Thread: Über das heiß diskutierte „Grundschulverbot“ für Kinder, das gar keines ist
Der Fraktionsvize der Union, Carsten Linnemann, hatte in einem Interview eine Art Vorschulpflicht für Kinder, die kaum oder überhaupt kein Deutsch sprechen oder verstehen, ins Spiel gebracht. Dieser Vorstoß wurde anschließend heftig und massiv kritisiert und machte innerhalb kurzer Zeit als sogenanntes „Grundschulverbot“ die Runde. Linnemann distanzierte sich anschließend von diesem Begriff, den er so tatsächlich nicht gesagt hatte. Die Aussage des Unionsfraktionsvize gegenüber der Rheinischen Post im Wortlaut: „Um es auf den Punkt zu bringen: Ein Kind, das kaum Deutsch spricht und versteht, hat auf einer Grundschule noch nichts zu suchen.“
Am gestrigen Dienstag ging Linnemann gegenüber der Deutschen Presseagentur (dpa) dann ins Detail: „Kinder, die kaum Deutsch sprechen, dürfen in der ersten Klasse nicht benachteiligt sein. Deshalb müssen sie vor der Einschulung sprachlich fit gemacht werden. Also brauchen wir verpflichtende Sprachtests im Alter von vier und dann Vorschulpflicht für alle, die schlecht Deutsch sprechen. (…) Das ist eine Ausweitung der Vorschulpflicht und kein Grundschulverbot.“
Neben der SPD kritisierte auch die Linke den Vorschlag Linnemanns. Bernd Riexinger, Co-Vorsitzender der Linken, warf dem Unionspolitiker vor, auf der „rechten Empörungswelle mitsurfen zu wollen“. Selbst aus der eigenen Partie kamen kritische Stimmen. So bekräftigte die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Annette Widmann-Mauz (CDU), dass es an der Schulpflicht nichts zu rütteln gebe. Gleichzeitig warb die Politikern für mehr begleitende Sprachvermittlung und gezielte Sprachförderung an Grundschulen, was vielleicht auch eher die Intention hinter Linnemanns Vorstoß gewesen sein dürfte als ein „Grundschulverbot“.
Der folgende Thread von Twitteruserin @BahagAslan_ beschäftigt sich weniger mit der Frage, ob Linnemanns Vorschlag ein „bewusstes Missverständnis“ war, sondern setzt sich mit dem Lernen von Sprache an der Schule auseinander.
Warum ein Grundschulverbot für Kinder, die kein Deutsch können absoluter Unfug ist:
1. Der Schulerfolg von Kindern mit einer nichtdeutschen Herkunftssprache, hängt entscheidend davon ab wie es gelingt ihre sprachlichen Fähigkeiten weiter auszubauen. @cducsubt @CDU
— Bahar Aslan (@BaharAslan_) August 5, 2019
2. Kinder mit einer nichtdeutschen Herkunftssprache weisen zum Zeitpunkt ihrer Einschulung Defizite in der Zweitsprache Deutsch auf. Insbesondere im Bereich der Grammatik. Das ist kein Problem, denn dem kann durch guten Unterricht entgegengewirkt werden.
— Bahar Aslan (@BaharAslan_) August 5, 2019
3. Nach der KITA ist für Kinder, egal ob oder ohne Zweitspracherwerb, die Grundschule der wichtigste (!) Sprachlernort. Die Grundschule ist u.a. auch deswegen wichtig, weil der Ausbau sprachlicher Kompetenzen mit der Aneignung der Schrift verbunden ist.
— Bahar Aslan (@BaharAslan_) August 5, 2019
4. Kinder mit einer nichtdeutschen Herkunftssprache, eignen sich die Zweitsprache an indem sie experimentieren. D.b. sie sind auf die kommunikative Interaktion mit anderen Kinder angewiesen. Zudem brauchen sie Sprachvorbilder um das eigene sprachliche Verhalten zu reflektieren.
— Bahar Aslan (@BaharAslan_) August 5, 2019
5. Kinder erlernen eine zweite Sprache im frühen Alter im wesentlichen wie ihre Erstsprache: UNGESTEUERT- D.b.: Die innere Logik und Struktur der neuen Sprache wird SELBSTSTÄNDIG erschlossen. Siehe Punkt 4: Ohne eine kommunikative Interaktion kann dies nicht gelingen.
— Bahar Aslan (@BaharAslan_) August 5, 2019
6. Statt über ein Verbot nachzudenken, könnte man ja mal folgendes probieren:
– Verbesserung der unterrichtlichen Praxis in mehrsprachigen Lerngruppen
– Schaffung einer besseren Grundlage für die Konzeption von Verfahren der Sprachstandsfeststellung
— Bahar Aslan (@BaharAslan_) August 5, 2019
7. Ach ja, und noch was: Das dieses wichtige Thema so billig und populistisch in die Öffentlichkeit getragen wird ist ein echtes Armutszeugnis! Was Kinder brauchen sind keine Verbote, sondern tatkräftigen Support, Empowerment und guten Unterricht!
— Bahar Aslan (@BaharAslan_) August 5, 2019
Info: Z.b. hat Prof. Dr. Stefan Jeuk über den Spracherwerb im Grundschulalter verschiedene Beiträge & Aufsätze publiziert. Im deutschsprachigen Raum finden sich aber noch weitere Wissenschaftler*innen die zum Erst- und Zweitspracherwerb geforscht &publiziert haben.
— Bahar Aslan (@BaharAslan_) August 5, 2019