Thread: Wenn man als Jüdin in Deutschland aufwächst …

Manuela Jungkind 28.03.2021, 15:30 Uhr

Am 9. Oktober 2019 belud der Rechtsextremist S. B. sein Auto mit Waffen und Sprengsätzen, fuhr zur Synagoge im Paulusviertel von Halle an der Saale und versuchte, dort einzudringen, um die im Inneren Versammelten zu töten. Nachdem er an der Tür scheiterte, erschoss er zwei zufällige Opfer und verletzte auf der Flucht zwei weitere Personen, bevor er verhaftet wurde. Der Anschlag von Halle am höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur ist ein zutiefst beschämendes Ereignis in einem Land, dessen jüdische Bevölkerung nach den Verbrechen des Nationalsozialismus besonderen Schutz genießen sollte. Und doch bildet er nur die Spitze des Eisbergs. Immer wieder liest man von Beschimpfungen oder Übergriffen auf Juden und Jüdinnen, von Menschen, die auf offener Straße bepöbelt und bespuckt werden, weil sie beispielsweise eine Kippa tragen. Nicht nur Synagogen, auch jüdische Schulen, Kindertagesstätten und Gemeindezentren werden hierzulande seit Jahren geschützt. Durch Poller, Sicherheitsschleusen oder gepanzerte Türen wie derjenigen, die den Attentäter von Halle aufhielt. Aber auch mittels Polizeischutz oder Security.

Doch wir müssen uns nicht nur die potentielle Gefahr eines versuchten Massenmords vor Augen führen, um uns darüber klar zu werden, dass jüdisches Leben in Deutschland ein anderes, gefährlicheres als das der nicht-jüdischen Menschen ist. Rassismus, Rechtsextremismus oder Antisemitismus beginnen im Kleinen. In Kommentaren, denen nicht widersprochen wird. In Scherzen, die ohne Einwand akzeptiert werden. In Äußerungen, die entschuldigend abgewunken werden. Sie nähren sich von Tabus, die immer wieder gebrochen werden. Twitteruserin @morphany ist Jüdin und erlebt diese Tabubrüche – im Alltag wie auch auf Twitter. Sie hat kein Verständnis für Menschen, die diese Tabubrüche begehen und diejenigen, die sie akzeptieren. Dies ist ihr Thread:

Viele User:innen reagierten mit Bestürzung auf den emotionalen Thread und stimmen völlig zu, dass Antisemitismus in diesem Land (und auch auf Twitter) kein Forum finden sollte. Wir haben wie üblich die treffendsten Kommentare für euch herausgesucht:


Insbesondere bei letzterem Wunsch können wir als Twitterperlen-Redaktion uns nur anschließen. Entrüstung alleine reicht nicht, wir müssen uns auch klarmachen, dass genau dieses Ziel nur dann erreicht werden kann, wenn unsere Gesellschaft jeglichem Keim von Antisemitismus oder anderen rassistischen Ausprägungen die Stirn bietet. Ja, es erfordert Überwindung, Freunde, Kolleginnen oder Familienmitglieder darauf aufmerksam zu machen, dass ein antisemitischer Kommentar oder Scherz völlig inakzeptabel ist. Doch genau dieser Widerstand kann die Tür sein, die den nächsten antisemitischen Mord verhindert. Erinnern wir uns an Jana Lange und Kevin Schwarze, die Opfer des Mörders von Halle: Rassismus tötet. Rechtsextremismus tötet. Antisemitismus tötet.

Übrigens, wer herausfinden möchte, ob er oder sie zu Rassismus neigt, kann mit wenigen Minuten Aufwand auf der Seite des Bundesministeriums für Familie einen anerkannten Test der Harvard University durchführen.

Thread: Ich fand die Aufzeichnungen eines Jungen, der am 9. November 1938 auf dem Weg zur Schule war. Dieser Junge war mein Opa!

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