Thread: Lasst uns über Faschismus reden!
Wer uns aufmerksam liest, der wird Natascha Strobl bereits kennen. Für alle anderen: Sie liefert auf Twitter regelmäßig Analysen zu Rechtsextremismus, Faschismus; insbesondere den Identitären und der Neuen Rechten.
Zwei ihrer sehr ausführlichen und sachlichen Threads haben wir bereits veröffentlicht: Die Analyse des Höcke-Interviews und Die Causa #Groenemeyer.
Diesmal geht es ganz allgemein über Faschismus. Und da das Thema sehr breit gefächert ist, solltet ihr euch für den nachfolgenden Thread etwas mehr Zeit zum Lesen nehmen.
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Ihr wollt über Faschismus reden? Lasst uns über Faschismus reden! Gehen wir der Frage nach warum es (Überraschung!) keinen „linken Faschismus“ gibt. Wieviel Zeit habt ihr? Das könnte länger dauern. #NatsAnalyse
— Natascha Strobl (@Natascha_Strobl) November 8, 2019
Das Thema kann man von ganz vielen Seiten tackeln. Für mich am Wichtigsten ist die Ideologie des Faschismus. Warum diese Sichtweise aber nicht reicht erkläre ich euch am Schluss (Spannungsbogen ahoy!). Faschismus beschreibt also eine spezifische Sicht auf die Welt.
— Natascha Strobl (@Natascha_Strobl) November 8, 2019
Roger Griffin beschreibt Faschismus in aller Kürze als „palingenetischer Ultranationalismus“. Faschismus hat also die (gewaltsame) Wiedergeburt der Nation zum Ziel. Das Jetzt ist dekadent, verlottert, trist und schlecht. Herabgewirtschaftet von bösen oder Inkompetenten Kräften.
— Natascha Strobl (@Natascha_Strobl) November 8, 2019
Faschismus ist das Versprechen einer besseren, glorreichen Zukunft. Auf Basis von Volk und Nation. Und es wird nicht nur ein bisi besser, sondern es kommt ein ganz neues System, eine Zeitenwende, eine neue Ära, ein goldenes Zeitalter. Das ist wichtig.
— Natascha Strobl (@Natascha_Strobl) November 8, 2019
Die kompromisslose Utopie, die Errettung aus der Tristesse des Jetzt ist der größte Attraktivitätsfaktor. Faschismus ist nicht bloße Negation, sondern eben Utopie für die Anhänger_innen. Das Jetzt muss überwunden werden für eine glorreiche Zukunft. Wie soll das passieren?
— Natascha Strobl (@Natascha_Strobl) November 8, 2019
Die Sache ist nämlich: Volk und Nation sind eigentlich groß und werden nur klein gehalten. Und klein gehalten werden sie von (Überraschung) den Juden. Die haben nämlich eigene Interessen, die absolut inkompatibel mit denen der Nation sind.
— Natascha Strobl (@Natascha_Strobl) November 8, 2019
Nation ist nämlich nicht nur eine soziale oder politische Kategorie, nein im Faschismus transzendiert sie alles. Sie ist Gefühl, Existenz und absoluter Wert in einem. Nation und Volk sind unhinterfragbare Kategorien außerhalb jedes Diskurses. Sie sind einfach. Punkt.
— Natascha Strobl (@Natascha_Strobl) November 8, 2019
Was ist der Unterschied zwischen Nation und Volk? Im faschistischen Idealfall ist das Deckungsgleich. Aber die Realität ist oft nicht so, deswegen ist eine der wichtigsten Aufgaben im Faschismus, die die nicht zur Nation gehören aus ihr zu beseitigen. Mit allen Mitteln.
— Natascha Strobl (@Natascha_Strobl) November 8, 2019
Und die, die zum Volk gehören, aber (noch) nicht zur Nation gehören „heim“ zu holen. Am Ende steht eine völkisch reine und gesäuberte Nation. Dieser Reinheitsgedanke ist essentiell im faschistischen Denken. Bloß keine Vermischung, bloß kein Kontakt, bloß alles rein.
— Natascha Strobl (@Natascha_Strobl) November 8, 2019
Das liegt daran, dass Faschismus von der Eindeutigkeit und von der Ordnung lebt. Alles hat seinen Platz, alles hat seine Funktion. Es gibt keine Ambivalenz, keine Dialektik, keine Interessensgegensätze. Er seht hier sehr gut wie diametral das zb Marxismus gegenüber steht.
— Natascha Strobl (@Natascha_Strobl) November 8, 2019
Faschismus ist nämlich eine idealistische und irrationale Ideologie. Bevor jetzt alle in ihre Tasten hämmern, hört mir zu wie ich das meine: idealistisch im Gegensatz zu materialistisch. Nicht das Sein bestimmt das Bewusstsein, sondern Zugehörigkeit zu Volk u Nation bestimmt Sein
— Natascha Strobl (@Natascha_Strobl) November 8, 2019
Und irrational im Sinne, dass es unhinterfragbare Dogmen gibt und das sind, wie angesprochen, Volk und Nation. Die werden nicht analysiert oder mit ökonomischen Formeln aufgedröselt oder neu definiert. Die sind einfach. Punkt. Das ist so wichtig bei diesen unsäglichen Vergleichen
— Natascha Strobl (@Natascha_Strobl) November 8, 2019
Marxismus hat ökonomische Kategorien, Formeln, Analysen und Ableitungen sowie wissenschaftliche Methodik. Alle Kategorien sind einer permanenten Debatte und Prüfung unterzogen. Klasse ist kein mystifizierter Begriff sondern ökonomische, politische, soziale Kategorie.
— Natascha Strobl (@Natascha_Strobl) November 8, 2019
Ok also wir wissen jetzt WIE Faschismus denkt. Aber was denkt er? Antisemitismus haben wir ja schon beschrieben. Die Idee, dass da Leute sitzen, die permanent nur am Verderben der Nation arbeiten ist zentral, weil Faschismus eine Untergangsideologie ist.
— Natascha Strobl (@Natascha_Strobl) November 8, 2019
Die Nation ist permanent bedroht, von innen wie von außen. Und was macht man, wenn man bedroht ist? Man wehrt sich. Die Entrechtung, Verfolgung und Vernichtung der Juden und Jüdinnen war demzufolge ein Akt der Selbstverteidigung.
— Natascha Strobl (@Natascha_Strobl) November 8, 2019
Wir oder die, es können nicht beide gleichzeitig leben, also lieber wir. In dieser Welt der Eindeutigkeit gibt es eben kein Miteinander und keine Verständigung. Und das auf Grund der bloßen individuellen Existenz. Du kannst dich ja nicht entziehen oder abschwören.
— Natascha Strobl (@Natascha_Strobl) November 8, 2019
Die Kategorisierung als „Jude“ ist ja keine Selbstbezeichnung, sondern e Kategorie, d im Faschismus vergeben wird. Du wirst zum „Juden“ gemacht. Du kannst dich dem nicht entziehen. Das ist d Perfidität, es geht nur um das weg d „Anderen“. Faschismus ist eine Vernichtungsideologie
— Natascha Strobl (@Natascha_Strobl) November 8, 2019
Ok kurzer Zwischenstopp: Faschismus hat Einheit von Volk und Nation zum Ziel, die jeweils unhinterfragbare Kategorien sind. Faschismus ist eine Untergangs- und Vernichtungsideologie, die sich im permanenten Abwehr- und Endkampf wähnt. Wir oder die.
— Natascha Strobl (@Natascha_Strobl) November 8, 2019
Es sind aber nicht nur „die Juden“, die gegen die Nation arbeiten, sondern auch der politische Hauptfeind: Linke/Sozialist_innen/Kommunist_innen. Anti-Marxismus ist eine zentrale ideologische Komponente, die gern unter den Tisch fällt. Ist es aber nach wie vor.
— Natascha Strobl (@Natascha_Strobl) November 8, 2019
Die arbeiten nämlich gerne mit Juden u Jüdinnen zusammen, es gibt also eine jüd-bolschewistische Verschwörung zum Schaden d Nation. Auch dieses Bild wird gerne heute noch chiffriert verwendet, immer dann wenn v „Globalisten“ gesprochen wird zb, mit denen elitäre Linken arbeiten
— Natascha Strobl (@Natascha_Strobl) November 8, 2019
Und dann gibt es noch die, die eine physische Schwächung der Nation bedeuten – die Armen, die Kranken, die mit Beeinträchtigungen, die Obdachlosen. Alles was schwach ist muss auch raus. Schwäche gehört vernichtet. Faschismus ist eine Ideologie der Härte.
— Natascha Strobl (@Natascha_Strobl) November 8, 2019
(Kommt ihr noch mit? Oh Gott das ist eher Stoff für eine Ring-VO)
— Natascha Strobl (@Natascha_Strobl) November 8, 2019
Also Untergang, Wiedergeburt, Abwehrkampf, Reinheit, Härte, Irrationalität und Idealismus, Utopie, Feindvernichtung sind bis jetzt die zentralen Begriffe bis jetzt. Es gibt aber auch die Akteure des Faschismus. Im Kern steht immer der soldatische Männerbund.
— Natascha Strobl (@Natascha_Strobl) November 8, 2019
Das Jetzt wird als verdorben und dekadent und verweiblicht empfunden und dem steht der virile, junge Mann gegenüber der für Volk und Nation kämpft. Faschismus ist also auch immer überhöhte und gewalttätige Männlichkeit.
— Natascha Strobl (@Natascha_Strobl) November 8, 2019
So ich habe jetzt ein wenig das faschistische Denken skizziert. Das allein ist aber zu wenig im Faschismus zu verstehen. Faschismus hat immer auch eine soziale und politische Erscheinungsform, die nach Epoche und Land unterschiedlich ist.
— Natascha Strobl (@Natascha_Strobl) November 8, 2019
Es gibt das unterschiedliche Ansätze. Frühe marxistische Theorien sahen Faschismus als bloßes Mittel zur Spaltung der arbeitenden Klasse u haben die SPD auch gleich mit rein genommen. Kaum haltbar u sehr undifferenziert. Bürgerliche Theorien suchten Gleichsetzung mit Stalinismus
— Natascha Strobl (@Natascha_Strobl) November 8, 2019
Dazu muss auch einige ignorieren, vor allem die ideologischen Spezifika des Faschismus und seinen inhärenten Vernichtungsanspruch. Modernere Theorien gehen das viel differenzierter an. Ich verweise auf Gramsci und v.a. Poulantzas, der auch sehr gut den Weg Richtung F beschreibt.
— Natascha Strobl (@Natascha_Strobl) November 8, 2019
Es ist ja nicht an einem Tag Demokratie u am nächsten Faschismus. Im Kapitalismus reagieren bürgerliche Kräfte an der Macht auf Hegemonieverlust zunächst m autoritären Antworten, d sich in Richtung Ausnahmestaat (wo auch Faschismus reinfällt) entwickeln können aber nicht müssen.
— Natascha Strobl (@Natascha_Strobl) November 8, 2019
Da würde ich jetzt ein ganzes neues Kapitel aufmachen, aber wichtig ist: Faschismus ist nicht ein plötzlicher Punkt in der Geschichte sondern am Ende eines politischen Prozesses, der nicht determiniert ist. Faschismus und faschistische Entwicklung gehören kontextualisiert.
— Natascha Strobl (@Natascha_Strobl) November 8, 2019
Faschismus ist letztlich auch ein Herrschaftsonstrument zudem eine gewisse Fraktion der bürgerlichen Klasse (durchaus mit Allianzen zu Depravierten) bereit ist um in letzter Konsequenz ihre Stellung in der Gesellschaft auszubauen oder abzusichern.
— Natascha Strobl (@Natascha_Strobl) November 8, 2019
Ok nachdem mich jetzt schon die liebreizenden und wahnsinnig konstruktiv diskutierenden rechten Trolle entdeckt haben komme ich zum Schluss: Faschismus ist e komplexes ideologisches System, das nicht nur in der Negation besteht. Gleichzeitig erfüllt er e soziale u polit Funktion
— Natascha Strobl (@Natascha_Strobl) November 8, 2019
Umberto Eco hat die Komponenten gut runter gebrochen. Das ist der einfachste Text zum ideologischen Verständnis von Faschismus. https://t.co/PSBSabgk0v
— Natascha Strobl (@Natascha_Strobl) November 8, 2019
Faschismus ist seiner Denk- und Funktionsweise diametral unterschiedlich zu materialistischem und marxistischem Denken. Ein linker Faschismus ist Widerspruch in sich. Faschismus ist rechts. Faschismus ist völkisch.
— Natascha Strobl (@Natascha_Strobl) November 8, 2019
Es gibt ungefähr noch 10.000 Dinge zu sagen sowohl zu Ideologie als auch konkreter Ausformung, aber ich hoffe ich konnte zumindest einen kleinen Einblick geben was Faschismus ausmacht. Es gibt natürlich Unterschiede und Spezifika nach Ländern und Zeit.
— Natascha Strobl (@Natascha_Strobl) November 8, 2019
Und dann wären da noch die feinen Abgrenzung zu Rechtsextremismus, Autoritarismus, Bonpartismus oder Begriffe wie Faschisierung und Prä-Faschismus, aber dazu ein anderes Mal. Habt ein schönes Wochenende.
— Natascha Strobl (@Natascha_Strobl) November 8, 2019