Thread: Ein Notfall, der zu uns verlegt werden soll
Jeder von uns, sofern er nicht vermögend oder gesundheitlich nicht in der Lage ist, muss einer Arbeit nachgehen, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Als Kinder und Jugendliche wird uns geraten, einen Beruf zu ergreifen, der uns Spaß macht und uns erfüllt. Und natürlich sollen wir – wenn es nach unseren Eltern geht – auch die Vergütung dieser Arbeit bei unserer Wahl mit einbeziehen. Ironischerweise sind es die sozialen Dienste, also die Arbeit am Menschen, die vergleichsweise am schlechtesten bezahlt werden. Nicht selten geht gerade mit diesen Berufen eine außergewöhnliche körperliche und psychische Belastung einher. Besonders heftig macht sich dies im medizinischen Bereich bemerkbar. Schichtdienste, Überstunden, Stress und miese Personalschlüssel sind da keine Seltenheit. Und auch die gesellschaftliche Anerkennung lässt sehr zu wünschen übrig. Warum ergreift man also einen Beruf, der auf den ersten Blick so unattraktiv erscheint? Viele Ärzte und insbesondere Pflegekräfte sehen ihre Arbeit nicht nur als Beruf, sondern eher als Berufung, weil es eben um andere Menschen geht. Das Feedback von Patienten und Angehörigen ist für viele die eigentliche Vergütung neben ihrem vergleichsweise geringen Gehalt. Es ist eben nicht nur ein Job, wenn es um das Retten eines Menschenlebens geht. Man kann nicht einfach so ausstempeln, wenn man seine Arbeitszeit abgeleistet hat und trotzdem noch gebraucht wird. Nicht nur, dass selbst kleine Fehler schlimme Konsequenzen nach sich ziehen können, nein, selbst wenn das Klinikpersonal alles gegeben hat, was in seiner Macht stand, bedeutet dies noch nicht, dass die Behandlung oder gar die Lebensrettung von Erfolg gekrönt ist. Und selbst danach ist die Arbeit mitunter nicht vorbei. Was es wirklich bedeutet, um ein Menschenleben zu kämpfen, hat der Chirurg und Twitteruser @Lam3th für euch in dem nun folgenden Thread festgehalten.
Ein Notfall der zu uns verlegt werden soll. Der Notarzt, der den Patienten begleitet, meldet sich. Er weiß nicht ob er ihn noch stabil zu uns bringen kann. Er wird nicht im Schockraum anhalten und wird direkt den OP ansteuern. Kurze Zeit später Nachricht aus der Leitstelle. Sie
— Lämêth (@Lam3th) July 23, 2021
kommen unter Reanimation. Unser komplettes Team ist im OP bereit. Drei Pflegekräfte, drei Ärzte, Kardiotechnik. Es ist mitten in der Nacht. Wir kommen gerade von einer Not-OP. Müde Gesichter. Es wird wenig geredet. Jeder versucht sich zu konzentrieren. Wir hören die Aufzugtür.
— Lämêth (@Lam3th) July 23, 2021
Die schrillen Alarme erreichen uns noch vor dem Patienten. Sie biegen um die Ecke. Der Notarzt mit auf der Trage. Er reanimiert. Eine Pflegekraft aus dem Schockraum und zwei Sanitäter begleiten. Sie erreichen uns schnell. Als sie näher kommen sehe ich dass der Notarzt
— Lämêth (@Lam3th) July 23, 2021
Blutüberströmt ist. Er fängt schon an medizinische Details zu übergeben während alle sich in Position bringen den Patienten auf dem OP Tisch zu lagern. Unsere Anästhesistin spricht sich mit dem Notarzt ab. Umlagern unter Reanimation. Der Patient ist grau. Ich schaue auf den
— Lämêth (@Lam3th) July 23, 2021
Monitor. Nulllinie. Arterieller Druck nicht messbar. EKG. Nulllinie oder nur abgerissen? Funktioniert der Monitor frage ich laut über den Lärm der Monitore, der hitzigen Absprachen und Geräte.
EKG ist ab. Was mit der Arterie ist, weiß ich nicht, sagt der Notarzt.
Ich kann keinen— Lämêth (@Lam3th) July 23, 2021
Puls tasten sagt die Anästhesistin. Alle schauen zu mir.
Wir lagern um. Fahren weiter in den OP. EKG dran. Den Blutdruck versuchen wir zu validieren, jemand macht bitte eine BGA.
Der Notarzt reanimiert selber weiter während wir im den Saal fahren. Während die Anästhesie die— Lämêth (@Lam3th) July 23, 2021
Überwachung wieder in Gang zu bekommen, bereitet das OP Team sich auf den notfallmäßigen Anschluss der Herz-Lungen-Maschine vor.
Messungen sind valide, ruft sie Anästhesistin zu mir. Jemand kommt mir der BGA (Blutgasanalyse). Die Werte sind nicht mehr mit dem Leben vereinbar.— Lämêth (@Lam3th) July 23, 2021
Seit wann konnten Sie kennen Blutdruck mehr ableiten? Der Notarzt schaut an die Wanduhr. Ich schätze vielleicht seit 5 Minuten bevor wir bei Ihnen waren. Ich schaue auf die Uhr. 10 Minuten. Seit 10 Minuten ist der Patient bei uns. Wir haben seit mindestens 10 Minuten keinen Druck
— Lämêth (@Lam3th) July 23, 2021
Die Werte in meiner Hand sagen, dass es nicht nur 10 Minuten waren.
Ich erhebe die Stimme. „Wir haben einen Patienten seit mindestens 10 laut dem Kollegen eher 15 Minuten der keinen Druck mehr hat.“ Ich lese die BGA Werte vor. „In meinen Augen macht es keinen Sinn mehr ihn an— Lämêth (@Lam3th) July 23, 2021
die Herz-Lungen-Maschine zu nehmen. Sieht das jemand hier anders?“
Alles schaut mich an. „Ich fange sofort an zu operieren wenn jemand eine Chance sieht. Sieht hier jemand noch die geringste Chance?“ Schweigen. Die Anästhesie Pflegekraft schüttelt als erste den Kopf. „Nein“. Sagt— Lämêth (@Lam3th) July 23, 2021
sie als erste. Der Rest der Anästhesie (inzwischen ein größeres Team der Anästhesie im Saal) pflichten dem bei. Ich schaue den Notarzt an, der immer noch drückt. „Was sagen Sie?“ Er zögert. „Nein“sagt er leise. OP Mannschaft schüttelt wortlos den Kopf.
„Hat jemand was dagegen die— Lämêth (@Lam3th) July 23, 2021
Maßnahmen einzustellen?“
Hat niemand. Seit 10-15 Minuten kein Druck bei normaler Körpertemperatur. Das Gehirn ist unwiederbringlich geschädigt. Das wissen alle. Der Notarzt hört auf. Auf dem Monitor ändert sich nichts.
Das Schweigen im Raum nimmt beinahe körperliche Form an.— Lämêth (@Lam3th) July 23, 2021
Niemand sagt wirklich was.
„Ich rufe sie Angehörigen an.“ sage ich.— Lämêth (@Lam3th) July 23, 2021
Das sagen andere User:
Dass dieser Thread harter Tobak ist, habt ihr sicherlich selbst bemerkt. Die meisten Userinnen und User sind für diesen wichtigen Einblick in den außergewöhnlichen Klinikalltag sehr dankbar und zollen dem Autor ihren Respekt. Und auch wir ziehen vor den vielen namenlosen Retterinnen und Rettern unseren Hut. Ohne euch geht nichts! Die treffendsten Reaktionen auf diesen bewegenden Thread haben wir hier für euch zusammengetragen.
Danke für diesen Thread. Er zeigt den unbeugbaren Willen zu helfen. Er zeigt auch, dass jeder Mensch Würde hat, besonders der, der geht. Ihr habt ihm Würde gegeben und gelassen und eure behalten.
Ich bin stolz auf das Team / die Teams. 🙏— Norbert Stäblein (@InfoDoku) July 23, 2021
Danke, dass du uns mitnimmst. Auch zu solchen Situationen.
Danke für deinen Einsatz. Danke allen Menschen im medizinischen Bereich für Ihren Einsatz.
😔— Luzy bleibt zu Hause (@LuzyLaeuft) July 23, 2021
Oh man, das sind Erlebnisse die einen verfolgen. Wir danken euch für euren täglichen Einsatz. Vielen habt ihr das Leben gerettet. Leider gelingt dies nicht immer. Ich habe es leider auch schon erfahren müssen.
— Olaf (@olafrannflfan) July 23, 2021
Dieser Kampf um ein Leben…
Ich kann nur Ehrfurcht empfinden.
— Sven Schumacher 🌈 (@bitboy0) July 24, 2021
Danke für euren Einsatz. Und danke für das teilen – du schreibst es auch für Laien so, als würde man mit im Saal stehen… Das berührt immer zutiefst. 🖤🕯️
— Derpy – Chipped 💉💉 (@xDmelli) July 23, 2021
Die Ärztin, die mir sagen musste, dass sie meinen Mann nicht retten, zu keinem Zeitpunkt einen Rhythmus wiederherstellen konnten in 90+ Minuten Reanimation vom Kollaps bis in den Schockraum, dass sie alles versucht hatten, hat geweint.
Ich war so dankbar für dieses Mitfühlen.❤️— storm at home 🏴☠️🇪🇺🇫🇷🇩🇪🇺🇸🇬🇧🇺🇳 (@stormyseas212) July 24, 2021
Ich kenne die Situation auf der Trage nur zu gut, auch die Bemühungen vor Erreichen der Klinik. Es sind die Momente, die man Zeit seines Lebens ncht vergisst.
Das ist der Job. Es gibt kein höheres Gut, als das menschliche Leben.Leute, lebt den Tag und vor Allem die Nacht!
— Große Fresse 🦠 (@grossefresse) July 23, 2021
Danke für eure Aufmerksamkeit. Wer mehr über die Arbeit in Kliniken erfahren möchte, klickt bitte hier: