Keine Vorstellung davon, was 20 Euro ausmachen können

Max Kilian 12.09.2024, 6:20 Uhr

Wenn es in Deutschland ein Thema gibt, das in regelmäßigen Abständen zuverlässig nahezu sämtliche Gemüter erhitzt, dann ist es das Bürgergeld. Bis in den Sommer hinein hat das Land – und mit ihm sämtliche Parteien – unter der Führung der Union unerbittlich über schärfere Sanktionen für Arbeitsverweigerer diskutiert. Dabei ist es in der Realität so, dass lediglich ein extrem geringer Prozentsatz der Bedürftigen überhaupt Arbeit verweigert oder gar unter die vielfach genannten „Totalverweigerer“ fällt. Aber klar: „Wir gegen die“ funktioniert in diesem Land leider fast immer und bringt zumindest kurzfristig Zustimmung und Wählerstimmen. Seit einigen Wochen geht es nun um die Höhe des Bürgergelds, denn der FDP fällt dieses zu hoch aus. Ihr Fraktionschef Christian Dürr forderte daher angesichts der Inflationsentwicklung eine Senkung um bis zu 20 Euro. In ihrem Thread berichtet Twitteruserin @calistra nun darüber, welche Auswirkungen eine solche Kürzung haben kann und was 20 Euro für Armutsbetroffene und deren Familien ausmachen können.

Ich glaube, diejenigen, die Armutsbetroffenen das #Bürgergeld um pauschal 20 Euro kürzen wollen,machen sich keine Vorstellung davon,was 20 Euro ausmachen können.

20 Euro sind ein kleiner, gut durchgeplanter Einkauf. 

20 Euro sind ein paar schlau gekaufte Kinderschuhe. 

20 Euro

sichern eine Woche Brotdosen für drei Kinder. 

20 Euro verbrauche ich, wenn ich zwei Mal mit einem Kind zum Arzt fahre. 

Drei mal die Sodastream-Kartusche wechseln kostet ca. 20 Euro. 

20 Euro können wenig sein, wenn man genug Geld hat. 

Wenn nicht, sind 20 Euro viel. Sogar

sehr viel. 

Zu viel, um es den Haushalten einfach so wegzunehmen.

Was sollen Familien mit Kindern machen,wenn zB plötzlich 100 Euro fehlen?

Reicht es nicht,dass uns das Kindergeld angerechnet wird?

Reicht es nicht, dass wir Monate im Voraus planen, weil ein Geburtstag ansteht

oder, Gott bewahre, eine Einschulung oder gar Weihnachten? 

Ist es nicht genug, dass wir kaufen und essen, was gerade günstig ist, akribisch planen, damit wir nichts wegwerfen, Lebensmittel retten, auf Genussmittel wie Kaffee verzichten, weil sie zu teuer sind und uns die Haare

selber schneiden? 

Ist es nicht genug, dass wir uns täglich dem Drahtseilakt zwischen gesellschaftlicher Ausgrenzung und stringenter Kostenkontrolle aussetzen, während andere sich die Taschen vollmachen bei jeder sich bietenden Gelegenheit?

Was uns zugebilligt wurde, ist ein

künstlich heruntergerechnetes Existenzminimum, das weder Disziplinlosigkeit noch Fehler verzeiht, wirkliche gesellschaftliche Teilhabe unmöglich macht und jeden Tag mit Sorgen und Ängsten besudelt, während andere auf uns herabblicken und nicht wissen oder wissen wollen, wie kurz

der Weg nach unten ist. 

Hoffen wir, dass die Tafeln dem neuen Ansturm standhalten können und Lidl die Rettertüten nicht abschafft. 

Hoffen. 

Mehr bleibt uns nicht.

Kommentare und Reaktionen:

Es war eigentlich zu erwarten, aber irgendwie ist man dann doch jedes Mal aufs Neue enttäuscht und frustriert: „Dann geh doch arbeiten!“ oder „Arbeiten ist offensichtlich keine Alternative?“ Ein Großteil der Kommentare geht in dieselbe Richtung. Abgesetzt von Menschen, die absolut keine Ahnung von der Lebenssituation der betroffenen Person haben. Die es aber, wenn man ehrlich ist, im Grunde auch überhaupt nicht interessiert, warum der- oder diejenige in diese Situation geraten ist oder was die Hintergründe sind. Nach unten treten ist schließlich verdammt einfach und scheint bei nicht wenigen Menschen auch noch ein gutes Gefühl zu hinterlassen. Dass jedoch nicht alle so sind, zeigen die folgenden Kommentare und Reaktionen, denen wir hier viel lieber Raum geben möchten.

Ist so leider zu vermuten

Für die, die das entscheiden, ist es das tägliche Trinkgeld beim Nobelitaliener.

Bravo. Auch, wenn ich nicht betroffen bin, habe ich es satt, daß wichtige Entscheidungen in die Hände von Menschen gelegt werden, die nie damit zu tun hatten und haben werden.

Es ist so verdammt bitter

Die Diskussionen darüber lohnt nicht. Das Vorhaben würde eh sofort vom BVerfG eingefangen werden.

Das, was er sagt!

Ich sitze hier 10 Minuten und will einen sarkastischen Witz machen, der diese Situation kritisiert. Aber das ist mir echt zu traurig. Ärmere Menschen noch ärmer zu machen ist nicht das, was ich mir von uns als Land erhoffe.

Wie gesagt, es ist zum Teil einfach nur erschreckend

Oh Gott, wieviel Missgunst und Empathielosigkeit unter diesem Thread zu finden sind. Die FDP wird mit diesem Unsinn nicht durchkommen, aber ich verstehe, wie verheerend die Signalwirkung für alle Bürgergeldempfänger*innen ist.

Man kann ihnen nur wünschen, dass ihnen dieses Schicksal auch weiterhin erspart bleibt

Es tut mir unglaublich leid, was für arrogante, überhebliche Antworten du hier bekommst. Ich schätze, keiner von denen war schon mal echt in Not. 💚

Komisch, zu diesem Thema hört man von der „Das Bürgergeld ist zu hoch!“-Fraktion eigentlich nie etwas. Woran das wohl liegen mag?

Ich finde es unfassbar, dass darüber überhaupt gesprochen wird. Anstatt endlich mal an die Erbschaftssteuer zu gehen.Ich zahle sehr viel Steuern im Monat aber ich weiß auch wie es ist mit Kind auf jeden Cent achten zu müssen. Ungerecht finde ich die Besteuerung der Superreichen.

Wem die Schilderung einer Armutsbetroffenen noch nicht ausreicht:

Wie sieht das Alltagsleben in Deutschland aus, wenn man arm ist?

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