Thread: Der Urlaub ist fast vorbei
1900 Krankenhäuser gibt es in Deutschland. Pro Jahr versorgen sie etwa 17 Millionen Patient*innen. In der Intensivmedizin muss jeder Handgriff sitzen. Minuten, ja sogar Sekunden entscheiden über Leben und Tod. Jeder Fehler könnte der alles entscheidende sein, der den Patienten oder die Patientin das Leben kostet und das Schicksal einer Familie für immer verändert. Darin besteht der Unterschied zu einem normalen Job, manche Fehler lassen sich eben nicht mehr korrigieren. Der Druck auf das medizinische Fachpersonal ist dementsprechend enorm. Umso unverständlicher ist es, dass die Politik gerade in der Medizin gerne den Rotstift ansetzt und die Kliniken zum Sparen zwingt. Die Folge sind Überstunden, überlastetes Personal und natürlich Fachkräftemangel. Es wird mal wieder Zeit, sich in Erinnerung zu rufen, was in den Krankenhäusern eigentlich geleistet wird. Der Twitteruser @Lam3th berichtet in dem nun folgenden Thread von seiner Arbeit und über eine Patientengeschichte, die sowohl wir als auch er nicht so schnell vergessen werden. Aber lest selbst.
Der Urlaub ist fast vorbei und die Gedanken kehren zurück in die Klinik. Einer meiner letzten Dienste ist mir gut in Erinnerung geblieben. Ein Patient hatte angefangen in den Herzbeutel zu bluten. Obwohl die diensthabende Kollegin das früh erkannt und reagiert hatte, ging es
— Lämêth (@Lam3th) September 3, 2022
rapide bergab. Sie hatte mich informiert und auf ihre Fähigkeiten vertrauend, hatte ich OP Alarm ausgelöst, bevor ich selber die Diagnose gesicht hatte. Als ich eintraf, war der Patient schon auf halb auf dem Weg in den OP. Auf dem Gang der ITS rief der Kollege aus der Anästhese:
— Lämêth (@Lam3th) September 3, 2022
„Ich kann ihn nicht halten. Jemand muss drücken.“ Ohne zu zögern, stieg der Pfleger von der ITS auf die Laffette des OP Tisches und fing das Reanimieren an. Aus dem zügigem Gang, wurde ein Laufen. Zum Glück war der OP Saal durch die OP Pflege vorbereitet.
Unter Drücken in den— Lämêth (@Lam3th) September 3, 2022
Saal.
„Wasch dich ein.“ Rufe ich der Assistenzärztin zu. „Los. Schnell, lagern.“ Der Anästhesiepflege löst den ITS Pfleger ab, der aber dabei bleibt. Zusätzliche Hände sind gut in der Situation. Ein banger Blick zum Monitor. Die Reantimation ist momentan noch erfolgreich. Die— Lämêth (@Lam3th) September 3, 2022
Frage wie lange? Wenn sich der Herzbeutel mit Blut füllt, ist das Herz so an seiner Arbeit gehindert, dass sogar die mechanische Reanimation manchmal nicht funktiniert. Die Kollegen der Anästhesie rotieren. Extrem kurzes Einwaschen. Notfall schlägt Hygiene.
„Und?“ Frage ich den— Lämêth (@Lam3th) September 3, 2022
Anästhesisten. „Eigentlich drucklos. Du musst aufmachen.“
„Wir waschen unter Reanimation ab. Du übernimmst, das Drücken, während ich abwasche. Auf 3 Pause.“
„1, 2, 3“ Die Reanimation stoppt. Sofort drucklos. Ich wasche den Brustkorb ab. „Du machst weiter.“ Die Kollegin übernimmt— Lämêth (@Lam3th) September 3, 2022
steril angezogen die Reanimation. „29…30…“ sie stoppt. Erneut kein druck. Schnell abwaschen. „Weiter. Das muss reichen.“ Notfall schlägt Hygiene. Wir decken steril das OP-Feld ab.
„Messer!! Gebt Sauger ab! Ich mache das alleine.“
Ich setzte den Skalpell an. Anstatt des— Lämêth (@Lam3th) September 3, 2022
normalen Hautschnittes drücke ich das Messer auf auf den Knochen auf das Brustbein. Anders als Haut, geben die Nähte, die ich durchtrenne leicht nach. Es drückt sich das Blut uns schon entgegen. „Saugen! Drahtscheere. Nein. Sie. Ich bekomme Drahtnadelhalter.“
Wir reanimieren— Lämêth (@Lam3th) September 3, 2022
gerade nicht. Der Patient ist durcklos. Die Zeit für das Gehirn läuft. Das Adrenalin pulsiert durch meine Adern. Äußerlich bin ich relativ ruhig. Ich schreie nicht. Es sind deutiche, kurze Anweisungen. Die Drähte fliegen raus. Ich lasse sie auf den Boden fallen. „Hände weg! Sonst
— Lämêth (@Lam3th) September 3, 2022
steche ich euch mit dem Draht.“
Der letzte Draht. „Achtung. Der Brustkorb geht auf!!“ Das gilt der Anästhesie. Ich glaube – oder ich hoffe – das reicht um den Patienten zu stabilisieren. „Saugen!!“ Unnötige Anweisung. Sie saugt schon. Blut kommt uns entgegen. Viel Blut.
„Beine— Lämêth (@Lam3th) September 3, 2022
hoch.“
„Druck kommt nur zögerlich.“ Die Rückmeldung der Anästhesie. „Shit.“ Ich umgreife das Herz blind. Es fühlt sich leer an und schlaff. Fuck. Sind wir zu spät? Ich reanimiere direkt am Herzen. Die Anästhesie transfundiert. Gibt Medikamente. Der Kardiotechniker bereitet das— Lämêth (@Lam3th) September 3, 2022
abgesaugte Blut auf um es dem Patienten zu geben. „Er hat wieder Druck. Mach weiter!“ Ist die Rückmeldung von der Anästhesie. Ich kann es zwar auf dem Monitor selber sehen, aber das ist egal. Langsam erreichen wir einen Druck, der überlebbar ist. Ich lasse das Herz los, ohne mein
— Lämêth (@Lam3th) September 3, 2022
Hand wegzunehmen. Der Patient hält den Druck. Ich warte. Kurz. Es ist OK. Frisches Blut kommt uns entgegen. Es blutet. Nicht zu knapp. „Saugen. Nein. Gib her.“ Nicht, dass meine Assistentin irgendwas falsch macht, aber ich muss die Blutung finden. „Hast du es?“ Ungeduldige
— Lämêth (@Lam3th) September 3, 2022
Nachfrage der Anästhesie. Mein Gehirn kann keine Antwort fomulieren. „Klemme.“
„Welche?“
„Egal. Gib was zu klemmen. Los.“
„Passt das?“ Ich bekomme ein Instrument in die Hand. Nein eigentlich nicht. Aber ich kann es nicht sagen. Die Worte würden zu viel Konzentration kosten. Es— Lämêth (@Lam3th) September 3, 2022
ist mir nicht möglich zu erklären was ich genau brauche. Kurze Rückkopplung in meinem Kopf. Irgendwie kriege ich das schon geklemmt. So? Nein, es blutet. Shit. „Sauger weg!“ „Der Druck wird schlechter!“ Ich brauche die Rückmeldung nicht. Wirklich nicht. Ich weiß schon, dass der
— Lämêth (@Lam3th) September 3, 2022
Patient gleich tot ist. Sitzt. Ich atme auf. Laut. Ein erleichtertes Stöhnen. Jetzt merke ich den Schweiß unter dem Kittel. „Blutung steht. Kriegt ihr ihn stabil?“
„Ja, jetzt wirdˋs gehen.“
„Ok. Ich brauche mehrere 3/0 Nähte. Erste ohne Filz. Die danach mit. Mach mehrere fertig.— Lämêth (@Lam3th) September 3, 2022
Das kriege ich nicht mit einem Stich.“ Die Anweisung gilt dem Instumentierendem. „Ach ja, gib mit eine Sartinsky-Klemme.“ Ich klemme um. „Bitte halten“ Sage ich der Kollegin mir gegenüber. Sie hat noch kein Wort gesagt. Etwas Schockstarre. Ich steche. „Klemme weg.“ Es blutet
— Lämêth (@Lam3th) September 3, 2022
wieder. Nicht mehr so katastrophal wie eben. Aber gefährlich viel. Ich knote. Banger Blick auf den Monitor verrrät, dass alles stabil bleibt. Für den Moment. „Die nächste Naht.“ Meine Stimme ist ungeduldig. Ich bin nervös. Ich bekomme keine Naht. „Noch eine Naht“ Nachdruck. Keine
— Lämêth (@Lam3th) September 3, 2022
Reaktion. Mein Blick ist fixiert auf die Blutung und meine Pinzette mit der ich den blutenden Vorhof halte. Ich kann und will nicht wegschauen. Sonst blutet es mehr. „Ich habe die Naht nicht.“ Sagt der Pfleger. Ich bin voller Adrenalin. Vorhin habe ich es gesagt. Die Wut steigt
— Lämêth (@Lam3th) September 3, 2022
in mir auf. Der Patient ist so grenzwertig. Es muss alles funktionieren. Es kostet mich unendlich viel Kraft, die Wut zu unterdrücken. Es ist das Adrenalin in meinen Adern. Es gibt gar keinen Grund rot zu sehen. Ich weiß das. Ich sage nichts. Beiße die Zähne zusammen. Endlich
— Lämêth (@Lam3th) September 3, 2022
kommt die Naht. Jetzt steht es. „Lass dir bitte noch eine geben.“.
Wir suchen nach weiteren Blutungen. Es gibt keine. Der Patient stabilisiert sich. Meine Gedanken nicht. Hat es gereicht? Ist das Gehirn OK? Wie lange war er drucklos? Stabilisert er sich weiter? Habe ich was— Lämêth (@Lam3th) September 3, 2022
übersehen? Blutet es irgendwo noch?
Der Brustkorb geht zu und der Patient kehrt zurück. Deutlich langsamer als der hinweg. Alle sind müde. Der Rasch der Stresshormone verschwindet bei mir. Die Müdigkeit kickt. Ich warte noch etwas auf der Intensiv. Es sieht gut aus. Nun muss ich— Lämêth (@Lam3th) September 3, 2022
die Angehörigen informieren. Zum Glück muss ich nichts schlimmes sagen. Aber ich bin nur vorsichtig optimistisch. Ich bin etwas nervös, was sein wird. Am Telefon weint seine Frau. „Ich denke schon, dass alles gut sein wird.“ sage ich und versuche so zuversichtlich wie ich kann zu
— Lämêth (@Lam3th) September 3, 2022
klingen. Für sie. Oder für mich? Für uns beide. Vielleicht für alle drei. Ich fahre nach Hause. Offenes Fenster. Musik. Die Sommernacht ist warm. Die Müdigkeit. Mein Bett ist wie eine Erlösung. Ich falle um.
Der Wecker meiner Frau weckt mich. Ich bin viel zu müde. Ich schaue— Lämêth (@Lam3th) September 3, 2022
als erstes auf mein Telefon. Kein Anruf. Ich rufe auf der ITS an. „Wie sieht es aus?“
„Ganz gut“, sagt die Kollegin. Auch mit müder Stimme. Sie hat nicht geschlafen. „Er ist stabil. Hat nicht geblutet. Er wird langsam wach. Er hat schon Augen aufgemacht und reagiert auf— Lämêth (@Lam3th) September 3, 2022
Ansprache.“
„Zum Glück. Ich dachte, er stirbt. Danke dir. Schönen Feierabend. Bis morgen.“
Ich falle um. Meine Knie schmerzen. Mein Kopf tut weh. Dennoch versuche ich aufzustehen.
„Bleib liegen“, sagt meine Frau. „Du bist doch eben erst ins Bett. Ich mache die Kinder alleine— Lämêth (@Lam3th) September 3, 2022
fertig.“
Ich bin so dankbar. Dass der Patient lebt. Dass meine Frau das versteht. Dass ich schlafen kann.Und dass ihr das alles gelesen habt. ❤️
— Lämêth (@Lam3th) September 3, 2022
Das sagen andere User:
Hattet ihr auch Gänsehaut beim Lesen? Uns hat dieser Bericht sehr gefesselt und mitgenommen. Wir sind froh, dass die Geschichte am Ende gut ausgegangen ist. Natürlich haben wir auch ein paar Kommentare und Reaktionen für euch gesammelt.
Beeindruckender Bericht.
Auch wenn ich es kenne unter Druck zustehen, wenn das Adrenalin in den Körper schießt und man bis zuletzt kämpft und einfach nicht aufgibt, ist es nicht mit dem vergleichbar, was Du und Deine Kollegen leisten.
Respekt und Danke. Für Alles was Ihr tut.— Banshee 🌈 (@Banshee_112) September 3, 2022
Ein leises danke ist viel zu wenig für dein und deiner Kollegen tun.
— froeschi Sofatiere, Ritter der Schnuffelrunde(🏡) (@sofatiere) September 3, 2022
Das liest sich wie ein Krimi und ist doch Alltag für Dich! Mir fehlen die Worte, bis auf eines: Danke! Danke! Danke!
— Matthias Lorentzen (@Lorentzen_M_) September 3, 2022
Ich musste einmal tief durchatmen, bevor ich hier antworte.
Und mir fehlen immer noch die Worte. Ich hoffe, dass du es verarbeiten konntest und meinen allerhöchsten Respekt für deine Arbeit! Jeder wünscht sich, in so einem Fall, einen Arzt wie dich!!— Whiskas 💉💉💉💉 (@Whiskas1203) September 3, 2022
Das liest man schon mit Adrenalin. Hut ab vor eurer Arbeit!!
— Wichtel 🐦🐤😷🇺🇦 (@wichtel_wicht) September 3, 2022
Ich frage mich, was das in einem auslöst, das Herz – das Leben- eines Patienten wortwörtlich in der eigenen Hand zu halten. Danke, dass es Menschen wie dich gibt. Danke.
— diemitdemChaostanzt (@klemelan) September 3, 2022
Genau das. Ich könnts nicht besser sagen. Ich bin auch sehr froh und dankbar, dass es Menschen gibt, die sich dem stellen.
— Britta Burmester (@BBurmesterTweet) September 4, 2022
Ich hoffe, durch die Reaktionen der Angehörigen.
Mir laufen als Unbeteiligtem schon fast die Tränen.
Überlege gerade schon, wie ich als Beteiligter meine Dankbarkeit ausdrücken würde…— Torsten Landschoff (@tlandschoff) September 3, 2022
Vielen Dank für eure Aufmerksamkeit! Mehr Gänsehaut-Feeling gibt’s hier: