Thread: Meine Mutter rief gestern an…

Die Coronakrise offenbart, was viele schon vorher wussten: Belastung und Gehalt stehen in systemrelevanten Berufen selten im Verhältnis zueinander, vor allem im medizinischen Bereich nicht. Seit Wochen schieben Ärzte und Pfleger Sonderschichten, haben bislang nur „ein Lächeln“ oder Applaus bekommen und die versprochenen Prämien sind im Vergleich zur Gesamtleistung ein Witz. Ganz davon abgesehen, dass sie wahrscheinlich nicht alle Pflegekräfte bekommen werden. Die schlechte Bezahlung ist aber nur das eine, das andere sind die Arbeitsbedingungen. Bislang kam von unserem Gesundheitsminister dazu nicht viel Neues. Damit das Thema nicht in Vergessenheit gerät, legen wir euch den nun folgenden Thread von @RanaJeanne ans Herz.

Meine Mutter rief gestern an und erzählte, dass ihre Freundin freigestellt ist. Diese Freundin ist Lehrerin und allein aufgrund ihres Alters von 58 Jahren freigestellt.
Meine Mutter ist ebenfalls 58, Krankenschwester, Intensiv und Nephro, wurde trotz Gefäßerkrankung und weiterer

— Je suis Corona (@RanaJeanne) June 4, 2020

Risikofaktoren seit Februar zu 12-Stunden-Schichten auf der Covid-Iso verpflichtet und arbeitet dort also den ganzen Tag in Vollschutz. Sie hat zu Hause meinen Vater, 63, chronisches Astma. Sie pflegt ihre Eltern, Opa, 86, seit 60 Jahren Alkoholiker, Oma, 84, seit 45 Jahren

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Diabetikerin.
Ihre Freundin hat keine bekannte Grunderkrankung, aber eine Gewerkschaft, die Forderungen durchgeboxt hat. Leider kennt sich ihre Freundin nicht gut mit PC aus. Sie wird demnach nicht im HO sein und digitale Lernkonzepte erarbeiten. Aber sie ist verbeamtet.

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Weil meine Mutter 30 Jahre Erfahrung an der Dialyse hat, wird sie auch weiterhin zu überlangen Schichten verpflichtet sein, denn Covid führt sehr oft auf direkten Weg zur Dialyse. Es gibt aber kaum Fachpersonal. Man setzt Arzthelfer ein für alles, was nicht direkt mit Blut zu

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tun hat.
Wisst ihr, ich komme aus einer Familie, in der es immer Grundlage war, nen guten Job zu machen, zu tun, was man kann, unabhängig vom Gehalt. Ich bin auch so. Verantwortung tragen ist bei uns Ehrensache.
Aber habt ihr schonmal 4 Stunden am Stück Vollschutz getragen?

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Man trinkt 3L Wasser und muss trotzdem nicht einmal auf die Toilette. Pause gibt es nur, wenn jemand da ist, um abzulösen.
Der letzte Satz am Telefon meiner Mutter war ‚Die verdient das doppelte, wie ich und ein großes Haus.‘

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Das Problem ist nicht die Lehrerin. Das Problem ist, dass die Privilegien so krass sind und das führt dazu, dass Benachteiligte allen Respekt verlieren. Sie fühlen sich wertlos und das nimmt die eigentlich verbriefte Würde.
Danach hat man nicht mehr viel zu verlieren.

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Jörgs Tante sagte gestern am Telefon zu mir, ich solle dankbar sein, dass sie sich um meine Kinder kümmere. Es ist Jörgs Ferienwoche. Er ist der verdammte Vater. Ich arbeite in dieser Zeit 40 Stunden für Lohn und mach noch zahlreiche Dinge hier zu Hause. Sie mussten mir gestern

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mehrfach anrufen, weil meine Kinder ‚…ja nicht zu beruhigen seien…‘ Jörgs Tante ist übrigens Rektorin einer Realschule, selbst kinderlos. Sie findet es außerdem anstrengend mit drei Kindern, da könne man sich nicht erholen.
Ja, ich finde, Jörg und seiner Tante gehts zu gut.

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Mein Fazit ist, dass es manchen tatsächlich zu gut geht, weil viele andere ihre Arschbacken zusammenkneifen und tun, was getan werden muss, damit’s läuft.
Und ich Dummerchen fühl mich dennoch privilegiert, weil wir alles haben, was wir brauchen und zurecht kommen, trotz allem.

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