#allesdichtmachen – Ist das noch Satire oder einfach nur Verhöhnung?

Chris Schröder 23.04.2021, 16:05 Uhr

Seit gut einem Jahr sind die Theater geschlossen und viele Filmprojekte zum Stillstand gekommen. Die Kunst- und Kulturbranche liegt am Boden, auch weil die Hilfen nur langsam oder gar nicht ausgezahlt werden und die Perspektive fehlt, wann es weitergeht. Die Folgen sind – wie auch beim Rest der Bevölkerung im Angesicht des langen Lockdowns – Frust, Verzweiflung und ein übermannendes Gefühl der Hilflosigkeit. Da ist jeder Protest gegen die Maßnahmen legitim, sollte man meinen, aber rund 50 deutsche – teils namhafte – Schauspielerinnen und Schauspieler bewiesen gestern, dass die Art und Weise am Ende mehr Schaden für den Rest der Solidargemeinschaft bedeutet, als es der Grundintention nutzt.

Über ihre Instagram-Accounts, einen YouTube-Kanal sowie eine überlastete Aktions-Website (www.allesdichtmachen.de) verbreiteten sie einen Hilfeschrei. Das Problem dabei? Sie stützten sich in den vermeintlich ironisch pointierten Clips auf Halbwahrheiten und würzten das Ganze mit einem Schuss Polemik. Im Angesicht von 80.000 Corona-Toten muss man sich allerdings fragen, was sich diese Stars dabei gedacht haben, als sie die Videos in ihren geräumigen Wohnungen und Häusern aufgezeichnet haben. Vor allem bedienten sie sich dabei genau der Narrative, von denen sie sich dann in nachgeschobenen Statements distanzierten, nämlich von Rechtsextremen und der Querdenkerszene. Intelligente Satire sieht anders aus und sie tritt in der Regel eigentlich auch nicht nach unten. Auf der Aktionswebseite selbst hat der Organisator vorsichtshalber ganz am unteren Ende noch ein „FCKNZS“ (Fuck Nazis) hinterlassen. Die Reaktionen auf die Kampagne sprachen aber ein anderes Bild. Und so gab’s erstmal tosenden Applaus von Rechtsaußen, wo die Clips als satirisches Meisterstück gefeiert wurden. Mit dabei Tichys Einblick, Hans-Georg Maaßen (CDU), Verschwörungserzähler Ken Jebsen, mehrere Organisatoren der Querdenkerszene und AfD-Funktionäre. In den einschlägigen Telegram-Kanälen wurden diese Videos ebenfalls jubilierend geteilt. Der laut Impressum für #allesdichtmachen verantwortliche Organisator ist dort auch kein Unbekannter. Schon im letzten Jahr hatte er die Pandemie verharmlost und mit einer Grippe gleichgesetzt. Ob Jan Josef Liefers, Nadja Uhl, Wotan Wilke Möhring, Ulrich Tukur, Heike Makatsch, Meret Becker und Volker Bruch wussten, worauf sie sich da einließen, spielt eigentlich keine Rolle. Heike Makatsch ruderte im Verlauf der Morgenstunden zurück und ließ ihren Videoclip löschen. Warum sie sich vorher nicht kritisch mit der Aktion auseinandergesetzt hat, bleibt offen.

Gott sei Dank gab es aber auch viel Gegenwind, vor allem von Schauspielkolleginnen und -kollegen und anderen Medienschaffenden. Darunter Elyas M’Barek, Nora Tschirner, Christian Ulmen, TV-Moderator Jan Köppen, Jörg Kachelmann und Jan Böhmermann. Prompt wurde eben dieser öffentliche Widerspruch als Beweis dafür genommen, dass man in Deutschland nicht mehr diskutieren könne und eigentlich gar nichts mehr sagen darf, weil man sonst in die rechte Ecke gedrängt wird. Neben der Verhöhnung der Opfer und der Arbeit der vielen medizinischen Kräfte, die tagtäglich Übermenschliches im Kampf gegen Corona leisten, stößt besonders im Statement von Jan-Josef Liefers die unreflektierte Kritik an der Presse sauer auf, die Wasser auf den Mühlen all jener ist, die seit Längerem von einer gleichgeschalteten (Lügen-)Presse fabulieren und diese als größten Treiber der Pandemie sehen. Von konstruktiver Kritik an Einzelmaßnahmen fehlt jede Spur. Dabei bieten die Corona-Maßnahmen der Bund- und Länderpolitik so viel Angriffsfläche, um tatsächlich etwas zu bewirken und auf Probleme aufmerksam zu machen.

Wir haben uns auf Twitter umgesehen und die treffendsten Kommentare für euch zusammengestellt.

#1: So sieht’s aus

#2: Gott sei Dank gab’s auch viel Gegenwind von den Kollegen

#3: Einige waren auch froh, nicht gefragt worden zu sein

#4: Das wäre mal ein Signal gewesen

#5: Selbstreflexion hätte diese Aktion verhindern können

#6: Unsachlich, aber verständlich, wenn man tagtäglich mit Coronainfizierten konfrontiert ist

#7: Genau so ist es

#8: Es geht um Bernd K. Wunder aus München

#9: Es macht einen nur noch fassungslos

#10: Diese Ironie ist wenigstens angebracht

#11: Die Antwort würde die Stars sicher nur verunsichern

#12: Das medizinische Personal hat zurecht kein Verständnis

#13: Auf den Punkt gebracht

#14: Sehr richtig, das darf nicht vergessen werden

#15: Auch ein guter Konter

#16: Was ist nur aus den Werten Empathie und Solidarität geworden?

#17: Das ist die eigentliche Ironie

#18: Kann man so sagen

#19: Einfach großartig

#20: Abschließender Kommentar zum Thema Meinungsfreiheit

#21: Einer noch, aber dann ist Schluss

Hier ist Schluss mit diesem Thema. Normalerweise verlinken wir am Ende auf einen eigenen weiterführenden Beitrag. Diesmal möchten wir euch aber zeigen, dass es durchaus auch sinnvolle Protestbündnisse und -aktionen gibt. Deswegen verweisen wir an dieser Stelle auf #AlarmstufeRot. Dort geht es nämlich wirklich um konkrete Maßnahmen zur Rettung der Veranstaltungswirtschaft. Ganz ohne Ironie und billige Polemik. Vielleicht klickt ihr euch da mal rein und hinterlasst eine kleine Spende.

#AlarmstufeRot

Über den Autor/die Autorin