Thread: Bernd Luckes Rolle in der AfD
AfD-Gründer und Wirtschaftswissenschaftler Bernd Lucke musste am Mittwoch das Uni-Gelände in Hamburg verlassen, nachdem die erste Vorlesung nach seiner Rückkehr von Studenten massiv gestört worden war.
Der Asta der Uni Hamburg distanzierte sich inzwischen von der Störung der Vorlesung. Ursprünglich hatte man zu einer Protestkundgebung vor dem Gebäude aufgerufen. Lucke konnte am Donnerstag bereits wieder an die Uni zurückkehren.
2014 hatte er sich von der Universität beurlauben lassen, um für die AfD ins Europaparlament einzuziehen. Ein Jahr später trat er jedoch nach internen Streitigkeiten über den Kurs der Partei aus und gründete kurz darauf eine weitere namens Alfa. Da er mit dieser jedoch nicht an die frühen Erfolge der AfD anknüpfen konnte, folgte nun die Rückkehr ins Lehramt.
Die Störung, als auch die erneute Vorlesungstätigkeit Luckes werden seitdem kontrovers diskutiert. Nicht nur auf Twitter.
Warum man Luckes Rückkehr ins Lehramt als kritisch sehen kann, erklärt der nachfolgende Thread von Robert Fietzke.
Seit Jahren versucht Bernd #Lucke, seine Rolle bei der Faschisierung der Gesellschaft zu negieren, indem er sich von der von ihm gegründeten #AfD distanziert. Ein durchschaubarer Versuch des whitewashing. Schauen wir uns doch noch mal an, was unter ihm so los war 🔽 (Thread)
— Robert Fietzke (@robert_fietzke) 16. Oktober 2019
Am Abend der Bundestagswahl 2013, bei der die gerade erst gegründete Partei nur knapp an der 5%-Hürde scheiterte, sagte Lucke, man habe in den letzten Jahren „so viel an Entartungen von Demokratie und Parlamentarismus“ erlebt – Und nutzte somit einen Kernbegriff des NS (1)
— Robert Fietzke (@robert_fietzke) 16. Oktober 2019
Schon kurz nach Gründung verriet ein Blick auf die Facebookpage der Partei, wohin die Reise gehen sollte. Dort war unter anderem zu lesen „Klassische Bildung statt Multi-Kulti-Umerziehung“ oder „eine ungeordnete Einwanderung in unserer Sozialsystem muss unterbunden werden“ (2)
— Robert Fietzke (@robert_fietzke) 16. Oktober 2019
Im Wahlkampf 2013 versuchte sie es dann schon mit dem Claim „Mut zur Wahrheit“, der sich bis heute gehalten hat. Die Inszenierung als Wahrheitsverkünderin gegen „Alt-Parteien-Kartell“ und „Lügenpresse“ war geboren, die bis heute ein kommunikatorisches Kernelement darstellt (3)
— Robert Fietzke (@robert_fietzke) 16. Oktober 2019
Auf einem der Plakate aus dem Bundestagswahlkampf 2013 war der Slogan „Wir sind nicht das Weltsozialamt!“ zu lesen. Ob dieser Slogan ursprünglich von der NPD oder von Seehofer stammt, der 2010 sagte „Wir wollen nicht zum Sozialamt für die ganze Welt werden“ ist nicht belegt (4)
— Robert Fietzke (@robert_fietzke) 16. Oktober 2019
Anfang 2014, schon im Wahlkampfmodus für die Europawahlen im Mai, sagte er dann dem FOCUS: „Das Problem sind eher Randgruppen wie Sinti und Roma, die leider in großer Zahl kommen und nicht gut integrationsfähig sind“ – Eine eindeutig antiziganistisch-rassistische Aussage (5)
— Robert Fietzke (@robert_fietzke) 16. Oktober 2019
Das Voruteil der vermeintlich „mangelnden Integrationsfähigkeit“ verfolgt Sinti*ze und Rom*nja, im Konzert mit vielen anderen, uralten Ressentiments, seit 500 Jahren und trug letztlich mit zum Porajmos bei, dem Genozid durch die Deutschen während des NS (6)
— Robert Fietzke (@robert_fietzke) 16. Oktober 2019
In der Sendung „Studio Friedmann“ mit Michel Friedmann 02/2014 sagte er: „Ich würds schöner finden, wenn NPD-Wähler die AfD wählen und nicht die NPD.“ Friedmann konfrontierte ihn in dieser Sendung mehrfach mit Aussagen von anderen Parteigrößen, u.a. von Storch, die sagte: (7)
— Robert Fietzke (@robert_fietzke) 16. Oktober 2019
„Multikulti hat die Aufgabe die Völker zu homogenisieren und damit religiös und kulturell auszulöschen“. Friedmann hakte nach, wollte wissen „Wenn das nicht Rassismus ist, was ist dann Rassismus?“. Lucke druckste, lavierte herum – Und verließ dann in Opfer-Manier das Studio (8)
— Robert Fietzke (@robert_fietzke) 16. Oktober 2019
Er konnte und wollte sich nicht distanzieren und sah sein Heil in der Flucht und der Opfer-Erzählung. Zusammen mit von Storch und anderen holte die AfD unter Lucke damals 7,1% bei der Europawahl. Auf den Plakaten prangte der Claim „Mut zu Deutschland“ (9)
— Robert Fietzke (@robert_fietzke) 16. Oktober 2019
In diesem Europawahlkampf 2014 zeigten dann auch die AfD-Wahlkämpfer, von welchem (Kant)Holz sie geschnitzt sind. Im Mai wurde die damalige Bundessprecherin der Grünen Jugend, Theresa Kalmer, in Dresden körperlich angegriffen: https://t.co/AvTp3FHelG (10)
— Robert Fietzke (@robert_fietzke) 16. Oktober 2019
Dass Lucke aufgrund eines verlorenen Machtkampfs gegen den stärker gewordenen völkischen Flügel die Partei verließ, spricht ihn nicht davon frei, dass er dieses „Monster“ erschaffen hat, wie sein Mit-Parteigründer Henkel später sagte. Seine Wahlkampfstrategien, -ansprachen (11)
— Robert Fietzke (@robert_fietzke) 16. Oktober 2019
& rhetorischen Figuren offenbarten schon damals, dass die Partei die Flanke rechts von CDU/CSU besetzen möchte. Nationalismus, Rassismus, Antiziganismus, die „Migrationsfrage“ als zentrale Säule, diese Grundsteine fielen nicht vom Himmel, sondern wurden auch von Lucke gelegt (12)
— Robert Fietzke (@robert_fietzke) 16. Oktober 2019
Daran ändert auch sein auf Harmlosigkeit abzielender Habitus nichts, ebensowenig wie scheinbar reumütige Distanzierungen. Er wusste, was er tat, wenngleich er nicht damit gerechnet haben mag, so schnell von den Geistern zerfetzt zu werden, die er selbst rief (13)
— Robert Fietzke (@robert_fietzke) 16. Oktober 2019
Danke an die stabilen Leute in Hamburg!
Ach so, und wer, wie dieser Piraten-Otto, den heutigen Protest, so unnötig ein Rempler auch ist, mit der Ausgrenzung der Jüd*innen aus dem öffentlichen Leben zu Beginn der NS-Diktatur und später ihrer Verfolgung vergleicht: #haltdiefresse
— Robert Fietzke (@robert_fietzke) 16. Oktober 2019
Diese Form der Antisemitismus-Relativierung und des Geschichtsrevisionismus ist widerlich. Gleichzeitig ist sie aber auch sehr deutsch.
— Robert Fietzke (@robert_fietzke) 16. Oktober 2019
Ein paar Ergänzungen, weil dieser Thread zu z.T. sehr heftigen Reaktionen geführt hat. Die Blocklist ist mal wieder länger geworden, nachdem einige, die sich hier für Lucke ins Zeug legen wollten, mit Beleidigungen wie „rot lackierter Faschist“ oder „Hurensohn“ um die Ecke kamen.
— Robert Fietzke (@robert_fietzke) 17. Oktober 2019
Dies spricht wohl für sich selbst. Des Weiteren ein paar Klarstellungen, weil es hier oft um Etikettierungen und Begriffe geht: Nein, Bernd Lucke ist kein Nazi. Er ist auch kein Faschist. Dazu fehlen Ideologieelemente, aber auch das gewaltförmige Verständnis von Politik.
— Robert Fietzke (@robert_fietzke) 17. Oktober 2019
Es ist aber auch nicht die Aufgabe von Antifaschist*innen, ihn zu verteidigen. Das muss er selbst tun. Bisher hat er das wenig glaubwürdig gemacht. Die Fakten bleiben. Vor gerade einmal 6 Jahren hat er diese Partei gegründet, die damals noch harmlos schien, inzwischen aber eine
— Robert Fietzke (@robert_fietzke) 17. Oktober 2019
offen rechtsradikale Partei ist. Schon in der Anfangsphase hat er mit Führungsfiguren zusammengearbeitet, die die Partei z.T. immernoch tragen, unter anderem Alexander-Vogelschiss-Gauland und Beatrix-mausgerutscht-von-Storch. Er ist ein Bündnis eingegangen. Ganz bewusst.
— Robert Fietzke (@robert_fietzke) 17. Oktober 2019
Naivität als Erklärung, dieses „Ich habe doch nicht gewusst, wohin das führt“, ist eine Schutzbehauptung, die nicht gelten darf. Deutschland ist das Land, in dem niemals irgendjemand gewusst hat, wohin das alles führen würde. Es ist falsch, ihn „Nazi-Schwein“ zu nennen,
— Robert Fietzke (@robert_fietzke) 17. Oktober 2019
aber das ist Stil-Kritik. Die inhaltliche Kritik an Luckes historischer Rolle sollte vordergründig sein. Den Protest hat er sich redlich verdient. Dieser Protest ist aber auch kein „Berufsverbot“ und schon gar nicht zu vergleichen mit dem NS. Wer das tut, zeigt, wo er steht.
— Robert Fietzke (@robert_fietzke) 17. Oktober 2019