Nicht jeder passt in dieselbe Schablone

Eine Lehrkraft zeigt einem Kind etwas auf dem Tisch, während das Kind mit aufgestützten Händen abwesend zur Seite blickt.
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„Eine Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) ist eine neurobiologische Entwicklungsstörung bei Kindern, gekennzeichnet durch Unaufmerksamkeit, Hyperaktivität und Impulsivität, die Alltag und Schule stark beeinträchtigen kann.“

Ok, das wissen wir jetzt alle, doch warum ist dieser Alltag eigentlich auf alle „normal“ tickenden Menschen ausgerichtet? Und wenn wir schon das Buch mit den großen Fragen offen haben, was war dieses „normal“ doch gleich?

In der heutigen Geschichte diskutiert Threads-Userin @kopf_dusche mit ihrem Sohn über Disziplin. Das Besondere dabei ist, dass bei beiden ADHS diagnostiziert wurde. Es entspinnt sich ein spannender Dialog über die verschiedenen Betriebssysteme von Menschen und den Platz von sogenannten „Abweichlern“ in der Gesellschaft. Überaus lesenswert stellen die zwei eine Konvention in Frage. Das ganze Gespräch sowie die Kommentare der Leserschaft haben wir für euch zusammengefasst. Wenn ihr mehr Informationen oder Hilfe zu dem Thema sucht, schaut doch mal HIER vorbei.

Heute Abend hatten wir eine intensive Diskussion - mein 17-jähriger Sohn und ich. Wir sind beide ADHSler. Das Thema: Disziplin - und ob man mit ADHS wirklich „diszipliniert sein kann". Es war nicht einfach. Viele Meinungen, viele Emotionen. Und was ich ihm am Ende gesagt habe, möchte ich heute mit euch teilen. Vielleicht braucht es jemand genau jetzt.

ADHS ist kein Fehler. Keine Ausrede. Keine Schwäche. Es ist ein anderes Betriebssystem - ein anderer Denkstil. Wir funktionieren anders. Und genau deshalb sind wir kein Mangel, sondern ein notwendiger Teil menschlicher Vielfalt.

Wir sind nicht „Abweichung". Wir sind Teil der Evolution. Ohne neurodivergentes Denken - ADHS, Autismus, Hochsensibilität und andere Formen - wären wir als Menschheit nicht da, wo wir heute sind. Ideen, Innovation, Umdenken: All das braucht Menschen, die anders denken als der Durchschnitt. Wir sind wichtig. Und wir waren es schon immer. (3)

Wir sind keine Modeerscheinung. Kein Hype. Wir waren schon immer da. Aber man hat nicht über uns gesprochen. Es gab keine Sprache dafür. Kein Wissen. Wir waren schwer zu erkennen - weil man Unterschiede im Denken nicht sehen kann. Was neu ist, ist nicht dass wir da sind. Neu ist nur, dass man endlich hinschaut. (4)

Was wäre, wenn man alle Menschen auf dieser Welt wirklich untersuchen würde - ihr Denken, ihre Reizverarbeitung, ihre Wahrnehmung? Ich bin sicher: Der Anteil derer, die heute als „neurodivergent" gelten, wäre viel höher als bisher angenommen. Vielleicht war das vermeintlich „Normale" nie mehr als ein angepasstes Ideal. (5)

Wir brauchen keine Systeme, die uns umerziehen. Wir brauchen Strukturen, die unsere Unterschiede mitdenken. In Schulen. In Arbeit. In Kommunikation. Nicht jeder passt in dieselbe Schablone. Und das ist keine Schwäche - das ist menschliche Realität. (6)

Wir sind nicht faul. Nicht kaputt. Nicht unfähig. Wir sind Menschen mit einer anderen neuronalen Ausstattung. Wir brauchen andere Wege - und die dürfen genauso richtig sein. Wir sind nicht das Problem. Das Problem ist, dass man uns zu lange übersehen hat. (7)

Was bisher als „abweichend" galt, sollte heute ganz einfach als menschlich gelten. Vielfalt ist kein Fehler. Vielfalt ist Natur. Und diese Vielfalt zu leugnen, heißt, das Menschsein selbst zu verkennen (8)

kopf_dusche ... und kurz fassen war noch nie meine Stärke (Ende)

Kommentare & Reaktionen

Irgendwie können wir das total nachvollziehen, denn wer legt eigentlich fest, was normal und was nicht normal ist? Die Kommentare aus den Tiefen des Internets sehen das ähnlich und schildern eigene Erfahrungen.

Aus den eigenen Fehlern lernen

Oh, ich hatte gestern mit meinem Sohn (fast 14) ein ähnliches Gespräch. Es tut mir schon jetzt leid, welches Leben er führen muss. Ich versuche ihm meine Erkenntnisse als spät diagnostizierte mitzugeben, in der Hoffnung, dass er ein anderes Selbstbewusstsein entwickelt und nicht so viel Schaden nimmt wie ich.

So lange ihr drüber sprecht, ist alles gut!

Ja, danke A, Chabe auch einen 17 jährigen ADHS ler.....diese Diskussionen kenne ich... täglich

Scheitert sie an sich selbst?

Ich habe ein ADS Mädchen. Im Januar 8 geworden dritte Klasse. Es läuft eigentlich ganz gut, aber ihr Anspruch an sich selbst macht mir zu schaffen. Den „Perfektionismus" den sie anstrebt kann sie nicht erfüllen und das stresst sie

Hilft die Diagnose nicht den Betroffenen selbst?

Ach ADHS was ist das...irgendwann kam einer und sagte , das weicht von der Norm ab, jemand sagte das ist anders als andere. Ach ich frage dich, sind wir nicht alle anders? Wer bestimmt das?Wer hat das recht zu beurteilen was normal ist? Wir haben durch das beurteilen aufgehört wir zu sein. Jetzt haben wir eine Diagnose welche uns abstempelt, ich mag sie nicht. Sie hindert andere daran das ganze zu sehen, zu sehen das man sich nicht nur im Schwarz/Weiß bewegt.

Ein erstrebenswerter Zustand

Das stimmt total. Jeder tickt anders und das sollte man akzeptieren. Ich habe in den letzten Jahren viel durch meinen Sohn dazu gelernt. Er ist jetzt(mit 10), durch viel gemeinsame Arbeit, in der Lage sich ganz normal zu fühlen. Und das macht mich glücklich. Und mit „normal" meine ich nicht, dass er jetzt ins System passt. Sondern dass er sich selbst besser versteht und seine Anforderungen und sich nicht von seinen Impulsen steuern lassen muss, sondern sie selbst steuern kann.

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