Manche Berufsgruppen können den Mantel negativer Vorurteile einfach nie abwerfen. Besonders Tätigkeiten, die schlecht vergütet werden, haben es nicht leicht. In unserer kapitalistischen Gesellschaft, in der die Anhäufung von Geld als ultimativer Lebensinhalt betrachtet wird, kommen Berufe mit niedrigem Einkommen grundsätzlich schlechter weg. Häufig werden sie als „einfach Berufe“ bezeichnet, als wären sie weniger herausfordernd oder anstrengend als besser vergütete (Büro)jobs – oder als bräuchte man für ihre Ausübung keine Qualifikation. Umso wichtiger empfinden wir es, darüber aufzuklären, welche Herausforderungen mit vielen dieser wichtigen, gesellschaftsrelevanten Tätigkeiten einhergehen. @Smiths_Lovecat arbeitet mit alten und dementen Menschen. Auch sie ist häufig den typischen Vorurteilen ausgesetzt, insbesondere der verbreiteten Ansicht, ihr Beruf bräuchte keine Ausbildung. Dabei verlangt ihr Beruf nicht nur menschliche und organisatorische Fähigkeiten, jede Menge Stressresistenz und Verwaltung, sondern auch medizinische und psychologische Kenntnisse. Durch ihren Thread haben wir die Möglichkeit, sie einen Tag lang zu begleiten. Vielen Dank dafür!
(bin es so Leid in einem Beruf zu arbeiten, der immer noch so gehandelt wird, als bräuchte man keine Ausbildung)
Soll ich einmal, als Beispiel, meinen gestrigen Tag porträtieren?
Ein Thread.— Smiths‘ Lovecat (@Smiths_Lovecat) December 8, 2020
13:30 Dienstbeginn.
Krankenstand der KollegInnen ist so hoch, dass ich bis 17 Uhr allein für 18 BewohnerInnen zuständig sein werde.
Der Frühdienst ist überlastet; telefonisches Arztgespräch ist noch zu tätigen; die Apothekenbestellung muss noch raus, bitte. Ja, mach ich…(1)— Smiths‘ Lovecat (@Smiths_Lovecat) December 8, 2020
14:00 Uhr.
Komme in den Wohnbereich. Ab da bin ich allein.
Höre jammernde Rufe aus einem Zimmer. Eine Dame ist gestürzt. Liegt rücklings da; ein Glück, unverletzt! Ich stabilisiere sie, rede mit ihr. Erkenne dabei, ich kann sie nicht allein heben. Rufe die Pflegedienstleitung (2)— Smiths‘ Lovecat (@Smiths_Lovecat) December 8, 2020
(PDL) an. Sie kommt zu Hilfe. Nur mit einem Patientenlift gelingt es uns, sie sicher ins Bett zu legen. Die Dame ist schwer dement, mit unruhigen halluzinatorischen Episoden. Sie braucht dringend beruhigende Medikation und jemand der bei ihr bleibt. Aber ich muss schon weiter(3)
— Smiths‘ Lovecat (@Smiths_Lovecat) December 8, 2020
Um 15 Uhr möchten die anderen BewohnerInnen ihren Kaffee. Die PDL bleibt bei ihr. Um 15 Uhr kommt die Betreungsassistentin; sie ist für das Tagesangebot zuständig, heute: Quiz. Sie erklärt sich bereit in der Küche zu helfen. Das ist eigentlich gar nicht ihre Aufgabe, aber sie (4)
— Smiths‘ Lovecat (@Smiths_Lovecat) December 8, 2020
hilft mit; es geht nicht anders. Ich gehe zurück zur Dame. Kontrolliere, wie vorhin schon ihre Vitalzeichen und vergewissere mich erneut, dass es ihr gut geht. Der Sohn kommt heute geplant zu Besuch. Wie gut! Ich kann mit ihm Vis á Vis sprechen, erzählen was passiert ist. Ich (5)
— Smiths‘ Lovecat (@Smiths_Lovecat) December 8, 2020
schicke nun ein Fax an die Hausärztin. Informiere über den Sturz; bitte um Rückruf. Mittlerweile sitzen die meisten BewohnerInnen beim Quiz. Die Spülmaschine läuft. Ich bereite die Insuline und die Medikamente für den Abend vor. Das Telefon am Ohr; versuche die Apotheke zu (6)
— Smiths‘ Lovecat (@Smiths_Lovecat) December 8, 2020
erreichen. Es klappt; kann telefonisch Medikamente bestellen. Werde die dafür erforderlichen Rezepte bei der HA, die ja gleich anrufen wird, mit anfordern. Ich hab keine Küchenassistenz, werde also die Käse/Aufschnittplatte appetitlich anrichten. Butter in kleine Portionen (7)
— Smiths‘ Lovecat (@Smiths_Lovecat) December 8, 2020
Gemüse in hübsch. Heute gibt es noch Brühwürstchen mit Senf als Beilage. Ich verabschiede den Sohn. Die Mutter schläft nun ruhig. Zwischendurch brauchten drei BewohnerInnen Hilfe beim Toilettengang. Abgesehen vom nötigen Small Talk. Ich hab um 16:30 noch nicht alle (8)
— Smiths‘ Lovecat (@Smiths_Lovecat) December 8, 2020
BewohnerInnen gesehen. Ein Kontrollgang ist nötig. Hier und da, Richten im Rollstuhl, ein Schwatz über das Fernsehprogramm. Ich werde heute keine Pause machen können. Abendmedikamente sind noch nicht fertig und ich warte auf den Anruf. Die BA deckt schon die Tische, hilft (9)
— Smiths‘ Lovecat (@Smiths_Lovecat) December 8, 2020
weiter mit. Um 17 Uhr kommt endlich meine Kollegin, Fachkraft. Sie hätte eigentlich frei gehabt. Ich kann nun in Ruhe die Medis zuendestellen, mittlerweile eine Medikamentenlieferung dokumentieren, einräumen. Habe noch Faxe von anderen HA zu Mediänderungen zu bearbeiten. Nun (10)
— Smiths‘ Lovecat (@Smiths_Lovecat) December 8, 2020
ruft die Hausärztin an. Die Überlegung, bei der gestürzten Dame andere Medikamente anzusetzen. Sie ist seit dem Wochenende in einem stärkeren Erregungszustand, höre ich mich sagen. Wir überlegen beide laut. Eine gute Ärztin ist das; sie hört mir zu. Sie verspricht im Laufe (11)
— Smiths‘ Lovecat (@Smiths_Lovecat) December 8, 2020
der Woche zu kommen. Auch wegen zwei anderer BewohnerInnen kläre ich noch den Auftrag vom Frühdienst. Nach dem Gespräch, trinke ich eine kleine Flasche Wasser am Computer aus. Ich muss noch dringend ein Sturzprotokoll anfertigen. In der Wohnküche schaue ich kurz vorbei. (12)
— Smiths‘ Lovecat (@Smiths_Lovecat) December 8, 2020
Meine Kollegin managed dynamisch das Abendessen. Ich stehle ein Stück Salami aus dem Kühlschrank. Zum ersten Mal stehe ich nur da, atme durch und tue einfach gerade nichts…
Die Abendroutinen werden geordnet laufen. Die alte demente Dame wird aber wieder sehr unruhig werden.(13)— Smiths‘ Lovecat (@Smiths_Lovecat) December 8, 2020
Sie klingelt viel. Ich werde nicht pünktlich Schluss machen können. Und werde keine nennenswerte Pause gehabt haben. Aber sie werden auch heute Abend alle gut versorgt sein; bei der Abendtoilette Hilfe bekommen, ins Bett gebracht werden. Wir sind dann ja zu zweit.
(14/14)— Smiths‘ Lovecat (@Smiths_Lovecat) December 8, 2020