Thread: Wie schwer es in Deutschland ist, abzutreiben
In Deutschland wird seit Jahren heftig über das Thema Abtreibung diskutiert. Das liegt vor allem an Paragraf 218 des Strafgesetzbuchs: „Wer eine Schwangerschaft abbricht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“ Abtreibung ist somit erstmal verboten. Die Ausnahmen werden dann allerdings in Paragraf 218a geregelt. Das ist so, weil es diesen Paragraphen 218 schon seit 1872 gibt und tatsächlich waren Abtreibungen bis in die 1970er Jahre strengstens verboten. Mit der Parole „Mein Bauch gehört mir!“ wollte die Frauenbewegung Anfang der 70er Jahre in der Bundesrepublik die ersatzlose Streichung des Paragrafen 218 aus dem Strafgesetzbuch erreichen. Die Reform des Abtreibungsparagrafen wurde schließlich 1976 vom Bundestag beschlossen.
Trotzdem ist ein Schwangerschaftsabbruch bis heute rechtswidrig. Er bleibt aber straffrei, wenn er innerhalb der ersten drei Monate und nach einer Konfliktberatung durchgeführt wird. Nicht rechtswidrig ist er nur, wenn eine „medizinische oder kriminologische Indikation“ vorliegt. Den Streit um den Paragraphen gibt es deswegen bis heute. Seine Abschaffung wird von den Konservativen blockiert. Nicht selten sind es Männer, die ihn verteidigen und erklären, warum eine Abschaffung falsch wäre. Sie behaupten auch, dass es ohnehin schon viel zu leicht ist, einen Schwangerschaftsabbruch durchzuführen. Aber stimmt das denn auch? Fakt ist, die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland lag im Jahr 2019 bei rund 101.000 gemeldeten Abtreibungen. Aber von leicht kann keine Rede sein, vor allem, wenn einem persönliche Umstände das Leben schwer machen. Die Userin @giannamariella hat darüber diesen Thread geschrieben.
Lasst uns doch mal darüber reden, wie schwer es in Deutschland ist, abzutreiben, und wie wenig das mit „mache ich mal so zwischendurch“ zu tun hat. Ein Story-Thread: (1)
— Mariella aka GMTK (@giannamariella) August 23, 2020
Vor 2 Jahren ist meine kleine Schwester von ihrem Ex schwanger geworden. Also Nachdippen mit Folgen. Sie steckte gerade im Abi und war mit besagtem Typen nicht zusammen. Also jetzt nicht unbedingt die besten Startchancen für eine glückliche Mutterschaft. (2)
— Mariella aka GMTK (@giannamariella) August 23, 2020
Mutterschaft. Ihr war also sofort klar: Ich will abtreiben.
Wie ja inzwischen bekannt sein dürfte, darf man das erst nach einer Beratung. Dafür musste sie schon ziemlich weit fahren, weil es in der unmittelbaren Nähe unseres Kaffs solche Beratungsstellen nicht gibt. (3)— Mariella aka GMTK (@giannamariella) August 23, 2020
Das mit der Schule und ohne Auto zu planen, war schon schwierig. Hinzu kam, dass unser Papa da gerade im Sterben lag, was nicht nur psychisch zusätzlich belastend war, sondern auch die Zeiteinteilung und Planung schwierig machte. (4)
— Mariella aka GMTK (@giannamariella) August 23, 2020
Nach dem Beratungstermin wurde ihr nicht direkt gesagt, wo sie den Eingriff machen lassen könnte.
Das wäre ja zu einfach. Sie musste mit dem Wisch zurück zu ihrem Gynäkologen. Der verriet ihr dann, wo sie die Abtreibung vornehmen konnte. (5)— Mariella aka GMTK (@giannamariella) August 23, 2020
Surprise: Nicht in der Nähe. Sie machte einen Termin in der Praxis. Abtreibungen wurden aber nur einmal die Woche, am Freitagvormittag, vorgenommen. In der Zwischenzeit war unser Papa gestorben. Die Beerdigung: Freitagvormittag. Unsere Mutter: Absolut gegen Abtreibung. (6)
— Mariella aka GMTK (@giannamariella) August 23, 2020
Meine Schwester fragte mich, was sie Mama erzählen sollte, weil sie zu spät zur Beerdigung kommen würde. Ich wusste darauf keine Antwort. Sie auch nicht. Also verschob sie den Termin um eine Woche. Weil ging ja nur freitags. Der Montag drauf wäre schließlich zu einfach …(7)
— Mariella aka GMTK (@giannamariella) August 23, 2020
Als die Schwangerschaft endlich beendet wurde, war meine Schwester in der 11. Woche. Eine Woche später hätte sie nicht mehr gedurft, obwohl sie sich sofort um alles gekümmert hat. Und es war alles, aber keine leichte Zeit für sie. (8)
— Mariella aka GMTK (@giannamariella) August 23, 2020
Das ist nur eine Geschichte von Hundertausenden. Aber wer denkt, Abtreibung sei ein leichtes Thema oder einfach umzusetzen, der hat sie nicht alle. (9)
— Mariella aka GMTK (@giannamariella) August 23, 2020
Denn es gibt immer einen persönlichen Rattenschwanz, es gibt zu wenig Ärzt*Innen die den Eingriff vornehmen und es gibt kaum Support und Hilfe von außen.
Ende— Mariella aka GMTK (@giannamariella) August 23, 2020