Thread: Ich habe die Hölle gesehen
Srebrenica ist eine Stadt im Osten von Bosnien und Herzegowina in der Nähe der serbischen Grenze. Wenn euch der Name bekannt vorkommt, so ist das kein Wunder. Das dortige Massaker während des Bosnienkrieges (1992-1995) gilt als das schlimmste Kriegsverbrechen in Europa seit 1945. In nur vier Tagen wurden dort über 8.000 Männer und Jungen ermordet. Nach Ausbruch des Bürgerkrieges wurde Srebrenica zur UNO-Sicherheitszone erklärt und damit Zufluchtsstätte für tausende muslimische Bosnier. Die 350 dort stationierten UN-Soldaten schafften es aber am Ende nicht, den Schutz der Zivilisten sicherzustellen, als Karadžić (der Ehemalige Präsident der ‚Republika Srpska‘ und später verurteilter Kriegsverbrecher) die Stadt und das umlegende Gebiet einnehmen ließ. Dort befanden sich zu diesem Zeitpunkt schätzungsweise 36.000 Flüchtlinge und 6.000 weitere Zivilisten. Tausende von ihnen versuchten, durch die Wälder in die bosnisch-muslimisch kontrollierten Gebiete zu entkommen, um dem Genozid oder den Gefechten zu entgehen.
@Selma_Jahic_ hat die Auswirkungen des Bosnienkrieges am eigenen Leib miterlebt und diesen ergreifenden Thread geschrieben. Ein Zeitzeugenbericht, den jeder gelesen haben sollte. Besonders diejenigen, die sich offen gegen Flüchtlinge in Europa aussprechen. Das Thema ist brandaktuell.
Ich hab die Hölle gesehen, die durch Menschenhand hervorgerufen wurde.Eine Hölle in der ein Nachbar seinen Nachbar tötet,weil er seine Familie vor dem Hungertod retten will. Ich hab gesehen,wozu Menschen imstande sind, wenn sie keinen Ausweg mehr sehen. Ich wünsche das niemandem.
— Selma Jahic (@Selma_Jahic_) February 15, 2021
Während einer der größten Hungersnöte in Srebrenica, ist meine Mutter mit einigen Nachbarn aus dem Dorf plündern gegangen. Ich kann mich noch gut an diesen Abend erinnern. Sie hat uns geküsst und gedrückt, als ob sie uns nie wieder sehen würde. Es war Winter.
— Selma Jahic (@Selma_Jahic_) February 15, 2021
Sie ging in die Nacht um Essen zu suchen. Sie sind in ein verlassenes Nachbardorf gegangen. Die Häuser waren alle verlassen und in guten Zustand. Leider war kein Essen zu finden. Einer der Männer hat gehört, dass die NATO in der nähe Hilfspakete abgeworfen hatte.
— Selma Jahic (@Selma_Jahic_) February 15, 2021
Auf einem freien Feld stand eine Palette mit Hilfsgütern. Natürlich wollte sich jeder was nehmen. Aufeinmal zog einer der Männer seine eine Waffe. Er fing an zu drohen. Jeder wird getötet der sich der Palette nähert. Ein Mann hat ihm nicht geglaubt und griff nach einem Paket.
— Selma Jahic (@Selma_Jahic_) February 15, 2021
Ein Schuss fiel. Der Mann lag mit Paket in der Hand tot am Boden. Meine Mutter kehrte ohne Essen nach Hause, dafür aber mit ihrem Leben. Als es wärmer wurde, verließen wir unser Dorf öfters und gingen nach Srebrenica um dort mach Nahrung zu suchen.
— Selma Jahic (@Selma_Jahic_) February 15, 2021
Wir mussetn aber zuerst eine bleibe finden. Die Stadt war überfüllt, nachdem sie zu Schutzzone erklärt wurde. Menschen schliefen mit ihren Habseligkeiten auf der Strasse. Es stank überall nach Fekalien und Urin. Die Gebäude waren großteils zerstört.
— Selma Jahic (@Selma_Jahic_) February 15, 2021
Die Menschen bettelten auf der Strasse, um etwas zu essen. Sie waren fast alle krank. Fast jeder hatte die Ketze, uns inkludiert. Wunden wollten nicht heilen. Mir fielen die Fingernägel ab.
Wir haben dann unterschlupf in einem demolierten Gebäude gesucht. Wurden aber vertrieben.— Selma Jahic (@Selma_Jahic_) February 15, 2021
Später haben wir verucht mit meiner Tante, ihren Kindern, meiner Oma und meinem Onkel irgendwo eine Bleibe zu finden. Wir fanden dann im Zentrum von Srebrenica ein Gebäude, wo wir ein zimmer beziehen konnten. Die Fenster und die Tür fehlte. Es stank dazu widerlich.
— Selma Jahic (@Selma_Jahic_) February 15, 2021
Wir blieben trotzdem für einpaar Tage. An einem dieser Tage gab es eine große Kleiderspendenlieferung im Zentrum der Stadt. Meine Mutter ging raus um uns einpaar Sachen zu schnappen. Die Kleidung wurde in einem verlassenen Bekleidungsgeschäft abgeladen.
— Selma Jahic (@Selma_Jahic_) February 15, 2021
Die Menschen sind reingestürmt und haben alles auseinander genommen. Sie haben sich die Kleidgsstücke förmlich aus den Händen gerissen. Meine Mutter wurde die Stufen runter gestoßen und hat ihre eigenen Schuhe verloren. Sie wäre beinahe zu Tode getrammpelt worden.
— Selma Jahic (@Selma_Jahic_) February 15, 2021
Sie kam wieder mit leeren Händen zurück.Kurz darauf wurden wir auch aus dieser Bleibe vertrieben,weil wir keine Möglichkeit hatten uns zu wehren.Meine Tante hat dann ein Zimmer in einem verlassenen Hotel gefunden.Wir haben uns das Zimmer mit der Schwägerin meiner Tante geteilt.
— Selma Jahic (@Selma_Jahic_) February 15, 2021
Hier bestand auch immer die Gefahr, dass man uns vertreibt. Meisten haben uns die Ehemänner von anderen Familien vertrieben. Wir waren denen Körperlich unterlegen. Jeder schaute nur auf sich und seine Familie. Es herrschte das Recht des Stärkeren. Wir waren zu schwach.
— Selma Jahic (@Selma_Jahic_) February 15, 2021
Wir waren mehr als 10 Personen auf ca. 20m². Geschlafen haben wir wie in einer Sardinienbüchse. Auf die Toilette gehn in der Nacht war immer ein Abenteuer. Man konnte nicht vermeiden auf jemanden zu treten. Wir hatten keinen Strom und kein fließendes Wasser.
— Selma Jahic (@Selma_Jahic_) February 15, 2021
Das WC war der erste unbewohnte raum, den du finden konntest. Man konnte sich nirgends wirklich waschen und sowas wie Seife gab es kaum.
Meine Mutter, Bruder und ich sind nach einiger Zeit wieder in unser Dorf zurück, als die Gefächte sich etwas gelegt haben.— Selma Jahic (@Selma_Jahic_) February 15, 2021
Sobald aber die Gefächte wieder los gingen, sind wir wieder nach Srebrenica geflohen. So haben wir die meiste Zeit des Krieges verbracht. Wenn Schüsse fielen, Schuhe in die Hand und laufen. Wir kannten den Weg auswendig, auch ohne meine Mutter. Für sie war das sehr wichtig.
— Selma Jahic (@Selma_Jahic_) February 15, 2021
Wir sollten nie nach ihr schauen oder suchen, sondern einfach laufen so schnell wie möglich. Bis wir aus der Schusslinie waren.
Da gab es immer einen Treffpunkt, wo wir gewartet haben. Danach ging es 3 Stunden lang zu Fuß über steinige Hügel nach Srebrenica.— Selma Jahic (@Selma_Jahic_) February 15, 2021
Wenn ich mich so zurück erinnere, kann ich manchmal nicht glauben, was Menschen alles durchmachen müssen und wieviel die menschliche Psyche ertragen kann.
Deswegen setze ich mich so sehr für Flüchtlinge ein. Ich weiß wie es ihnen geht. Ihre Geschichte, ist meine Geschichte.— Selma Jahic (@Selma_Jahic_) February 15, 2021
Ich will nicht in einem Europa leben, wo Flüchtlinge unter den gleichen unmenschlichen Bedingungen leben müssen, wie wir während eines Krieges. Das muss ein Ende haben. #KaraTepe
— Selma Jahic (@Selma_Jahic_) February 15, 2021