Thread: Ich war vor zwei Jahren in Kalifornien
Seit Tagen hängt ein rötlicher Nebel über der Westküste der USA. Die Sonne ist fast gar nicht zu sehen. Grund dafür ist der Smog von den Waldbränden, die dort seit Mitte August wüten. Es sind wahrscheinlich die schlimmsten, die Nordamerika je gesehen hat. Bisher sind über 1,2 Millionen Hektar allein in Kalifornien abgebrannt. Dutzende Menschen sind bereits ums Leben gekommen.
Auslöser für die Wald- und Buschbrände waren Blitzeinschläge, die auf dem ausgedörrten Waldboden leichtes Spiel hatten. Die Rauchsäulen über den Brandherden reichen bis zu 17 Kilometer in die Atmosphäre. Die Luft über dem gesamten Gebiet ist giftig und für Mensch und Tier fast nicht atembar.
Waldbrände in Kalifornien sind keine Seltenheit. Experten sind sich inzwischen sicher, dass ihre Intensität und Häufigkeit auf auf die Folgen des Klimawandels zurückzuführen sind. Stefan Stuckmann war vor zwei Jahren in Kalifornien und hat die Auswirkungen der damaligen Buschfeuer miterlebt. Er hat darüber diesen Thread geschrieben.
Ich war vor zwei Jahren für ein paar Monate in Kalifornien, als ebenfalls an allen Ecken brannte, und das war eine der bedrückendsten Erfahrungen, die ich je gemacht habe.
— Stefan Stuckmann (@StefanStuckmann) September 11, 2020
Ich hatte vorher eine sehr naive Vorstellung davon, was so ein Brand bedeutet, so nach dem Motto: klar, Feuer ist gefährlich – wenn man zu nah dran ist. Unser Haus war 5 Kilometer von den Flammen entfernt, und man wusste: falls sich was ändert, wird man rechtzeitig evakuiert.
— Stefan Stuckmann (@StefanStuckmann) September 11, 2020
Bis dahin sieht man Feuerwehrautos, Löschflugzeuge, Hubschrauber – obwohl man rational weiß, dass das hier eine Katastrophe ist, ist es auf einer unterbewussten Ebene auch ein Abenteuer: man sieht Dinge, die man maximal aus Filmen kennt.
Bis sich plötzlich eine Sache ändert…— Stefan Stuckmann (@StefanStuckmann) September 11, 2020
Die Luft wird auf einmal toxisch. Ich kam mir blöd vor, dass ich nie drüber nachgedacht habe – hab aber irgendwann festgestellt, dass das kaum jemand tut, der es nicht selber erlebt hat. Ich war zu der Zeit mit einem Freund in San Francisco…
— Stefan Stuckmann (@StefanStuckmann) September 11, 2020
…und im Gegensatz zu LA war das Feuer da so weit entfernt, dass man es nicht sehen konnte – mehr als 30 Meilen. Und trotzdem: die Luft war so schlecht, dass ich innerhalb von zwei Stunden krank geworden bin.
— Stefan Stuckmann (@StefanStuckmann) September 11, 2020
Ein extremes Unwohlsein, weil man merkt: mit jedem Atemzug kommen bestimmte Dinge in den Körper, die definitiv giftig sind, und die der Körper auf jeden Fall wieder los werden will.
— Stefan Stuckmann (@StefanStuckmann) September 11, 2020
Mein Hotel war damals auf einem Hügel, und ich musste auf dem Weg zurück, nach dem Abendessen, auf halber Strecke Pause machen, weil ich einfach nicht mehr konnte – es waren nur ein paar hundert Meter, aber die Luft war einfach zu giftig.
— Stefan Stuckmann (@StefanStuckmann) September 11, 2020
An anderen Tagen wäre das hier Nebel – hier ist es Smog. Wenn man die Bilder von den letzten Tagen vergleicht, ist es jetzt deutlich schlimmer – weil die Brände näher sind. Aber schon damals war die Luft so, dass man dort praktisch nicht mehr leben konnte – nicht auf Dauer.
— Stefan Stuckmann (@StefanStuckmann) September 11, 2020
Das war das erste Mal, dass ich verstanden habe, was Klimawandel konkret bedeutet. Nicht, weil ich vorher nicht dran geglaubt habe, sondern weil ich zum ersten Mal gespürt habe, wie hilflos man ist, wenn sich die Umwelt gegen einen wendet.
— Stefan Stuckmann (@StefanStuckmann) September 11, 2020
Wenn Dinge passieren, die so groß sind, dass man ihnen nicht entfliehen kann. Wenn wie jetzt halb Kalifornien brennt und halb Oregon auch noch, dann müsste man teilweise hunderte Meilen weit fahren, um den nächsten Ort zu erreichen, an dem die Luft nicht toxisch ist.
— Stefan Stuckmann (@StefanStuckmann) September 11, 2020
Das ist die Luft jetzt gerade an der Westküste. Alles ab 100 gilt als ungesund – Luft, in der man Maske tragen und keinen Sport mehr treiben soll.
— Stefan Stuckmann (@StefanStuckmann) September 11, 2020
Mich hat das damals tief deprimiert – vor allem weil die USA nicht der beste Ort sind, um über Klimaschutz zu reden. Ich hab in Malibu mit einer Frau geredet, die sich darüber geärgert hat, dass das Haus ihrer Freundin abgebrannt ist und ihres nicht – „she get’s a new one now!“
— Stefan Stuckmann (@StefanStuckmann) September 11, 2020
Aber vor allem hat mich das so erschrocken, dass ich danach beschlossen habe, viel radikaler zu werden: ich bin seitdem nicht mehr geflogen, versuche Plastikmüll zu vermeiden und ziehe nur noch dunkelblaue Sachen an, um weniger Klamotten kaufen zu müssen. Mag albern klingen…
— Stefan Stuckmann (@StefanStuckmann) September 11, 2020
…aber jede Diskussion darüber, wer zuerst irgendwas machen muss, (Die Wirtschaft! Die Politik! Die Verbraucher*innen!), fühlt sich seitdem so banal an.
— Stefan Stuckmann (@StefanStuckmann) September 11, 2020
Weil es vielleicht einfach schon fucking zu spät ist – und wir aber ganz sicher nur eine Chance haben, wenn wir Dinge viel grundsätzlicher in Frage stellen, als bisher. San Francisco ist einer der reichsten Orte der Welt…
— Stefan Stuckmann (@StefanStuckmann) September 11, 2020
…aber all die Teslas und Aktienoptionen sind exakt gar nichts wert, wenn die Luft so schlecht ist, dass man entweder erstickt oder irgendwann einfach Krebs kriegt. Und dann geht es nicht mehr darum, wie oft man pro Jahr in Urlaub darf und wie weit weg…
— Stefan Stuckmann (@StefanStuckmann) September 11, 2020
…sondern wie viele Orte es überhaupt noch gibt auf der Welt, an denen Menschen dauerhaft leben können.
— Stefan Stuckmann (@StefanStuckmann) September 11, 2020