Thread: Meine Behinderung
Einige Behinderungen werden gesellschaftlich überhaupt nicht als solche wahrgenommen oder gar ganz übersehen. Andere sind wiederum sehr offensichtlich und führen zu Ausgrenzung und manchmal auch zu Mobbing. Umso wichtiger ist es, dass wir einen offenen Umgang mit dem Thema haben. Deswegen wollen wir euch diesen persönlichen und starken Thread von @NappleGPunkt ans Herz legen.
Wie bereits angekündigt, möchte ich mich heute zu meiner Behinderung äußern. Wenn euch meine Geschichte interessiert, dann schnappt euch einen Kaffee, Tee, was auch immer – es folgt ein langer Thread.
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Ich kam mit dem Goldenhar-Syndrom auf die Welt. Das ist eine angeborene Fehlbildung, die vor allem das Gesicht betrifft. Diese Fehlbildung ist meist einseitig und es gibt unterschiedlich starke Ausprägungen.
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In meinem Fall ist diese Fehlbildung folgendermaßen ausgeprägt: mir fehlt das linke Ohr und auch der Gehörgang ist nicht ausgebildet, weswegen ich einseitig taub bin. Das führt auch dazu, dass ich ein schlechtes räumliches Hören habe – ich kann nicht erkennen, aus…
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…welcher Richtung ein Geräusch kommt. Auf dem rechten Ohr habe ich eine Schwerhörigkeit und die Ohrmuschel war nicht richtig ausgebildet, was durch Operationen und Hörgerät allerdings weitestgehend behoben wurde/wird.
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Mein Kieferknochen ist links nicht vollständig ausgebildet. Deswegen sieht mein Gesicht ein bisschen verschoben aus und meine Zähne stehen nicht richtig übereinander. Aus diesem Grund kann ich meine Lippen im Ruhezustand nicht richtig schließen, weswegen mein Mund…
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…immer etwas offen steht. Und zu guter Letzt fehlt mir an der linken Hand ein Daumenmuskel. Ich kann meinen linken Daumen nicht vollständig bewegen, was mir im Alltag allerdings so gut wie keine Probleme bereitet.
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Da ich mit dieser Behinderung auf die Welt kam, kenne ich es nicht anders und ich sehe auch kaum Nachteile für mich – außer dass gute Hörgeräte echt teuer sind und die Kosten nicht komplett von den Kassen übernommen werden.
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In meiner Kindheit und Jugend war ich oft im Krankenhaus und wurde operiert. Man hat versucht, das linke Ohr aus körpereigenem Material aufzubauen. Ich habe am ganzen Körper Narben an den Stellen, an denen mir z.B. ein Stück Rippe oder ein Stückchen Haut für den Aufbau…
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…der Ohren entnommen wurde. So wirklich erfolgreich waren diese Operationen nicht – das linke Ohr sieht einfach nicht aus wie ein Ohr. Aber das ist okay und ich würde mich auch nicht nochmal unters Messer legen, nur um da was optisch Ansprechendes hinzuzaubern – auch…
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…wenn es heute neue Methoden und Möglichkeiten gibt. Die meisten Menschen, die mich kennenlernen, merken nicht einmal, dass bei mir da was anders ist und sind dann oft total überrascht, wenn ich das dann erzähle.
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Ich selbst bin mit meiner Behinderung heute absolut im Reinen, auch wenn ich in der Schule viel gemobbt wurde. Ich war immer die Seltsame, die Hässliche, die Schwänzerin, die Außenseiterin.
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Im Sportunterricht wurde ich nie gewählt sondern landete immer als Letzte in einer Gruppe, die sich wenig darüber gefreut hat, mich im Team zu haben. Ich bekam im Unterricht oder in der Pause Zettel mit bösen Nachrichten zugesteckt und wurde systematisch ausgegrenzt.
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Diejenigen, die mich nicht aktiv fertig gemacht haben, haben weggesehen. Geholfen hat mir niemand. Weder Lehrer noch Mitschüler. Meinen Eltern habe ich damals nicht erzählt, was alles in der Schule passierte – ich überspielte es und machte gute Miene zum bösen Spiel.
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Die Schule habe ich nur geschwänzt, weil ich irgendwann im Unterricht nicht mehr hinterher gekommen bin, weil ich schlecht hörte und Angst vor neuen Mobbing-Attacken hatte.
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Wenn ich dann doch mal in der Schule war, versteckte ich mich in den Pausen auf dem Klo, um meinen Mitschülern zu entgehen. Mein Hörgerät bekam ich erst mit 15 Jahren, weil mein Gehör bis zu diesem Zeitpunkt (vermeintlich) ausreichte.
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Irgendwie habe ich es mit 40% Hörvermögen ohne sitzenzubleiben durch Schule und Abi geschafft. Freunde fand ich erst nachdem ich mein Hörgerät hatte und mehr Anschluss fand.
Bisher dachte ich immer, dass…
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…mir das alles nichts mehr ausmacht. Dass mich meine Schulzeit nur stärker gemacht hat. Allerdings fange ich momentan an, mich stark mit mir selbst auseinanderzusetzen und ich denke, dass das doch einiges mit mir gemacht hat und immer noch macht.
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Ich stehe ganz am Anfang dieses Prozesses und da ich mein Leben lang alles verdrängt und verschwiegen habe, möchte ich lernen, offen mit mir und meinen Problemen umzugehen. Aus diesem Grund habe ich beschlossen, meine Geschichte öffentlich zu machen.
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Auch wenn ich nur eine Handvoll Follower habe, die das hier lesen werden. Danke, dass ihr da seid! Danke fürs Lesen – fürs „Zuhören“! Wenn euch danach ist, meine Geschichte zu teilen, dann tut das gern. Vielleicht gibt es ja Menschen, die ähnliches erlebt haben.
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