihre Demos machen können, Gedenkveranstaltungen aber verboten sind. Wenn am Wochenende Rechte ihre menschenverachtende Ideologie gewaltsam auf die Straße gebracht haben und dabei u.a. Polizei und Presse angegriffen haben. (8/9)
— Hanna Reichhardt (@McRich_n_hard) November 9, 2020
Ich bin wütend, wenn genau die Rassist*innen heute ihre Demos machen können, Gedenkveranstaltungen aber verboten sind. Wenn am Wochenende Rechte ihre menschenverachtende Ideologie gewaltsam auf die Straße gebracht haben und dabei u.a. Polizei und Presse angegriffen haben. (8/9)
— Hanna Reichhardt (@McRich_n_hard) November 9, 2020
#9:
Es liegt an uns, dass auf #niemalsvergessen auch das Bekenntnis und die demokratische Konsequenz #niewieder folgt.
Wir alle müssen gemeinsam #Antifa sein! Antifaschismus ist mehr als erinnern. Antifaschismus muss gelebt werden. Wir müssen alle laut #stabilgegenrechts sein!
(9/9)
— Hanna Reichhardt (@McRich_n_hard) November 9, 2020
Es liegt an uns, dass auf #niemalsvergessen auch das Bekenntnis und die demokratische Konsequenz #niewieder folgt.
Wir alle müssen gemeinsam #Antifa sein! Antifaschismus ist mehr als erinnern. Antifaschismus muss gelebt werden. Wir müssen alle laut #stabilgegenrechts sein!
(9/9)— Hanna Reichhardt (@McRich_n_hard) November 9, 2020