Ein Nachtdienst in einer großen Notaufnahme
Während die Bauern heute vielerorts das Land lahmgelegt haben und im Zentrum der medialen Aufmerksamkeit stehen, wenden wir uns einer Berufsgruppe zu, die vergleichsweise wenig bis gar keine Beachtung findet. Die Situation in der Pflege und in den Kliniken ist in vielen Regionen angespannt und ächzt unter dem andauernden eklatanten Personalmangel. Nicht erst seit gestern oder vorgestern, nein schon seit Jahren. Dieser Missstand hat weitreichende Auswirkungen auf die Versorgung in den Krankenhäusern, insbesondere in Notaufnahmen, wo schnelle und effiziente Hilfe von entscheidender Bedeutung ist. Der vorherrschende Personalmangel führt dazu, dass Ärzte, Pflegekräfte und sonstiges medizinisches Personal häufig überlastet sind, lange Arbeitszeiten absolvieren müssen und mit einem enormen Druck konfrontiert werden. Dies hat nicht nur negative Auswirkungen auf die Arbeitszufriedenheit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, sondern gefährdet auch die Qualität der Patientenversorgung. In der Notaufnahme, einem Bereich, der auf schnelle Reaktionen und präzise Handlungen angewiesen ist, kann dies besonders gravierende Folgen haben. Die Twitteruserin und Krankenschwester @ER_Nurse_Sal schildert in dem nun folgenden Thread, wie schlimm die Ausmaße inzwischen sind. Aber am besten lest ihr selbst.
Ich nehme euch mit durch einen Nachtdienst in einer großen ZNA.
Durch jene Nacht,die meinen Ausstieg aus der Pflege besiegelt hat.Macht es euch gemütlich, das wird ein längerer 🪡🧵…
— ER_Nurse_Sal (@ER_Nurse_Sal) January 2, 2024
19:00 Uhr, ich packe mein Essen und Getränke ein, steige ins Auto und mache mich auf den Weg in die Klinik.
Knappe 10 Stunden Dienst liegen vor mir und meinen Kollegen,ich komme frisch aus dem Urlaub bin gut erholt und ausgeruht, habe starke Nerven.
— ER_Nurse_Sal (@ER_Nurse_Sal) January 2, 2024
Jede Menge grüne Kügelchen sozusagen.
19:50 Ankunft Klinik.
Klamotten holen,umziehen, auf Station gehen.
Mein Weg führt mich durch den Wartebereich,dieser ist proppenvoll, aus jeder Ecke hustet,niest und schnieft es,Tragen stehen überall,auch in den Gängen.— ER_Nurse_Sal (@ER_Nurse_Sal) January 2, 2024
Durchatmen.
Ich hole mir einen Kaffe und treffe meinen ersten Kollegen,der heute mit mir Dienst hat. Wir gehen gemeinsam vor die Tür,
Noch gut 10 Minuten bevor wir uns ins Chaos der Nacht stürzen.Er guckt mich missmutig an, es ist bereits seine 5te Nacht infolge.
— ER_Nurse_Sal (@ER_Nurse_Sal) January 2, 2024
Nach und nach trudeln meine restlichen Kolleginnen ein,heute Nacht sind wir 5 Pflegefachkräfte.
5 Pflegefachkräfte für ~50 akut,teils Lebensbedrohlich kranke Menschen.
12 Pat sitzen im Wartezimmer, teils schon viele viele Stunden.— ER_Nurse_Sal (@ER_Nurse_Sal) January 2, 2024
Ich höre mir die Übergabe an.
Teils warten Patienten schon über 18 Stunden auf ein Bett auf einer peripheren Station. Auf den Intensivstationen des Hauses gibt es nicht ein einziges freies Bett,alle Kapazitäten sind längst ausgeschöpft.— ER_Nurse_Sal (@ER_Nurse_Sal) January 2, 2024
Ich verschaffe mir einen Überblick, drehe eine schnelle Runde. Ehe ich damit fertig werde, klingelt mein Telefon und ich muss den Kollegen aus dem Schockraum ablösen,der mit einem Patienten mit erstmaligem Krampfanfall, welcher sich als Schlaganfall entpuppt hat,dort fest steht.
— ER_Nurse_Sal (@ER_Nurse_Sal) January 2, 2024
Noch im Schockraum starten wir nach dem cCT eine Lyse, der Dienstarzt sucht ein Bett während ich den Patienten entkleide und für die stationäre Aufnahme auf unsere Schlaganfalleinheit fertig mache.
Doch da ist keins.
Weit und breit im ganzen Haus nicht ein freies Bett.— ER_Nurse_Sal (@ER_Nurse_Sal) January 2, 2024
Normalerweise würden wir den Pat an dieser Stelle einfach mit auf unsere Emergency Care Unit aufnehem,die Notfallaufnahmestation der ZNA, doch auch hier:
Nicht ein einziges freies Bett.— ER_Nurse_Sal (@ER_Nurse_Sal) January 2, 2024
Mit dem Patienten im Schockraum verbleiben? Keine Option.
Irgendwie ein Bett frei machen?
Nicht möglich.
Auf den Flur?
Keine Option.Mein Telefon Klingelt erneut, vielleicht ein Bett?
— ER_Nurse_Sal (@ER_Nurse_Sal) January 2, 2024
Fehlanzeige. Mein Kollege überbringt mir die Hiobsbotschaft:
Die Pflegerische Kollegin der Unfallchirurgie hat sich die Hand gebrochen,braucht einen Gips und fällt für die Nacht aus.
4 Pflegefachkräfte.— ER_Nurse_Sal (@ER_Nurse_Sal) January 2, 2024
Ich stehe allerdings immer noch im Schockraum und bekomme kein Bett für meinen Patienten. Inzwischen seit eineinhalb Stunden.
Die Entscheidung zur Verlegung fällt, eine Notfallverlegung wird initiiert,doch auch das Dauert.
Ich schiebe den Patienten also in den Stützpunkt— ER_Nurse_Sal (@ER_Nurse_Sal) January 2, 2024
Innerlich sträubt sich alles,doch es IST die beste Option,so ist der Patient dauerhaft überwacht und wir haben den Monitor immer im Blick.
— ER_Nurse_Sal (@ER_Nurse_Sal) January 2, 2024
*Rumms
Ich staune nicht schlecht,als auf einmal meine Kollegin vor mir liegt.
Synkope.
Wir versorgen die Kollegin,fahren ein cCT.3 Pflegefachkräfte.
— ER_Nurse_Sal (@ER_Nurse_Sal) January 2, 2024
Unser Arzt, meine beiden Kollegen und ich treffen uns zur Krisensitzung.
3 Pflegefachkräfte für 50 Patienten und 3 Schockräume.
Wir sind ein Maximalversorger,
Abmelden?
Kommt nicht in Frage.— ER_Nurse_Sal (@ER_Nurse_Sal) January 2, 2024
Aufgaben umverteilen,
Krisenmodus aktivieren.
Meine Kollegin wird die ECU betreuen,dort liegen 20 akut kranke Patienten,mit Katecholaminen,NIV,Arterie.Im Prinzip Intensivpatienten.
— ER_Nurse_Sal (@ER_Nurse_Sal) January 2, 2024
Ich betreue den Rest.
Internistisch,Unfallchirurgie und rekonstruktiv/plastische Chirurgie,Urologie,Gynäkologie sowie die HNOAußerdem die Schockräume.
— ER_Nurse_Sal (@ER_Nurse_Sal) January 2, 2024
Mein Kollege, welcher aus der Zeitarbeit kommt und viele Gegebenheiten nicht kennt rockt die Triage.
— ER_Nurse_Sal (@ER_Nurse_Sal) January 2, 2024
Ich betreue 1:25.
Überlastungsanzeige,Gefährdungsanzeige,gute Dokumentation.
Es bleiben kaum 3 Minuten Zeit um einen Patienten mit Anamnese,12 Kanal,PVK+ Blutentnahme (+ Labor ausdrucken und wegschicken)
sowie Dokumentation.
Oftmals kommen noch Medikamentengaben dazu.— ER_Nurse_Sal (@ER_Nurse_Sal) January 2, 2024
Ich versorge in dieser Nacht 65 Patienten,9 davon im Schockraum, 3 Patienten sterben.
Ich bin absolut kaputt, wir sitzen keine Minute, zum Essen bleibt keine Zeit.
Energy ist meine Nahrung.— ER_Nurse_Sal (@ER_Nurse_Sal) January 2, 2024
Es ist 06:00 Uhr.
Übergabe.
Fertig.Wir drei fallen uns in die Arme,keiner sagt auch nur einen Ton.
— ER_Nurse_Sal (@ER_Nurse_Sal) January 2, 2024
Das ist der Dienst,der für mich endgültig meinen #Pflexit besiegelt hat.
Ich kann nicht ausschließen,das mir in dieser Nacht keine Fehler passiert sind.
Was ich weiß?
Patienten lagen STUNDENLANG
in ihren Ausscheidungen.
Die Klingel konnte fast nie bedient werden.— ER_Nurse_Sal (@ER_Nurse_Sal) January 2, 2024
Ich werde nicht weiter teil dieses Systems sein. #Pflegteuchdochselbst #Pflegebrennt #medizinbrennt #pflexit
— ER_Nurse_Sal (@ER_Nurse_Sal) January 2, 2024
Kommentare und Reaktionen:
Die Pflegekräfte in den Notaufnahmen leisten unter diesen Bedingungen oft Herausragendes, indem sie ihr Bestes geben, um eine qualitativ hochwertige Versorgung zu gewährleisten. Die Ressourcen sind begrenzt und die physische und emotionale Belastung für das Personal ist enorm. Es ist mehr als verständlich, wenn das verbliebene Personal irgendwann den Mut verliert und das Handtuch wirft. Es ist von entscheidender Bedeutung, dass auf politischer und gesellschaftlicher Ebene endlich Maßnahmen ergriffen werden, um den Personalmangel in der Pflege zu bekämpfen. Ohne eine tiefgreifende Reform und Abschaffung der Fallpauschalen wird es dabei nicht gehen. An dieser Stelle möchten wir den verantwortlichen Gesundheitsminister recht herzlich grüßen. Aber natürlich haben wir auch noch ein paar Reaktionen der Leserinnen und Leser für euch.
Wo soll das Personal denn herkommen?
Das ist maximales Versagen der Pflegedirektion. Habt ihr keinen Pool, aus dem ihr für solche Fälle Personal anfordern könnt? Und wieso ist abmelden keine Option? Auch Maximalversorger machen das mittlerweile. Und spätestens nach Ausfall 1 wäre das absolut angemessen gewesen.
— BHO480 (@B_Ho480) January 3, 2024
Vergesst den Lavendel und die Merci-Schokolade nicht!
Aber es wurde doch so lieb für uns alle geklatscht und Kerzen angezündet.
— Sebastian🇺🇦 (@sebsieb1) January 2, 2024
Das ist die bittere Wahrheit
Und das alles in einem der reichsten Länder der Welt. Kalte Bürokratie, Gewinnmaximierung, Ökonomisierung eines Bereichs der einfach nur zur Daseinsvorsorge dienen sollte. Neoliberalismus ist Darwinismus.
— Johannes (@johahof) January 2, 2024
Kann man wohl sagen
Man hat echt Angst mittlerweile, ernsthaft krank zu werden….
— Darilium (@dariliumaner) January 2, 2024
Der Fehler liegt im System
Sehr heftig, ich verstehe dich vollkommen, kenne das aus der ZNA meiner Heimat zwar nur im Bruchteil so schlimm, aber allein das war hart..
Und eins muss ich noch sagen: Danke, dass ihr die Nacht trotzdem so durchgezogen habt❤️— Vivi🎄 (@HeyImVii) January 2, 2024
Der letzte Satz ist der wichtigste
Danke fürs teilen! Viel Glück für deinen weiteren Weg – ich hoffe du findest einen neuen tollen Job!
Für mich stand bereits vor Examensabschluss fest, dass ich nicht in der Klinik bleiben kann und werde. Dieses System hat nichts mit Menschenwürde zu tun.— DrTimeh (@DrTimeh) January 2, 2024
Vielen Dank für Eure Aufmerksamkeit! Schaut doch hier noch rein, wenn ihr mögt: