Motivationsschreiben kosten Nerven, Liebesbriefe öffnen das Tor der Verzweiflung, aber der Gipfel prosaischer Ausschmückung sind Arbeitszeugnisse. Nirgendwo sonst steht so wenig auf dem Papier und so viel zwischen den Zeilen. Die Schreibenden möchten nicht den ganzen Tag damit vertrödeln, Lob, Kritik und ehrliche Rückmeldungen in wohlfeile Sätze zu gießen. Angestellte hätten natürlich gerne die ausgeschmückteste Dokumentation ihrer Leistung, um damit das nächste Türchen zu öffnen. Und dort drüben, auf der anderen Seite des nächsten Türchens, sitzt vielleicht eine gelangweilte Personalerin, die einfach nur gerne einen knappen Überblick darüber hätte, was der Bewerber im vorherigen Job so alles gesehen hat – und das ganz ohne poetisches Geschwätz. Denn ob Arbeitszeugnisse in ihrer vermeintlichen Vielschichtigkeit überhaupt gelesen werden, ist fraglich. Es sei denn, die Mutter des Angestellten ist selbst vom Fach. Dann wird natürlich besonders gründlich geschaut. So wie bei Twitteruserin @recht_nett.
Mitarbeiter möchte Zwischenzeugnis. Bekommt ein gutes 2er Zeugnis.
MA steht in meinem Büro: „Also erst mal danke für das Zeugnis, aber meine Mama ist auch Personalerin, der hab ich das gegeben, damit sie es mit ihrem Zeugnisgenerator checken kann.“
So viele 🚩in einem Satz…
— Recht§Nett (@recht_nett) September 4, 2023
„Sie hat gesagt, dass ein 2er Zeugnis schlecht ist, ich soll eine 1 bekommen. Und deine Unterschrift ist leicht nach unten geneigt, das heißt, dass du dich vom Inhalt des Zeugnisses distanzierst. Unterschreib bitte gerade oder leicht nach oben geneigt. Das ist besser.“
— Recht§Nett (@recht_nett) September 4, 2023
„Und laut dem Zeugnisgenerator ist Beurteilung XY nur eine 3.“
Hat wer ne Kreissäge, die er grad nicht braucht, in die ich lachend laufen kann?
— Recht§Nett (@recht_nett) September 4, 2023
Mein Erklärungsversuch warum ein Zeugnis mit Note 1 eher negativ ausgelegt werden kann, stieß auf taube Ohren.
Mama Personalerin schreibt jetzt also ein Zeugnis und ich übernehme es auf unsren Briefkopf. Ich fang sicherlich nicht an mich wegen sowas Unwichtigem zu streiten.
— Recht§Nett (@recht_nett) September 4, 2023
Achso: Und NATÜRLICH ändere ich meine Unterschrift und unterzeichne nach oben geneigt.
WER HAT DENN DEN SCHEIß MIT DER UNTERSCHRIFT IN DIE WELT GESETZT?! HABT IHR ALLE LANGEWEILE?
— Recht§Nett (@recht_nett) September 4, 2023
Kommentare und Reaktionen:
Na, wer von euch durchforstet gedanklich seine Arbeitszeugnisse? Und wer hört zum ersten Mal von einem Zeugnisgenerator? Wenn man sich die Zeichen der Zeit so anschaut, kann man sich denken, dass ChatGPT längst das ein oder andere Zeugnis ausformuliert hat. Das ist natürlich schade für all diejenigen, die es sich durch ihre Leistung wirklich verdient haben, ein wohl durchdachtes Schriftstück zu erhalten, andererseits ist es vielleicht wirklich der Moment, über ein anderes System nachzudenken. Auch die Leserinnen und Leser dieses Thread zeigten sich von dem Format „Arbeitszeugnis“ nur so mittel begeistert. Wir haben die wichtigsten Kommentare für euch zusammengefasst.
Wirklich schade
Schade. Bin nämlich sowas wie stolz auf meine Arbeitseugnisse, wurde aber schon gefragt, ob ich sie selbst geschrieben habe. Nee, meine Chef*innen mochten mein Zeug usw wirklich & haben mich immer ungern gehen lassen. Aber wenn man hört, dass sowas so läuft, wirken sie wertlos.
— Dachbewohnerin (@AufHoherSpree) September 4, 2023
Danke, ciao
Was sagen Personaler zu einem „Ja, war da“ Zeugnis?
Wie in „Tätigkeitsbeschreibung, Absatz, Grußformel.“Und bei Nachfrage mit völligem Stummschalten?
— Shen Long (@MaxSteel991) September 4, 2023
Ich lese, wenn überhaupt, sowieso nur die Tätigkeitsbeschreibung in einem Zeugnis, von daher wärs mir wumpe.
Und Nachfrage beim alten AG geht garnicht. Davon abgesehen, dass der sowieso keine Auskunft geben darf.
— Recht§Nett (@recht_nett) September 4, 2023
Klassische Lose-Lose-Situation
Und genau deswegen verlieren solche Zeugnisse mehr und mehr an Bedeutung. Jeder kann solange klagen bis da drin steht was derjenige möchte.
Wenn überhaupt überflieg ich die nur noch.— Bob (@bkone_25) September 4, 2023
Wir wären dafür
Wenn sowieso alle Beteiligten wissen, wie so ein Zeugnis zu lesen ist und sich jeder sein wohlwollendes Zeugnis notfalls einklagen kann, wäre es nicht das Beste, man lässt den Rotz einfach sein?
— Man without Podcast🐦⬛ (@MarcoNeumann69) September 4, 2023
Wie sind die Quoten?
Bei ein Vorstellungsgespräch sagte mal ein Direktor zu mir „Wir lesen die Zeugnisse schon, und dann wetten wir ob der Kandidat das selbst geschrieben hat. Aber ernst nehmen wir die nicht mehr.“
— Bär des Zorn (auch im Himmel) (@desaster98) September 4, 2023
Psssssst, hier kann man hinter verschlossene Türen schauen: