Manchmal muss man sich die Zeit einfach nehmen

Chris Schröder 26.03.2024, 15:41 Uhr

Glaubt es oder nicht. Menschen mit Trisomie 21 sind etwas ganz Besonderes. Ihre Präsenz ist eine Erinnerung daran, dass Schönheit und Wert nicht an Normen gebunden sind, sondern in der Vielfalt und Einzigartigkeit jedes einzelnen Menschen liegen. Die Bezeichnung Downsyndrom wird den Betroffenen eigentlich nicht gerecht. Es ist wichtig, ihnen mit Respekt, Mitgefühl und Empathie zu begegnen. Das kostet natürlich auch Zeit. Ihre Lebenserfahrungen mögen anders sein, aber ihre Fähigkeiten, Freuden und Bedürfnisse sind ebenso echt und bedeutungsvoll wie die unseren.

In ihrer Gesellschaft können wir eine Lektion in bedingungsloser Liebe lernen. Ihre Herzlichkeit ist ansteckend, ihre Freude an den einfachen Dingen des Lebens inspirierend. Es sind nämlich oft die kleinen Dinge, die sie zum Strahlen bringen – ein Lächeln, eine Umarmung, eine freundliche Geste. In einer Welt, die oft von Hektik und Stress geprägt ist, erinnern uns Menschen mit Trisomie 21 daran, den Moment zu schätzen und die Schönheit im Alltäglichen zu finden.

Ein respektvoller Umgang bedeutet auch, ihre Autonomie und Entscheidungsfreiheit zu respektieren, während man gleichzeitig Unterstützung und Hilfe anbietet, wenn sie gebraucht wird. Es ist wichtig, ihre Stimmen zu hören und ihre Bedürfnisse ernst zu nehmen. Das bedeutet ganz konkret, selbst in schwierigen Situationen nicht über ihren Kopf hinweg zu entscheiden, sondern sie vielmehr einzubeziehen und zu motivieren. Und ja, das kostet natürlich Zeit, die man sich nehmen muss. Aber jede Sekunde davon ist es wert. Die Twitteruserin @s_ketamin zeigt anhand eines Klinik-Beispiels, wie es geht. Da können wir alle noch etwas lernen.

Ich möchte euch - etwas zeitversetzt - von einem tollen Erlebnis auf der Arbeit erzählen.
Ein Mädchen mit Trisomie 21 benötigte ein MRT des Kopfes. Sie ist aufgrund diverser Vor-OPs sehr ängstlich was die Klinikumgebung anbetrifft. Von uns wünschte man sich eine Sedierung,
— Esketamin (@s_ketamin) March 14, 2024

da ihr 30 minütiges Stillhalten nicht möglich ist.
Meine Patientin kam mit ihren Eltern zum MRT spaziert und wirkte direkt sehr ängstlich aber interessiert.
Wir haben direkt einen Draht zu einander gehabt und erstmal ein bisschen gequatscht. Ich habe ihr das MRT, unser
— Esketamin (@s_ketamin) March 14, 2024

Narkosegerät usw gezeigt. Einen Zugang legen lassen wollte sie aber partout nicht. Da von Eltern als auch Radiologen Druck gemacht wurde, habe ich alle gebeten zu gehen.
Meine Patientin durfte mir dann eine Viggo legen (ohne Nadel natürlich) und verpflastern. Danach hatte sie
— Esketamin (@s_ketamin) March 14, 2024

Mut gefasst und ich durfte sie pieksen. Ihre Eltern waren ganz erstaunt, als sie ohne Geschrei zu hören stolz wie Bolle mit der Viggo zu ihnen kam.
Auf den MRT Tisch wollte sie nach wie vor nicht. Radiologie als auch Eltern waren spürbar ungeduldig, was sie natürlich sofort
— Esketamin (@s_ketamin) March 14, 2024

bemerkt hat und sich wütend auf den Boden setzte. Was machen wir jetzt? Na klar, dazu hocken und ne Runde mit schimpfen. Das fand sie so lustig, dass sie jetzt doch mal mit kommen wollte. Ich hab ihr alles vorgeturnt und sie durfte mich mit einer leeren Spritze einmal „schlafen
— Esketamin (@s_ketamin) March 14, 2024

legen“. Endlich war sie bereit und hat sich aufs MRT gesetzt. Ein bisschen Propofol später, konnten wir die Überwachung anbauen und die Untersuchung stressfrei durchführen.
Nach der Untersuchung, im Gespräch mit den Eltern, habe ich erfahren, dass sie bisher immer von mehreren
— Esketamin (@s_ketamin) March 14, 2024

Personen fixiert wurde.
Das ganze hat zwar 90 Minuten länger gedauert als geplant - aber meine Patientin war am Ende happy und wir mussten keine Gewalt anwenden und ich habe meinen ersten Fan.
Das sind die seltenen aber sehr schönen Momente in der Klinik, für die sich dieser
— Esketamin (@s_ketamin) March 14, 2024

Job lohnt. Leider ist nicht immer genug Zeit, allen Patienten gerecht zu werden - manchmal muss man sie sich einfach nehmen!
— Esketamin (@s_ketamin) March 14, 2024

Kommentare und Reaktionen:

So wird das gemacht! Einen so liebevollen und emphatischen Umgang wünscht man sich doch eigentlich mit allen Patientinnen und Patienten, oder? Zu schade, dass unser Gesundheitssystem dafür so wenig Spielraum lässt. Aber hören wir doch mal, was die Community dazu zu sagen hat.

This!

Einfach eine tolle Geschichte! Wir brauchen mehr Zeit dafür!
— Kleintierzoowärter 🔬🧫 (@KleinTierWart) March 15, 2024

Nicht alle Helden tragen Cape

Chapeau. 
Selbst nach 32 Jahren Anästhesie freue ich mich immer noch über solche Geschichten, und vor allem dass du diese Story trotz Druck so durchgezogen hast. Ganz großes Kino.
— ERNSTSSON - Helmut (@NieWiederIphone) March 14, 2024

Fallpauschalen abschaffen!

Genau das ist das, was mich (uA.) am Kliniksystem so sehr stört. Diese Erwartung, dass man so funktioniert, wie ein Zeitplan, alterstechnische Erwartungen oder die Laune des Gegenüber es vorgibt. So funktionieren Menschen aber einfach nicht! Schon gar nicht Neurodivergente.
— Katheterkarambolage (@Kathetbolage) March 14, 2024

Eingehen statt zwingen

Danke für deine Empathie. Ich würde dir mein besorgtes Kind sofort anvertrauen. Man ist tatsächlich oft die hysterische Mama aber es lohnt sich so sehr auf die Kinder einzugehen. Manchmal ist die Lösung „einfach“. Mein Kind nimmt sich zum Beispiel lieber selbst Blut ab
— Trannaxamsäure ☕️ (@AnnaHebamme) March 15, 2024

Sollte es

Toll gemacht! Hab's meinem Mann (auch Anästhesist) vorgelesen und er sagt, alles richtig gemacht. So sollte es immer laufen
— Honey (@HannaZs1) March 14, 2024

Viel Liebe dafür

Toll, danke dafür 🙏 Ich habe schon Patientys mit Intelligenzminderung nach solchen Gewalterfahrungen behandelt. Es hinterlässt immer Spuren! Und es macht so viel aus, wenn es anders läuft ❤️
— Felicitas Bergmann (@FBergmann_VT) March 14, 2024

Vielen Dank für eure Aufmerksamkeit! Schaut doch noch hier rein:

Mir ist ein Schauer über den Rücken gelaufen

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