Thread: 24. Dezember 1979 – Meine Mutter war Krankenschwester und hatte Nachtdienst
Dieser Tage wird häufig darüber diskutiert, warum es vielen Menschen so schwerfällt, auf Weihnachten im großen Rahmen zu verzichten – auch wenn genau das in Anbetracht der Corona-Pandemie vernünftig und verantwortungsbewusst ist! Um eine Antwort zu finden, hilft es zu vermutlich, ein wenig in der Erinnerungskiste zu kramen. Denn der wahre Wert von Weihnachten liegt nicht in den Dingen, die zu diesem Anlass den Besitzer wechseln, sondern in den gemeinsamen Momenten, die wir an diesem Tag sammeln und die uns womöglich ein Leben lang begleiten. Mit etwas Glück können wir noch die Wärme fühlen, die uns als Kind beim Anblick des festlich geschmückten Baumes erfüllt hat. Vielleicht erinnert man sich an die gute Stimmung, die ganze Familie in einem Raum, besonderes Essen, Musik, Liebe.
Auch Traumwanderer denkt in diesen Tagen an das Weihnachten in seiner Kindheit. Nicht an die Geschenke, nicht an einen pompösen Christbaum oder eine überladene Festtafel. Sein Weihnachten als Neunjähriger fand im Krankenhaus statt, wo seine Mutter als Krankenschwester arbeitete. Der Thread über den 24. Dezember 1979 hat uns bewegt. Wir freuen uns, ihn mit euch teilen zu dürfen, und möchten uns bei dieser Gelegenheit bei den vielen Angestellten im Gesundheitswesen und ihren Familien bedanken!
24. Dezember 1979
Meine Mutter war Krankenschwester und hatte Nachtdienst, ich war 9 Jahre alt.
Wie vereinbart, kam um 22 Uhr ein Taxi.
Ich fuhr zum Grill und holte 8 halbe Hähnchen und Pommes, dann zum Krankenhaus. Mit dem Weihnachtsschmaus bin ich hoch auf Station 5.— Traumwanderer (@Traumwanderer) December 25, 2020
Im Schwesternzimmer war es ein wenig weihnachtlich dekoriert.
Es wurden der Pfleger und zwei Schwestern von Station 3 angerufen.Zusammen mit meiner Mutter, dem Pfleger und fünf Schwestern aßen wir unser Weihnachtshähnchen mit Pommes. Es wurde gelacht.
— Traumwanderer (@Traumwanderer) December 25, 2020
Wenn es auf einem der Patientenzimmer klingelte, stand jemand, wie selbstverständlich, auf und kam nach einigen Minuten wieder.
Auch wenn die drei von der 3 nach dem Essen wieder zurück auf ihre Station mussten, blieb ein Gemeinsamkeitsgefühl im Raum.
— Traumwanderer (@Traumwanderer) December 25, 2020
Reihum spielte ich mit denjenigen, die Zeit hatten, Mau-Mau.
Irgendwann gegen Mitternacht fragte mich eine Schwester, ob ich lernen möchte, wie man einen Druckverband anlegt.
Erst legte sie mir einen an, dann ich ihr.
Ich kann das heute noch.— Traumwanderer (@Traumwanderer) December 25, 2020
Wenn ich daran denke, wie es heute, im Jahr 2020 in Krankenhäusern auf Station aussieht, erscheint meine kleine Geschichte unwirklich, wie aus einer anderen Zeit.
Und es war eine andere Zeit.Eines aber ist geblieben: es sind dort Menschen für Menschen im Einsatz, Tag & Nacht.
— Traumwanderer (@Traumwanderer) December 25, 2020
Ihr lieben Krankenschwestern und Krankenpfleger, danke, dass ihr auch heute Nacht wieder Wache haltet und da seid, wenn ihr gebraucht werdet.
Ihr werdet immer meine Helden*innen bleiben.
Hoffe, ihr hattet heute etwas zu essen.
Noch mehr hoffe ich, dass es ruhig bleibt. <3— Traumwanderer (@Traumwanderer) December 25, 2020
Habe gerade mit Mama telefoniert.
Sie ist sehr gerührt, dass euch die Geschichte so gefällt.Dabei sagte sie, dass sie ein schlechtes Gewissen hatte mir gegenüber, Nachtdienst und dann noch an Weihnachten.
Liebe Grüße von ihr, ihr Herzmenschen. 💙— Traumwanderer (@Traumwanderer) December 25, 2020
Das sind die Erinnerungen anderer User:innen:
Danke für die Geschichte! Meine Mama war auch Krankenschwester, daher verbinde ich mit dem KH viele schöne Erinnerungen aus meiner Kindheit. Du hast mich gerade dorthin zurück versetzt und wie ganz eigen es dort in der Nacht ist… Frohe Weihnachten und liebe Grüße an die Mama!
— Emilie Schneider (@EmilieSchn8) December 25, 2020
Papa war Arzt und hat wöchentlich in Belegklinik operiert. Als Kind war ich ab und zu mit, wenn er zur Visite gefahren ist (keine infektiösen Patient:innen). Weihnachten mit kleinen Geschenken. Schöne Erinnerungen an das Bereitschaftszimmer, warmherzige und entspannte Fürsorge.
— Frau Bertha (@FrauBertha) December 26, 2020
Nachtdienst vor 4 Jahren war eins der schönsten Heilig Abende, die ich bis dahin je hatte.
Haben in unserer Pause in Erinnerungsbüchern unserer verstorbenen Patienten geguckt, uns erinnert, gelacht, getrauert und um Mitternacht kam die Seelsorgerin mit Präsenten..— Gurkengustel (@diegurkengustel) December 25, 2020
.. Für meine Kollegin und mich- total unangekündigt, wertschätzend, fürsorglich. Wir haben gelacht, waren von den Ideen und Feierlichkeiten der Familien auf Station berührt, haben diesen besonderen Abend gemeinsam so schön wie möglich gestaltet. Eine ganz berührende Nacht.
— Gurkengustel (@diegurkengustel) December 25, 2020