#allesdichtmachen – Ist das noch Satire oder einfach nur Verhöhnung?
Seit gut einem Jahr sind die Theater geschlossen und viele Filmprojekte zum Stillstand gekommen. Die Kunst- und Kulturbranche liegt am Boden, auch weil die Hilfen nur langsam oder gar nicht ausgezahlt werden und die Perspektive fehlt, wann es weitergeht. Die Folgen sind – wie auch beim Rest der Bevölkerung im Angesicht des langen Lockdowns – Frust, Verzweiflung und ein übermannendes Gefühl der Hilflosigkeit. Da ist jeder Protest gegen die Maßnahmen legitim, sollte man meinen, aber rund 50 deutsche – teils namhafte – Schauspielerinnen und Schauspieler bewiesen gestern, dass die Art und Weise am Ende mehr Schaden für den Rest der Solidargemeinschaft bedeutet, als es der Grundintention nutzt.
Über ihre Instagram-Accounts, einen YouTube-Kanal sowie eine überlastete Aktions-Website (www.allesdichtmachen.de) verbreiteten sie einen Hilfeschrei. Das Problem dabei? Sie stützten sich in den vermeintlich ironisch pointierten Clips auf Halbwahrheiten und würzten das Ganze mit einem Schuss Polemik. Im Angesicht von 80.000 Corona-Toten muss man sich allerdings fragen, was sich diese Stars dabei gedacht haben, als sie die Videos in ihren geräumigen Wohnungen und Häusern aufgezeichnet haben. Vor allem bedienten sie sich dabei genau der Narrative, von denen sie sich dann in nachgeschobenen Statements distanzierten, nämlich von Rechtsextremen und der Querdenkerszene. Intelligente Satire sieht anders aus und sie tritt in der Regel eigentlich auch nicht nach unten. Auf der Aktionswebseite selbst hat der Organisator vorsichtshalber ganz am unteren Ende noch ein „FCKNZS“ (Fuck Nazis) hinterlassen. Die Reaktionen auf die Kampagne sprachen aber ein anderes Bild. Und so gab’s erstmal tosenden Applaus von Rechtsaußen, wo die Clips als satirisches Meisterstück gefeiert wurden. Mit dabei Tichys Einblick, Hans-Georg Maaßen (CDU), Verschwörungserzähler Ken Jebsen, mehrere Organisatoren der Querdenkerszene und AfD-Funktionäre. In den einschlägigen Telegram-Kanälen wurden diese Videos ebenfalls jubilierend geteilt. Der laut Impressum für #allesdichtmachen verantwortliche Organisator ist dort auch kein Unbekannter. Schon im letzten Jahr hatte er die Pandemie verharmlost und mit einer Grippe gleichgesetzt. Ob Jan Josef Liefers, Nadja Uhl, Wotan Wilke Möhring, Ulrich Tukur, Heike Makatsch, Meret Becker und Volker Bruch wussten, worauf sie sich da einließen, spielt eigentlich keine Rolle. Heike Makatsch ruderte im Verlauf der Morgenstunden zurück und ließ ihren Videoclip löschen. Warum sie sich vorher nicht kritisch mit der Aktion auseinandergesetzt hat, bleibt offen.
Gott sei Dank gab es aber auch viel Gegenwind, vor allem von Schauspielkolleginnen und -kollegen und anderen Medienschaffenden. Darunter Elyas M’Barek, Nora Tschirner, Christian Ulmen, TV-Moderator Jan Köppen, Jörg Kachelmann und Jan Böhmermann. Prompt wurde eben dieser öffentliche Widerspruch als Beweis dafür genommen, dass man in Deutschland nicht mehr diskutieren könne und eigentlich gar nichts mehr sagen darf, weil man sonst in die rechte Ecke gedrängt wird. Neben der Verhöhnung der Opfer und der Arbeit der vielen medizinischen Kräfte, die tagtäglich Übermenschliches im Kampf gegen Corona leisten, stößt besonders im Statement von Jan-Josef Liefers die unreflektierte Kritik an der Presse sauer auf, die Wasser auf den Mühlen all jener ist, die seit Längerem von einer gleichgeschalteten (Lügen-)Presse fabulieren und diese als größten Treiber der Pandemie sehen. Von konstruktiver Kritik an Einzelmaßnahmen fehlt jede Spur. Dabei bieten die Corona-Maßnahmen der Bund- und Länderpolitik so viel Angriffsfläche, um tatsächlich etwas zu bewirken und auf Probleme aufmerksam zu machen.
Wir haben uns auf Twitter umgesehen und die treffendsten Kommentare für euch zusammengestellt.
#1: So sieht’s aus
Das ist das einzige Video, das man sich ansehen sollte, wenn man Probleme mit Corona-Eindämmungsmaßnahmen hat:
Charité Intensiv: Station 43 – Sterbenhttps://t.co/EQaMNJzJuh #allenichtganzdicht 😢
— 🔴🔴🔴 Jan Böhmermann 🦠🤨 (@janboehm) April 22, 2021
#2: Gott sei Dank gab’s auch viel Gegenwind von den Kollegen
Ich danke von Herzen Nora Tschirner und Christian Ulmen für den Beweis dass doch nicht ausnahmslos alle deutschen Schauspieler nun zum zynischen Pandemieopferverhöhnen zusammengekommen sind…#allesdichtmachen #allesschlichtmachen
— Der Notfallhausarzt🔴 (@niemandmagmusik) April 22, 2021
#3: Einige waren auch froh, nicht gefragt worden zu sein
Niemand hat mich gefragt, ob ich bei #allesdichtmachen mitmachen will. Gott sei Dank!
— 🎈Marcus Mittermeier🎈 (@MMittermeier) April 22, 2021
#4: Das wäre mal ein Signal gewesen
Man stelle sich vor, 53 Schauspieler hätten sich für Luftfilter an Schulen eingesetzt. Das wäre mal was gewesen.#BildungAberSicher #allesdichtmachen#twlz
— _befishy__too 🔴🔴🔴 (@_befishy__too) April 23, 2021
#5: Selbstreflexion hätte diese Aktion verhindern können
Warum mußte man bei der Aktion #allesdichtmachen beim Verstand anfangen?
— Ruprecht Polenz 🇩🇪🇪🇺 (@polenz_r) April 22, 2021
#6: Unsachlich, aber verständlich, wenn man tagtäglich mit Coronainfizierten konfrontiert ist
Die Schauspieler*innen von #allesdichtmachen können sich ihre Ironie gerne mal tief ins Beatmungsgerät schieben.
— Tobias Schlegl (@TobiSchlegl) April 22, 2021
#7: Genau so ist es
Bekannte, geschätzte Schauspielerinnen und Schauspieler kämpfen mit ekliger Ironie gegen #Corona-Maßnahmen. Ich kann das gar nicht glauben. Das ist grauenhaft. Nicht nur von der Zielrichtung her, sondern vor allem in der Form. #allesdichtmachenhttps://t.co/g95K7UgG22
— Stefan Niggemeier (@niggi) April 22, 2021
#8: Es geht um Bernd K. Wunder aus München
Der laut Impressum für #allesdichtmachen Verantwortliche hat die Pandemie, die rund 3 Millionen Menschen das Leben gekostet hat, schon im Mai 2020 (!) verharmlost und mit einer Grippe gleichgesetzt.
Aber ihr habt wahrscheinlich nicht gewusst, mit wem ihr euch einlasst, stimmt's?
— Daniel Laufer (@DanielLaufer) April 22, 2021
#9: Es macht einen nur noch fassungslos
Während Menschen sterben, schwurbeln sich Schauspieler:innen, auf die ich viel halte, mit ekelhafter Ironie eine YouTube-Kampagne zusammen. Diese Pandemie hat einige schlimme Dinge hervorgebracht. Diese grässliche Idee gehört dazu. #allesdichtmachen
— Dennis Horn (@horn) April 22, 2021
#10: Diese Ironie ist wenigstens angebracht
Könnten die Ärzte und Pfleger auf den ITS bitte mal kurz ans Fenster kommen und den mutigen Schauspielern von #allesdichtmachen für ihren Mut und Einsatz applaudieren. #schlaginsgesicht #nichtselbstverstaendlich
— NoCovid-Team (@NoCovidJetzt) April 22, 2021
#11: Die Antwort würde die Stars sicher nur verunsichern
Wenn man bei Querdenkern mitläuft, ist man nicht automatisch Nazi. Aber man fühlt sich wohl, mit Nazis Seite an Seite zu marschieren.
Das selbe gilt für #allesdichtmachen: Wer etwas macht, das am Ende nur von der Reitschuster-Jebsen-Tichy-Bubble gefeiert wird, was ist man dann?
— Marie von den Benken (@Regendelfin) April 22, 2021
#12: Das medizinische Personal hat zurecht kein Verständnis
Ich habe die letzten 12 Tage jeden Tag gearbeitet. Meistens Intensivstation, dazu Notarztdienst und Impfzentrum. 10-12 Stunden am Stück mit FFP-Maske, alles um dieser Pandemie Herr zu werden.
Diese #allesdichtmachen-Scheiße ist das ALLERLETZTE was ich jetzt brauchen kann! 🤬
— 🔴 Flow (@Caethan13) April 22, 2021
#13: Auf den Punkt gebracht
"Und, was hast du getan als damals Millionen an Corona gestorben sind und wissenschaftsfeindliche Nazis durch die Städte zogen?"
Na, die Toten ausgelacht und mich dafür von den Nazis feiern lassen.#AllesDichtMachen
— Jason von Juterczenka (@Jasonvj2005) April 22, 2021
#14: Sehr richtig, das darf nicht vergessen werden
Liebe sehr, wie reiche, privilegierte Menschen sich in Coronazeiten hinstellen und was von Angst(diktatur) faseln. Ich sag euch, wovor Leute wirklich Angst haben:
– Sterben
– Beatmungsschlauch
– Schäden
– Existenzverlust
– Tod von Liebsten#allesdichtmachen #bruch #liefers— Katharina Seck (@wellenmaedchen) April 22, 2021
#15: Auch ein guter Konter
Okay, ich feier @Elyas_MBarek jetzt.#allesdichtmachen
— Manuel Lorca 🗯 (@ManoLorca) April 22, 2021
#16: Was ist nur aus den Werten Empathie und Solidarität geworden?
Kritik und Opposition in diesem Land besteht daraus, noch mehr Gleichgültigkeit gegenüber dem Sterben zu fordern
— Tim Wolff (@titatimwo) April 23, 2021
#17: Das ist die eigentliche Ironie
Hans-Georg Maaßen nennt die Aktion #allesdichtmachen „großartig“.
Endlich protestiert mal jemand gegen diese verdammte Regierungspartei, für die er im Herbst in den Bundestag will.— ZDF heute-show (@heuteshow) April 23, 2021
#18: Kann man so sagen
#allesdichtmachen mit Liefers, Müller und Becker ist auch mehr so Querdenken für Leute, die zu feige sind, bei Querdenken mitzumachen…
— Sebastian Weiermann (@SWeiermann) April 22, 2021
#19: Einfach großartig
#allesschlichtmachen #alleszumachen #allesaufmachen #lockdownfuerimmer #allenichtganzdicht
— Florian Hacke (@monstre78) April 23, 2021
#20: Abschließender Kommentar zum Thema Meinungsfreiheit
Eine kurze Nachricht an meine Freunde von #allesdichtmachen #allesschlichtmachen zum Thema Meinungsfreiheit.
— Marina Weisband (@Afelia) April 23, 2021
#21: Einer noch, aber dann ist Schluss
#allesdichtmachen – Ich bin auch dabei ❤️
— Lutz van der Horst (@LutzvanderHorst) April 23, 2021
Hier ist Schluss mit diesem Thema. Normalerweise verlinken wir am Ende auf einen eigenen weiterführenden Beitrag. Diesmal möchten wir euch aber zeigen, dass es durchaus auch sinnvolle Protestbündnisse und -aktionen gibt. Deswegen verweisen wir an dieser Stelle auf #AlarmstufeRot. Dort geht es nämlich wirklich um konkrete Maßnahmen zur Rettung der Veranstaltungswirtschaft. Ganz ohne Ironie und billige Polemik. Vielleicht klickt ihr euch da mal rein und hinterlasst eine kleine Spende.