Thread: Das erste Zeichen einer Zivilisation
In diesem Beitrag machen wir mal einen kleinen Exkurs in Sachen Geschichte und wollen euch Margaret Mead, eine US-amerikanische Ethnologin, Anthropologin, Schriftstellerin, Museumskuratorin, Umweltschützerin und Frauenrechtlerin vorstellen. Sie gilt als eine der entschiedensten Vertreterinnen des Kulturrelativismus. Ihre Arbeit bestand darin, Zusammenhänge zwischen der eigenen Persönlichkeit und der Kultur und dem Einfluss dieser auf die gesellschaftlich etablierten Geschlechterrollen und den Erziehungspraktiken in anderen Kulturen zu finden. Sie vertrat somit die Auffassung, dass Sozialverhalten formbar und kulturbestimmt sei. Mead war nicht nur eine der beliebtesten Frauen auf dem Gebiet der Anthropologie, sondern allgemein sehr geschätzt in den Vereinigten Staaten bis Mitte des 19. Jahrhunderts. Auch heute noch wird sie vielfach zitiert. In dem nachfolgenden Thread des Twitterusers @breitenbach geht es um eine Anekdote, die mit ihrem Namen in Verbindung gebracht wird, obwohl es tatsächlich zweifelhaft ist, dass sich das Ereignete so zugetragen hat. Dennoch entspricht der Kern dieser Erzählung ihrer persönlichen Einstellung und Forschung, weswegen es überhaupt nicht verwerflich ist, sie in diesem Zusammenhang zu erwähnen. Aber lest am besten selbst.
Vor Jahren wurde die Anthropologin Margaret Mead von Studenten gefragt, was ihrer Meinung nach das erste Zeichen der Zivilisation, der menschlichen Kultur sei. Sie erwarteten, dass Mead von Angelhaken, Tontöpfen oder Schleifsteinen sprechen würde. /1
— Patrick Breitenbach (@breitenbach) August 8, 2022
Mead antwortete, dass das erste Zeichen der Zivilisation in alten Kulturen ein Oberschenkelknochen war, der gebrochen und dann ausgeheilt war. Sie erklärte, dass man im Tierreich sterbe, wenn man sich das Bein breche. /2
— Patrick Breitenbach (@breitenbach) August 8, 2022
Man kann nicht mehr vor einer Gefahr weglaufen, zum Fluss gehen, um Wasser zu holen oder nach Nahrung jagen. Man ist Beute für herumstreunende Tiere. Kein Tier überlebt einen Beinbruch lange genug, damit der Knochen heilen kann. /3
— Patrick Breitenbach (@breitenbach) August 8, 2022
Ein gebrochener Oberschenkelknochen, der verheilt ist, ist der Beweis dafür, dass sich jemand die Zeit genommen hat, bei demjenigen zu bleiben, der gestürzt ist, die Wunde zu verbinden, die Person in Sicherheit zu bringen und sie während der Genesung zu versorgen. /4
— Patrick Breitenbach (@breitenbach) August 8, 2022
Einem anderen durch Schwierigkeiten zu helfen, ist der Beginn der Zivilisation, sagte Mead: „Wir sind am besten, wenn wir anderen dienen“. /5
via @IraByock / @joergwittkewitz
— Patrick Breitenbach (@breitenbach) August 8, 2022
PS: Diese Anekdote wurde nicht belegt. Sie tauchte erstmals 1980 in einem Buch auf. Mead hat viel belegbares zu Zivilisation gesagt. Das was sie gesagt hat, widerlegt aber nicht die Botschaft der Anekdote. Es geht auch nicht darum zu „beweisen“ ob Menschen gut oder schlecht sind.
— Patrick Breitenbach (@breitenbach) August 9, 2022
Es geht außerdem nicht darum Menschen (über Tiere) zu erhöhen. Aber es ist aus der soziologischen und mediensoziologischen Sicht hochinteressant, wie diese Anekdote nun unterschiedlich rezipiert, kontextualisiert wird und welche Assoziationen dabei freigesetzt werden.
— Patrick Breitenbach (@breitenbach) August 9, 2022
Das sagen andere User:
Spannend, oder? Vor allem ist der Kern aktueller denn je. Was die Leserinnen und Leser dazu zu sagen haben, wollen wir euch natürlich auch noch wissen lassen. Ein paar der treffendsten Kommentare und Reaktionen haben wir hier für euch gesammelt:
Korollar: Jede Philosophie, jede Partei, die uneingeschränkten Egoismus will oder fördert, bringt uns dem Ende der Zivilisation näher.
— Im einstweiligen Unruhestand (@AlterPirat) August 8, 2022
Lesetipp: Peter Kropotkin verfasste im 19. Jhdt als Reaktion auf die sozialdarwinistische Verhunzung von Darwins Thesen das Buch „Gegenseitige Hilfe in der Tier- und Menschenwelt“, in dem es genau um die Bedeutung dieser Solidarität für die Entwicklung der Menschheit geht.
— Peter Kropotkin (@anarchismus_at) August 9, 2022
Ähnliches Verhalten wurde sogar schon bei Säbelzahntigern nachgewiesen und es zeigen sehr viele Herdentiere – auch Orcas zum Beispiel
— Birk Grüling (@birkgrueling) August 9, 2022
Im Nationalpark in Banff, Kanada, wurde ein Wolf angefahren. Er hatte sich das Becken gebrochen. Monatelang hat das Rudel für ihn Futter erbracht und wie für Welpen hochgewürgt. Sie wollten ihn nicht verlieren. Er konnte teilweise genesen und sich wieder anschließen.
— Michael Schmidt 💉💉💉💉 (@mschmidtxr1) August 9, 2022
Für solche Beiträge liebe ich Twitter. 🙏
— Marion Buerhop (@marion_buerhop) August 9, 2022
Vielen Dank für eure Aufmerksamkeit! Wie wäre es mit diesem Beitrag?