Heutzutage sind die meisten Einkäufe nur einen Klick entfernt. Obwohl alles viel schneller geht als früher, ist das Einkaufserlebnis alles andere als perfekt. Mal abgesehen vom tagelangen Rezensionen-Studieren oder Unboxing- und Review-Videos-Schauen, wird man im Internet ja allein schon von der Fülle der Angebote erschlagen. Doch das war nicht immer so. Erinnert sich noch jemand, wie es vor dem Zeitalter des Onlineshoppings war einzukaufen? Mit Freunden und Bekannten über Erfahrungswerte sprechen, Zeitschriften und Kataloge wälzen. Verkaufsstellen abtelefonieren, mehrere Filialen ansteuern, Preise vergleichen, sich vom Fachpersonal beraten lassen und schließlich einen Kaufvertrag abschließen, mit dem man einen Warenbegleit- oder Abholschein bekam, mit dem man an der Warenausgabe sein Wunschobjekt abholen konnte. Nun, ganz vorbei ist dieses Steinzeitalter des Konsums noch nicht, denn in einigen Branchen werden Verkäufe anscheinend immer noch wie in den späten 90er-Jahren mit Nadeldruckern und Blaupapierdurchschlag abgewickelt. Darunter befindet sich auch ein ziemlich bekanntes deutsches Möbelhaus, in welchem der Twitteruser @ENGERT kürzlich shoppen war. Was folgt, ist ein Kabinettstückchen aus deutscher Bürokratie und Spießbürgertum, das sich Loriot nicht hätte besser ausdenken können. Aber lest am besten selbst.
Kürzlich wollte ich einen Tisch in einem Möbelhaus kaufen, ganz oldschool, und dann ist das Absurdeste passiert, was ich seit langem erlebt habe. Es hat zwei Stunden, fünf Angestellte und 19(!) Stück Papier gebraucht, und ist ein Lehrstück für the Power of Qualitätsmanagement:🧵
— Marcus Engert (@ENGERT) July 18, 2022
Los geht’s online. Ich finde den Tisch. Warenverfügbarkeit im Möbelhaus: Grün. Kann direkt mitgenommen werden. Also hin, anschauen und wenn hübsch, kaufen. Denkt man.
Erster Fehler: Nur weil der Tisch da ist, kann man ihn als Kunde noch lange nicht anschauen. Wo denken Sie hin?
— Marcus Engert (@ENGERT) July 18, 2022
Immerhin erfährt man von Mitarbeitenden, nachdem die sich minutenlang durch eine MS-DOS-Oberfläche tastaturhacken: Er ist im Lager. Man kann ihn hier aber erstmal nur bestellen. Unten an der Kasse muss ihn dann bezahlen. Und 20-30 Minuten später an der Warenausgabe abholen.
— Marcus Engert (@ENGERT) July 18, 2022
Gesagt, fast getan. Denn jeder dieser drei Schritte benötigt irgendwelches Durchschlagpapier, das aus Nadeldruckern(!) kommt, mit drei(!) Durchschlägen. Wie viele Stunden die Menschen in dieser Firma damit beschäftigt sind, Perforation vom Endlospapier links & rechts abzureissen!
— Marcus Engert (@ENGERT) July 18, 2022
An der Warenausgabe Verwunderung: Das Paket ist größer als gedacht. Engel links: Fahr los, was soll schon sein. Teufel rechts: Mach auf, guck rein.
Es ist der falsche Tisch.
Kasse: Gehen Sie zur Warenausgabe. Warenausgabe: Formular, drei Durchschläge, gehen Sie zur Abteilung.
— Marcus Engert (@ENGERT) July 18, 2022
In der Abteilung: richtigen Tisch finden (Tastaturhacken, MS-DOS, Nadeldrucker), drei Durchschläge, Abriss, gehen Sie zum Kundenservice.
Kundenservice: Mitarbeiterin zieht aus einer Schublade, ihr könnt’s euch denken, ein Formular. Drei Durchschläge, Abriss, gehen Sie zur Kasse.
— Marcus Engert (@ENGERT) July 18, 2022
Von dort wieder zur Warenausgabe, halbe Stunde warten und schon ist der richtige Tisch da.
Und wenn ihr euch jetzt fragt, wie man einfach zwei Tische verwechseln kann: Prepare yourself for the magic of Warenwirtschaftssysteme.
— Marcus Engert (@ENGERT) July 18, 2022
Es gibt dort ZWEI Tische im System. Sie haben EXAKT den gleichen Namen. Sie haben EXAKT den gleichen Preis. Ihre Deckplatte hat das GLEICHE Holz. Und ihre Gestelle nicht nur ebenfalls das gleiche (andere) Holz, sondern auch die GLEICHE Farbe.
— Marcus Engert (@ENGERT) July 18, 2022
Und das kann niemandem auffallen, weil man während des gesamten Bestell-Kauf-Prozesses niemals ein Bild sieht, sondern immer nur MS-DOS-Oberflächen und Nadeldrucker-Endlospapier.
Das Wahnsinnige ist ja nun aber:
— Marcus Engert (@ENGERT) July 18, 2022
In diesem ganzen Riesen-Laden mit all seinen Nadeldruckern und Durchschlägen und Abteilungen kommt niemand auf die Idee, zu sagen: Mh, das ist aber eine Stolperfalle, lass einen Tisch anders nennen. Oder: Lass einen von beiden 1 Euro teurer machen, damit die sich unterscheiden.
— Marcus Engert (@ENGERT) July 18, 2022
Nix. Man lässt die Leute einfach in die Situation rennen und mit Pech merkst du das halt erst zuhause…
Es war jedenfalls wirklich wie bei Asterix im „Haus das Verrückte macht“ und dem Passierschein A38.
And now: Behold the mighty german Möbelhausbürokratie für EINEN Tisch ->
— Marcus Engert (@ENGERT) July 18, 2022
Gut, liebe Community, für so viel heilsamen Zuspruch gibt’s noch ein Schmankerl:
— Marcus Engert (@ENGERT) July 18, 2022
Das sagen andere User:
Uff! Da bekommt man direkt Lust, dort einzukaufen, oder? *Ironie off* Warum man an diesem umständlichen Verfahren noch festhält, während der analoge Handel immer weiter ausstirbt, bleibt das Geheimnis der Geschäftsführung. Aber werfen wir doch mal einen Blick in die Kommentarspalte und schauen uns an, was die Leserinnen und Leser dazu zu sagen hatten.
Wollte in einem großen Möbelhaus 6 Esszimmerstühle kaufen. Lieferung +100€ oder Abholung in anderer Filiale 8 Wochen später & 80 Km entfernt.
Habe dann die Stühle online beim selben Möbelhaus für 5€ Versand bestellt. Lieferzeit 4 Tage.
— gunnar (@Gunster) June 6, 2022
DAS hätte in Aktion treten müssen, hätte er erst zu Hause entdeckt, dass es der falsche Tisch war!
— Christian Bohnenkamp 🇪🇺 💉💉💉 (@BHNNKMP) July 18, 2022
Bloß, dass das meist kein MS-DOS ist, sondern OS/400 mit Terminals. Und es hat durchaus Gründe, dass es häufig noch für Warenwirtschaften eingesetzt wird.
— Mattias Schlenker (@mschlenker) July 18, 2022
Dein Tweet wird gerade in achtfacher Ausfertigung auf einem Nadeldrucker ausgegeben und morgen dem Marketingchef ins Home Office gefaxt. 😂
— Beluga – It’s still the climate, stupid! (@aguleB) July 18, 2022
Leute, ich sag‘s immer wieder: kommt zur Tischlerei (wir können Mail und PDF), bauen wir dir den Traumtisch exakt nach Maß und stellen ihn hin.
Kostet ein bisschen mehr, aber es ist dann dein individueller Tisch, den du noch vererben kannst.
(Schleeeichwerbung: @CabinetGmbh 😁
— Ricardo Cristof Remmert-Fontes (@rcristofrf) July 18, 2022
Ja, ich auch.
— Stefan Niggemeier (@niggi) July 18, 2022
Aber dann müsste irgendjemand die Logik aus der AS/400 neu programmieren. Und alle Kolleg:innen müssten neu geschult werden.
— Oskar Kurz (@geblitzdingst) July 18, 2022
Vielen Dank für eure Aufmerksamkeit! Wahnsinnig geht es auch hier weiter: