
Diese rührende Geschichte erreichte uns letzte Woche. Der Twitteruser @dachschadenheit erzählt in einem berührenden Thread, warum er in Zeiten von Kontaktverbot und Ausgangsbeschränkungen zu seiner Mutter gefahren ist und auch dort noch eine Weile bleiben wird.
Thread.
Seit meine Mutter vor sechs Jahren eine Jobzusage erhielt, liegen 200 km zwischen uns. Es fiel ihr alles andere als leicht, sich dafür zu entscheiden, dauerhaft so weit von ihren Kindern entfernt zu leben. Jahre der Arbeitslosigkeit sowie private und finanzielle…
— Herr Distanzschaden (@dachschadenheit) March 24, 2020
Thread.
Seit meine Mutter vor sechs Jahren eine Jobzusage erhielt, liegen 200 km zwischen uns. Es fiel ihr alles andere als leicht, sich dafür zu entscheiden, dauerhaft so weit von ihren Kindern entfernt zu leben. Jahre der Arbeitslosigkeit sowie private und finanzielle…
— Herr Distanzschaden (@dachschadenheit) March 24, 2020
Rückschläge aber schienen ihr kaum eine Wahl zu lassen. Gleichzeitig hatte sie die vage Hoffnung, in ihrem fortgeschrittenen Alter nochmal einen Neustart wagen zu können. An Mut mangelte es ihr nie, wenn sie ihn auch selten freiwillig unter Beweis stellen musste.
— Herr Distanzschaden (@dachschadenheit) March 24, 2020
Rückschläge aber schienen ihr kaum eine Wahl zu lassen. Gleichzeitig hatte sie die vage Hoffnung, in ihrem fortgeschrittenen Alter nochmal einen Neustart wagen zu können. An Mut mangelte es ihr nie, wenn sie ihn auch selten freiwillig unter Beweis stellen musste.
— Herr Distanzschaden (@dachschadenheit) March 24, 2020
Mein Vater hatte als Polizist nie Jobsorgen. Hin und wieder eine Versetzung, kurz mal „der Neue“ sein, die letzten 30 Jahre aber durchgehend bei ein und derselben Dienststelle. Seine Karriere war der Fixpunkt, an den sich meine Mutter anpassen musste. Nicht etwa weil er…
— Herr Distanzschaden (@dachschadenheit) March 24, 2020
Mein Vater hatte als Polizist nie Jobsorgen. Hin und wieder eine Versetzung, kurz mal „der Neue“ sein, die letzten 30 Jahre aber durchgehend bei ein und derselben Dienststelle. Seine Karriere war der Fixpunkt, an den sich meine Mutter anpassen musste. Nicht etwa weil er…
— Herr Distanzschaden (@dachschadenheit) March 24, 2020
das ausdrücklich so von ihr verlangte oder ihr die freie Entfaltung absprechen wollte, sondern weil „frau“ das damals eben so tat, ohne zu hinterfragen. So gab sie geliebte Stellen auf und nahm ungeliebte an, wann immer es sein Job nötig machte.
— Herr Distanzschaden (@dachschadenheit) March 24, 2020
das ausdrücklich so von ihr verlangte oder ihr die freie Entfaltung absprechen wollte, sondern weil „frau“ das damals eben so tat, ohne zu hinterfragen. So gab sie geliebte Stellen auf und nahm ungeliebte an, wann immer es sein Job nötig machte.
— Herr Distanzschaden (@dachschadenheit) March 24, 2020
Sie arbeitete u.a. als Verkäuferin in einer Metzgerei, in einer Modeboutique, einem Stoffwarenladen, als Bankkauffrau, in einer Spedition, als Schmuckverkäuferin, als Sekretärin für Architekten und Politiker, und heute schließlich als Arzthelferin.
— Herr Distanzschaden (@dachschadenheit) March 24, 2020
Sie arbeitete u.a. als Verkäuferin in einer Metzgerei, in einer Modeboutique, einem Stoffwarenladen, als Bankkauffrau, in einer Spedition, als Schmuckverkäuferin, als Sekretärin für Architekten und Politiker, und heute schließlich als Arzthelferin.
— Herr Distanzschaden (@dachschadenheit) March 24, 2020
Wer mag schon Veränderung? Meine Mutter wahrscheinlich genauso wenig wie ich. Immer wieder war sie die Neue, immer wieder musste sie sich völlig neue Kenntnisse aneignen, und immer wieder war sie Abschusskandidatin Nummer 1, da sie zuletzt zum Team gestoßen war.
— Herr Distanzschaden (@dachschadenheit) March 24, 2020
Wer mag schon Veränderung? Meine Mutter wahrscheinlich genauso wenig wie ich. Immer wieder war sie die Neue, immer wieder musste sie sich völlig neue Kenntnisse aneignen, und immer wieder war sie Abschusskandidatin Nummer 1, da sie zuletzt zum Team gestoßen war.
— Herr Distanzschaden (@dachschadenheit) March 24, 2020
Ich weiß nicht mehr, wie oft ich sie nach der nächsten Entlassung weinend in meinen Armen hielt. Wie oft ich sie verzweifeln gesehen habe, wenn sie sich überfordert fühlte. Wie oft ich mich schlecht fühlte, weil sie sich für meinen Bruder und mich so sehr quälte.
— Herr Distanzschaden (@dachschadenheit) March 24, 2020
Ich weiß nicht mehr, wie oft ich sie nach der nächsten Entlassung weinend in meinen Armen hielt. Wie oft ich sie verzweifeln gesehen habe, wenn sie sich überfordert fühlte. Wie oft ich mich schlecht fühlte, weil sie sich für meinen Bruder und mich so sehr quälte.
— Herr Distanzschaden (@dachschadenheit) March 24, 2020
Sie wollte oft aufgeben. Getan hat sie es nie. Ich hätte gern nur ein Zehntel des Durchhaltevermögens, mit dem sie sich wieder und wieder aus ihren Gräben nach oben gekämpft hat. Heute, weit weg vom früheren Zuhause, hat sie eine schmucke Wohnung und lebt allein.
— Herr Distanzschaden (@dachschadenheit) March 24, 2020
Sie wollte oft aufgeben. Getan hat sie es nie. Ich hätte gern nur ein Zehntel des Durchhaltevermögens, mit dem sie sich wieder und wieder aus ihren Gräben nach oben gekämpft hat. Heute, weit weg vom früheren Zuhause, hat sie eine schmucke Wohnung und lebt allein.
— Herr Distanzschaden (@dachschadenheit) March 24, 2020
Doch da liegt der Knackpunkt. Sie hat den Neuanfang gewagt, sie hat sich als Quereinsteigerin in das fordernde Feld der Medizintechnik hineingekämpft, sie ist inzwischen anerkanntes Mitglied des Praxisteams und längst nicht mehr „die Neue“. Aber sie ist allein.
— Herr Distanzschaden (@dachschadenheit) March 24, 2020
Doch da liegt der Knackpunkt. Sie hat den Neuanfang gewagt, sie hat sich als Quereinsteigerin in das fordernde Feld der Medizintechnik hineingekämpft, sie ist inzwischen anerkanntes Mitglied des Praxisteams und längst nicht mehr „die Neue“. Aber sie ist allein.
— Herr Distanzschaden (@dachschadenheit) March 24, 2020
Sie wacht morgens allein auf, frühstückt ein einsames Stück Brot, fährt in einem Bus voller Fremder zur Arbeit, hört abends beim Aufsperren ihrer Wohnungstür kein „Hallo“, und legt sich nachts zum Schlafen in ein nur einseitig bezogenes Doppelbett.
— Herr Distanzschaden (@dachschadenheit) March 24, 2020
Sie wacht morgens allein auf, frühstückt ein einsames Stück Brot, fährt in einem Bus voller Fremder zur Arbeit, hört abends beim Aufsperren ihrer Wohnungstür kein „Hallo“, und legt sich nachts zum Schlafen in ein nur einseitig bezogenes Doppelbett.
— Herr Distanzschaden (@dachschadenheit) March 24, 2020
Ich habe sie immer für ihre Zähigkeit und ihren Willen bewundert. Superwoman, auf ihre ganz eigene Art. Doch glaubte ich ernsthaft, dass all das keine Spuren bei ihr hinterlassen würde?
— Herr Distanzschaden (@dachschadenheit) March 24, 2020
Ich habe sie immer für ihre Zähigkeit und ihren Willen bewundert. Superwoman, auf ihre ganz eigene Art. Doch glaubte ich ernsthaft, dass all das keine Spuren bei ihr hinterlassen würde?
— Herr Distanzschaden (@dachschadenheit) March 24, 2020
Warum ich all das schreibe? Nun.
Am vergangenen Freitag, bzw. in der Nacht darauf, traten in Bayern die strengen Ausgangsbeschränkungen in Kraft. Nachmittags schickte mir meine Mutter ein Bild eines Passierscheins, den ihr ihr Arbeitgeber vorsorglich ausgestellt hatte. Sie…
— Herr Distanzschaden (@dachschadenheit) March 24, 2020
Warum ich all das schreibe? Nun.
Am vergangenen Freitag, bzw. in der Nacht darauf, traten in Bayern die strengen Ausgangsbeschränkungen in Kraft. Nachmittags schickte mir meine Mutter ein Bild eines Passierscheins, den ihr ihr Arbeitgeber vorsorglich ausgestellt hatte. Sie…
— Herr Distanzschaden (@dachschadenheit) March 24, 2020
schrieb nur: „So schlimm“. Nie würde sie mich unnötig mit ihren Ängsten belasten wollen. Ich erkannte in den beiden Worten den deutlichsten Hilferuf, den ich mir hätte vorstellen können.
— Herr Distanzschaden (@dachschadenheit) March 24, 2020
schrieb nur: „So schlimm“. Nie würde sie mich unnötig mit ihren Ängsten belasten wollen. Ich erkannte in den beiden Worten den deutlichsten Hilferuf, den ich mir hätte vorstellen können.
— Herr Distanzschaden (@dachschadenheit) March 24, 2020
Abends, gegen 21 Uhr, telefonierten wir. Sie erzählte, dass in der Praxis absolute Notbesetzung herrsche. Zwei Kolleginnen in Quarantäne, zwei weitere krank, ein Frühdienst nach dem anderen, dazu die gespenstische Gesamtsituation. Tagsüber war sie weinend zusammengebrochen.
— Herr Distanzschaden (@dachschadenheit) March 24, 2020
Abends, gegen 21 Uhr, telefonierten wir. Sie erzählte, dass in der Praxis absolute Notbesetzung herrsche. Zwei Kolleginnen in Quarantäne, zwei weitere krank, ein Frühdienst nach dem anderen, dazu die gespenstische Gesamtsituation. Tagsüber war sie weinend zusammengebrochen.
— Herr Distanzschaden (@dachschadenheit) March 24, 2020
Die letzten paar Tage sei sie depressiv gewesen, und gerade wisse sie so gar nichts mit sich anzufangen. Sie könne nicht schlafen. Sie habe Angst. Und plötzlich hatte ich auch Angst. Um 22 Uhr war mein Koffer gepackt. Zwei Stunden bis zur Ausgangssperre. Flieg, Junge.
— Herr Distanzschaden (@dachschadenheit) March 24, 2020
Die letzten paar Tage sei sie depressiv gewesen, und gerade wisse sie so gar nichts mit sich anzufangen. Sie könne nicht schlafen. Sie habe Angst. Und plötzlich hatte ich auch Angst. Um 22 Uhr war mein Koffer gepackt. Zwei Stunden bis zur Ausgangssperre. Flieg, Junge.
— Herr Distanzschaden (@dachschadenheit) March 24, 2020
Um 1 Uhr nachts kam ich an. Meine Mutter ist 60 Jahre alt, zählt damit zur beginnenden Risikogruppe und hat qua ihres Berufs tagtäglich Kontakt zu vielen verschiedenen Menschen. Ist es im Sinne von #StayHome, dass ich zu ihr gefahren bin? Nein.
— Herr Distanzschaden (@dachschadenheit) March 24, 2020
Um 1 Uhr nachts kam ich an. Meine Mutter ist 60 Jahre alt, zählt damit zur beginnenden Risikogruppe und hat qua ihres Berufs tagtäglich Kontakt zu vielen verschiedenen Menschen. Ist es im Sinne von #StayHome, dass ich zu ihr gefahren bin? Nein.
— Herr Distanzschaden (@dachschadenheit) March 24, 2020
Richtig war es trotzdem. Als sie die Tür öffnete und mich sah, konnte ich in ihren Augen den exakten Moment erkennen, in dem sie sich nicht mehr allein fühlte. In dem die Angst verflogen war. Ich hätte es nicht richtiger machen können.
— Herr Distanzschaden (@dachschadenheit) March 24, 2020
Richtig war es trotzdem. Als sie die Tür öffnete und mich sah, konnte ich in ihren Augen den exakten Moment erkennen, in dem sie sich nicht mehr allein fühlte. In dem die Angst verflogen war. Ich hätte es nicht richtiger machen können.
— Herr Distanzschaden (@dachschadenheit) March 24, 2020
So werde ich nun wohl mindestens zwei Wochen bei ihr verbringen. Langeweile wird nicht ausbleiben, und um das abendliche TV–Programm wird hart gekämpft. Egal. Gerade hörte ich aus Richtung ihres Schlafzimmers ein leises Schnarchen. Alles wird gut, irgendwie.
~FIN~
— Herr Distanzschaden (@dachschadenheit) March 24, 2020
So werde ich nun wohl mindestens zwei Wochen bei ihr verbringen. Langeweile wird nicht ausbleiben, und um das abendliche TV–Programm wird hart gekämpft. Egal. Gerade hörte ich aus Richtung ihres Schlafzimmers ein leises Schnarchen. Alles wird gut, irgendwie.
~FIN~
— Herr Distanzschaden (@dachschadenheit) March 24, 2020