Thread: Ich hatte Tränen in den Augen
Erinnert ihr euch noch an eure eigene Schulzeit zurück? Was bei den einen wohlige Gedanken hervorruft, sorgt bei anderen für Schaudern. Nicht wenige werden mit Schrecken an diverse Fächer oder Lehrkräfte zurückdenken. An die Angst, mal wieder eine schlechte Note zu kassieren oder beim Vorrechnen im Matheunterricht zu scheitern. Leider sind unser Bildungssystem und die darin enthaltenen Lehrpläne auch heute noch viel zu sehr auf Geschwindigkeit und Effizienz getrimmt. Möglichst schnell den Abschluss machen, um dann aber bitte zügig dem Arbeitsmarkt zur Verfügung zu stehen. Teils viel zu große Klassen sorgen zusätzlich dafür, dass einzelne Schülerinnen und Schüler auf der Strecke bleiben. Kinder und Jugendliche, die für gewisse Dinge und Entwicklungen einfach mehr Zeit benötigen als andere. Die dadurch aber gewiss nicht „schlechter“ oder gar dümmer sind als andere. Es fehlt den Lehrkräften häufig schlicht an Zeit und Möglichkeiten, sich ausführlich den Belangen und Problemen einzelner Schülerinnen oder Schüler zu widmen – schließlich müssten wir laut Lehrplan schon viel weiter sein. Der Lehrer @cubeiscube berichtet nun von einer tollen Begegnung und ganz wunderbaren Geschichte, die so hoffentlich noch viel öfter passiert!
Ich hatte heute Besuch von einem meiner ehemaligen Schüler. Er war in Klasse 6 das erste mal bei mir (ich sein Klassenlehrer) – er war damals sehr durcheinander, konnte nicht wirklich dem Unterricht folgen, tat sich schwer, war nicht bei der Sache. /1
— ǝqnɔ ɥʇɹɐp 🇺🇦☮️ | Thor (@cubeiscube) May 9, 2022
Viele Kollegen meinten damals: Puh, der wird es echt mal schwer haben!
Ich aber glaubte immer an ihn.
Bis Ende Klasse 8 hatte ich echt ein paar Schwierigkeiten mit ihm (lerntechnisch, nicht verhaltenstechnisch), kam nicht immer bei ihm durch. /2
— ǝqnɔ ɥʇɹɐp 🇺🇦☮️ | Thor (@cubeiscube) May 9, 2022
Er machte dann in der 9. Klasse einen Schub, hatte Lust, ein klares Ziel vor Augen – und da ging es mit ihm ab. Er machte einen einigermaßen guten Hauptschulabschluss.
Danach kam direkt ein richtig guter Werkrealschulabschluss, mit dem er auf ein berufliches Gymnasium durfte. /3
— ǝqnɔ ɥʇɹɐp 🇺🇦☮️ | Thor (@cubeiscube) May 9, 2022
Jetzt hat er seine schriftlichen Abitursprüfungen geschrieben – und wird aufgrund seiner vorherigen Leistungen einen Schnitt besser als 1,0 hinbekommen – er möchte Medizin studieren.
Heute stand er vor mir und sagte, dass er froh ist, dass ich immer an ihn glaubte! /4
— ǝqnɔ ɥʇɹɐp 🇺🇦☮️ | Thor (@cubeiscube) May 9, 2022
Ganz ehrlich: ich hatte Tränen in den Augen – vor Freude für ihn (und seine Freundin, die es fast exakt so gemacht hat, auf die bin ich selbstverständlich genauso stolz (sie sagt aber, sie hatte es leichter))
Bitte: traut den Kids immer was zu – die sind einfach toll!
— ǝqnɔ ɥʇɹɐp 🇺🇦☮️ | Thor (@cubeiscube) May 9, 2022
Leider rutschen vermutlich viel zu viele Schülerinnen und Schüler durch das Raster
Viel zu groß. Ich hab hier leider auch schon Existenzen krachend zu Grunde gehen sehen – ich hab ja nie alle Kids, manche sind bei anderen Kollegen (ich hab viele tolle Kollegen, nur manche sehen das Potential der Kinder nicht so)
— ǝqnɔ ɥʇɹɐp 🇺🇦☮️ | Thor (@cubeiscube) May 10, 2022
Ein herzliches Dankeschön dafür
Wie schön 🤩 ein Glück, dass er und sie so einen tollen umsichtigen Lehrer, wie Dich hatten! Glaub bei vielen gibt es schlummerndes Potenzial, was aber leider in dem System (wo es nicht immer am LuL liegt) untergeht. Super sowas auch mal zu lesen.
— SAN 🌍 #FreeLina 🦘🤜🤛🏾 (@sanice77) May 10, 2022
Schön.
Vor allem auch wenn man weiß, wie wenig Zeit zur Entfaltung unser selektierendes Bildungssystem denen läßt, die Zeit zur Entfaltung brauchen. Individuelle Förderung sollte eigentlich Goldstandard des Bildungssystems sein und nicht das Glück dieses Schülers, Sie zu treffen.— Hirndummy 😷 (@hirndummy) May 10, 2022
Ganz stark
steht auf 4,5 – gib ihm die 4, das ist wichtig.
K1 hat als Jahrgangsbester 2021 seine Ausbildung abgeschlossen.
— Hippe Tante (@Hippietante11) May 10, 2022
Es ist selten einfach
Es passiert auch so viel neben der Schule in dem Lebensabschnitt. Der Lehrplan galopiert weiter, und lässt den ein oder anderen zurück. Um dies nachzuholen benötigt man dann umso mehr Zeit. Nicht entmutigen lassen, alles ist möglich!
— Repentless (@MeRepentless) May 10, 2022
Wenn der Glaube Berge versetzt
Danke! Das ist so wichtig! Kinder brauchen nicht noch Frust dazu, wenn es nicht klappt wie gewünscht. Meiner macht jetzt auch Abitur und hat sich früher wegen ADHS schwergetan. Will jetzt Bauingenieur werden. So wichtig, dass jemand an einen glaubt!
— Libertė B. (@liberte_b) May 10, 2022
Toller Lehrer! Mein Mann besucht auch seine Lehrerin, über 90 Jahre alt, die ihn sehr unterstützte. Er hat ein leichtes Asperger-Syndrom. Durfte auch nach Hauptschulabschluss und bestandener Ausbildung VWL studieren und hat lange als Buchhalter eine Finanzabteilung geleitet.
— 🕊🐝Plastik Müll 🇧🇪 🇺🇦 🚴♀️ (@MeichsnerR) May 10, 2022
Vielen Dank an die zahlreichen engagierten Lehrkräfte im Land, das hier ist für euch: